25.09.2017

Festung Europa – outgesourct

Von Johannes Richardt

Titelbild

Foto: Miquel via Flickr / CC BY-SA 2.0

Die Europäische Union lagert ihre Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen nach Afrika aus. Eine humane Einwanderungspolitik ist nicht in Sicht.

Für die Europäische Union sind Immigranten Menschen zweiter Klasse. Ihre Träume und Wünsche, ihr Streben nach einem besseren Leben für sich selbst und ihre Familien zählen wenig. Noch weniger zählt ihre Freiheit, diese Träume und Wünsche zu verwirklichen. Die Menschen, die aktuell versuchen, nach Europa einzureisen – insbesondere, wenn sie aus Nordafrika kommen – werden zu Objekten der weit entfernten EU-Technokratie. Sie sind Verhandlungsmasse des auf EU-Ebene üblichen Geschachers zwischen den Mitgliedsstaaten und von Deals der EU mit offiziell als „kriminell“ abgestempelten Schleppern. Am liebsten sollen sich andere mit dem Problem rumschlagen.

Dieses Denken zeigte sich zuletzt auf dem „Flüchtlingsgipfel“ von sieben Regierungschefs in Paris Ende August. Auf EU-Seite waren die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien anwesend, hinzu kamen die Regierungschefs der afrikanischen Staaten Tschad, Niger und Libyen. Als Ergebnis des Gipfels stand ein Abkommen, das es – vergleichbar mit dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei im letzten Jahr – Menschen erschweren soll, zu den Grenzen der Europäischen Union vorzudringen. Zur Erinnerung: Damals zahlte die EU dem türkischen Autokraten Erdogan sechs Milliarden Euro, um das Problem der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern so weit von Europas Grenzen fernzuhalten, bis man sich hier wieder vormachen konnte, dass es eigentlich nicht existiert. Erdogan hielt sein Wort: Hunderttausende von Flüchtlingen wurden auf ihrem Weg nach Europa gestoppt. Im Gegenzug drückt die EU seitdem regelmäßig ein bis zwei Augen zu, wenn Erdogan Freiheit und Demokratie in der Türkei Stück für Stück abschafft.

Nun also zum Deal, den der französische Präsident Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Merkel federführend für die EU mit dem Tschad, Niger und Libyen ausgehandelt haben. Auch hier geht es darum, Flüchtlinge von Europas Grenzen möglichst fernzuhalten. Den afrikanischen Staaten wurden Millionen Euro schwere Entwicklungshilfeprogramme in Aussicht gestellt, wenn sie strengere Grenzkontrollen einführen und Registrierungszentren für Asylanträge einrichten. Dort solle entschieden werden, wer schlechter „Wirtschaftsflüchtling“ und wer guter Asylant sei. Mit anderen Worten: Wie im Türkei-Deal bezahlt die EU auch diesmal wieder andere Staaten für die Drecksarbeit, Flüchtlinge von den eigenen Außengrenzen fern zu halten.

„Es sind vor allem die ärmsten Länder der Welt, die die Hauptlast bei der Flüchtlingshilfe tragen.“

Dieses Vorgehen ist typisch für die EU-Einwanderungspolitik. Seit den 1990er Jahren besteht diese aus drei Säulen: der Kriminalisierung von Migranten, der Militarisierung der Grenzkontrollen und dem Outsourcen des Problems durch Zahlungen an Nicht-EU-Staaten, die für sie die Flüchtlinge aufhalten sollen. So werden Europas Grenzen in andere Staaten ausgelagert, die für gewöhnlich etwas andere Menschrechtsstandards haben, als wir es hier gewohnt sind. Das berüchtigtste Bespiel: Der Deal mit dem ehemaligen libyschen Diktator Gaddafi, den man jahrelang gut dafür bezahlte, afrikanische Flüchtlinge von Europas Grenzen und – nicht zu vergessen – den Augen der europäischen Öffentlichkeit fernzuhalten.

Trotz dieser Politik sind in den letzten Jahren sehr viele Migranten nach Europa gekommen. Laut EU-Kommission waren es 2015 und 2016 2,6 Millionen. Auch 2017 hält der Strom an. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass Europa erstens sehr reich ist und zweitens über 500 Millionen Einwohner hat. Es handelt sich also gerade mal um 0,5 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In der Türkei leben aktuell drei Millionen Flüchtlinge bei einer Bevölkerung von einem Siebtel der EU. Im Libanon befinden sich über eine Million Flüchtlinge, was 20 Prozent der Bevölkerung entspricht – auf deutsche Verhältnisse angewendet wären das 16 Millionen. Auch Länder wie Jordanien, Pakistan oder der Iran haben sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Es sind vor allem die ärmsten Länder der Welt, die die Hauptlast bei der Flüchtlingshilfe tragen. Würden sie nach EU-Methode versuchen, das Flüchtlingsproblem „outzusourcen“, hätten wir eine ganz andere Krise als diejenige, die wir aktuell erleben.

