23.12.2024

Falscher Umgang mit Antisemitismus

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: parlament.ch

Die Schweizer Regierung will das öffentliche Zeigen von Nazisymbolen verbieten. Mit dieser Maßnahme will sie ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen, blendet aber den islamischen und den linken aus.

Der Schweizer Bundesrat will das öffentliche Zeigen von Nazi-Symbolen und -Gesten verbieten und Zuwiderhandlungen mit einer Buße in Höhe von 200 Franken ahnden. Beide Parlamentskammern unterstützen das Vorhaben, das als Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus nach dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober zu verstehen ist. Mit anderen Worten: Der Bundesrat will bisher legale Handlungen unter Strafe stellen. Das Hakenkreuz und ähnliche Symbole sollen jedoch weiterhin erlaubt bleiben, sofern sie in einem geschützten Rahmen wie Bildung, Wissenschaft, Kunst oder Journalismus verwendet werden. Man käme der Rechtslage in Deutschland und Österreich nahe.

Die Ständerätin Marianne Binder von der Partei Die Mitte kämpft seit Jahren unermüdlich für dieses Verbot. Bereits 2021 prangerte sie die Verharmlosung des Holocaust an, als Demonstranten während der Corona-Proteste Hakenkreuze und Davidsterne zur Untermauerung ihrer Botschaften missbrauchten.

Die Annahme, dass Antisemitismus heute vor allem von Neonazis ausgeht, ist, offen gesagt, eine trügerische Illusion – eine nostalgische Sicht auf eine Welt, die es längst nicht mehr gibt. Die Realität ist viel erschreckender: In Zürich werden Juden nicht von Neonazis angegriffen, sondern von fanatischen, antisemitischen Islamisten. Die gefährlichste Form des modernen Antisemitismus findet sich heute in der politischen Linken und im islamistischen Milieu – oft versteckt hinter einem pervertierten Moralismus, der die Hamas glorifiziert und Israel dämonisiert.

Diese Haltung zeigt sich in einer gefährlichen Doppelmoral: Israel – oft als Synonym für „die Juden“ – wird zum allmächtigen Bösewicht stilisiert, während die Palästinenser zu wehrlosen, passiven Opfern degradiert werden, die auf die als Mitleid getarnte Verachtung westlicher Eliten angewiesen seien. Diese herablassende Perspektive ist selbst eine Form von Rassismus, die beide Seiten entmenschlicht – und das alles im Namen einer vermeintlichen „Gerechtigkeit“.

„Der Multikulturalismus ist in vielen Fällen gescheitert, und die Integration ebenso.“

Wie die NZZ bemerkt, betrachtet ein Teil der Schweizer Linken die Gräueltaten der Hamas mit beunruhigender Nachsicht. Statt diese Taten kompromisslos zu verurteilen, wie es eine vernünftige und zivilisierte Gesellschaft tun müsste, wird ihnen Verständnis entgegengebracht. Das Ergebnis ist eine irrationale Fixierung auf Israel – die einzige liberale Demokratie im Nahen Osten –, die einem Hass ausgesetzt ist, dessen Intensität unvergleichlich bleibt. Ein Beispiel für diese Heuchelei liefern die Schweizer Jungsozialisten: Sie unterstützen begeistert die BDS-Bewegung, die sich gezielt gegen Israel richtet, schweigen aber, wenn es um den Boykott von Produkten aus China geht – einem Staat, der für massive Menschenrechtsverletzungen berüchtigt ist.

Warum also konzentriert sich die Politik so sehr auf das Schreckgespenst des rechten Antisemitismus? Die Antwort ist einfach: Wer diese orthodoxe Sichtweise infrage stellt, riskiert die Ächtung durch die kulturellen Eliten, die den öffentlichen Diskurs dominieren. Diese Kreise haben panische Angst davor, die Gefühle bestimmter Muslime und ihrer progressiven Verbündeten zu verletzen. Die Linke nutzt den Vorwurf der Islamophobie nur zu gern als moralische Waffe gegen ihre Gegner. Doch sie vermeidet es sorgfältig, den muslimischen Antisemitismus offen anzusprechen – aus Angst, sich angreifbar zu machen und ihr wichtigstes Instrument der moralischen Überlegenheit zu verlieren. Stattdessen flüchtet sie sich in den bequemen Kampf gegen die Schatten der Vergangenheit: Faschismus-Gespenster aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die mutig ‚besiegt‘ werden – und das in einem längst entschiedenen Krieg.