Dieses Outsourcing wird von den europäischen Staatschefs gerne mit „humanitärer“ Rhetorik ummantelt. Wenn Tschad, Niger und Libyen, die als Haupttransitstaaten afrikanischer Migranten nach Europa gelten, bestimmte Bedingungen erfüllen, fließen Entwicklungshilfe-Euros. Letztlich sei es auch moralisch geboten, die Flüchtlinge vor den Schleppern zu schützen und das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Tatsächlich ist der Deal aber viel schmutziger. Die EU bezahlt sowohl diejenigen, die mit Zwang und Gewalt die Grenzen dichthalten, als auch jene, die ansonsten gut daran verdient hätten, Migranten auf ihrem Weg nach Europa zu unterstützen. Denn das so genannte Schlepperbusiness ist ein lukratives Geschäft. Die International Crisis Group schätzt, dass der Menschenschmuggel allein in Libyen zwischen einer und eineinhalb Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaftet. Die EU nutzt ihre finanzielle Potenz, um diesen Markt entsprechend ihrer eigenen Ziele zu beeinflussen – d.h. die Bewegungsfreiheit der Menschen insofern einzuschränken, dass sie sich nicht mehr auf den Weg nach Europa machen können.

„Die von der libyschen Küstenwache aufgefangenen Migranten müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen in den dortigen Internierungslagern leben.“

Dabei scheut die EU wohl auch vor Deals mit Schleppern nicht zurück. Denn seitdem 2011 vor allem auf Initiative von Frankreich und Großbritannien das Gaddafi-Regime in Libyen gestürzt wurde, gibt es dort keine funktionierenden staatlichen Strukturen mehr, mit denen man „Deals“ machen könnte. Es gibt verschiedene Milizen, die um die Vorherrschaft kämpfen. Diese finanzieren sich vor allem aus zwei Quellen: einmal aus dem Schmuggel von Öl und einmal aus dem von Menschen. Um also den Menschenstrom aus Libyen zu stoppen, muss die EU Geschäfte mit eben jenen Machthabern in Libyen machen.

In den letzten Wochen sind verschiedene Indizien an die Öffentlichkeit gedrungen, wonach Italien seit einigen Monaten in solche Geschäfte verwickelt ist. Seit Mitte Juli sind dort die Zahlen der aus Libyen eingereisten Menschen um 80 Prozent gefallen. Auch wenn der italienische Staat öffentlich abstreitet, Geschäfte mit Schleppern zu machen, gibt es Aussagen hochrangiger Regierungsmitglieder, die dies nahelegen. So sprach der italienische Innenminister Marco Minniti von „einer Art von Pakt“, den das Land mit libyschen Machthabern abgeschlossen habe. Verschiedene Medien berichteten davon, dass lokale Milizen in Libyen Zahlungen von der italienischen Regierung erhalten haben, um Boote daran zu hindern, die Küste zu verlassen.

Ebenfalls wurde in den letzten Tagen bekannt, unter was für menschenunwürdigen Bedingungen Migranten in libyschen Internierungslagern leben müssen, die von der libyschen Küstenwache aufgefangen wurden. Laut den Vereinten Nationen und der NGO Ärzte ohne Grenzen gäbe es in diesen Lagern kaum medizinische Versorgung, die Internierten hätten oft keinen Kontakt zur Außenwelt, Zellen seien überfüllt, in manchen Lagern gäbe es kein sauberes Wasser oder Toiletten und es gibt Berichte von Folterungen. Auf Grund der chaotischen Situation im Land sei nicht davon auszugehen, dass sich die Situation bald bessern werde.

„So wie die EU die Sorgen ihrer Bürger gegenüber Einwanderern ignoriert, so ignoriert sie auch die Bedürfnisse und Wünsche der Migranten.“

Das sind die schmutzigen Seiten der EU-Einwanderungspolitik, die Merkel und Macron in Paris der Öffentlichkeit verschwiegen haben. So wie die EU die Sorgen ihrer Bürger gegenüber Einwanderern ignoriert, so ignoriert sie auch die Bedürfnisse und Wünsche der Migranten. In beiden Fällen sieht die EU Menschen mehr als Probleme, die es zu „managen“ gilt, denn als freie Menschen, deren Denken und Handeln man ernst nehmen sollte. Von einer humanen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik sind wir in Europa aktuell meilenweit entfernt.

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