Diese Irreführung verschleiert nicht nur die wahren Ursprünge des modernen Antisemitismus, sondern macht Juden und die zivilisierte Gesellschaft in gefährlicher Weise unvorbereitet auf die Herausforderungen der Gegenwart. In ‚gebildeten‘ Kreisen scheut man sich, die Wahrheit anzuerkennen: Der Multikulturalismus ist in vielen Fällen gescheitert, und die Integration ebenso. Das Festhalten an überholten politischen Gegensätzen raubt uns die nötige Klarheit, um neue Bedrohungen zu erkennen – und den Mut, ihnen entschlossen entgegenzutreten. Dabei geht es nicht bloß um eine Fehleinschätzung, sondern um einen Verrat an unserer moralischen Verantwortung.

Ein zentraler Grund für das Wiederaufleben des Antisemitismus in Europa nach dem 7. Oktober liegt in der jahrzehntelangen Tabuisierung antisemitischer Äußerungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Statt diese abscheulichen Ideen und Gefühle offen zu bekämpfen, wurden sie unterdrückt – und konnten so ungestört im Verborgenen wachsen, abgeschirmt von öffentlicher Kontrolle und kritischer Auseinandersetzung.

„Man kann nur schaudernd spekulieren, welche Gestalt der linke oder islamistische Antisemitismus letztlich annehmen wird, wenn wir weiterhin in einer bewussten Blindheit verharren.“

Ohne eine gründliche öffentliche Auseinandersetzung konnte diese Ideologie unbemerkt in den Köpfen einiger Menschen Wurzeln schlagen und in einer intellektuellen Wüste im akademischen Elfenbeinturm gedeihen. Viel zu lange vor Kritik geschützt, hat sie sich inzwischen so weit verbreitet, dass sie gesellschaftsfähig geworden ist – und von der Linken eifrig verteidigt wird, sobald sie im Gewand des Islamismus auftritt oder sich als Antizionismus tarnt. Manch einer mag sich noch wundern, dass linke Parteien nun judenfeindliche Personen in ihren Reihen dulden. Hätten wir uns aber nicht dem Zensurwahn hingegeben, wären wir weit weniger überrascht gewesen – und hätten uns vielleicht nie mit diesem Ungeheuer auseinandersetzen müssen. Wir hätten es im Keim ersticken können.

Wie so oft hat die Zensur versagt. Doch statt dies einzugestehen, drängen die europäischen Eliten – auch die Schweizer – auf noch mehr Zensur in den verschiedensten Bereichen. Selbst wenn das vorgeschlagene Verbot Neonazis erfolgreich zum Schweigen bringen würde, bleibt eines klar: Wenn Menschen in der Schweiz Nazi-Symbole offen zur Schau stellen, ist es besser zu wissen, wer sie sind. Ein Verbot schafft sie nicht aus der Welt. Im Gegenteil: Es zwingt sie dazu, ihre wahre Gesinnung zu verbergen, was das Erkennen und Bekämpfen einer von ihnen ausgehenden Bedrohung erheblich erschwert. Tatsächlich bietet der Bundesrat den Neonazis den idealen Tarnumhang. Einige von ihnen werden wahrscheinlich die Geldbußen wie Medaillen tragen und sich vor ihren Gleichgesinnten als Gegner des Establishments präsentieren. Die Symbole, die sie zeigen, werden noch mehr den Reiz des Verbotenen erhalten.

Derweil wird in der Schweiz Islamkritik kriminalisiert, wie der aktuelle Fall des SVP-Nationalrats Andreas Glarner zeigt. Weil er seine Meinung über den Islam in einem Tweet geäußert hat, sieht sich Glarner nun der vollen Härte der staatlichen Maschinerie ausgesetzt – mit einem Staatsanwalt, der darauf hinarbeitet, ihm die politische Immunität zu entziehen und ihn vor Gericht zu bringen. Man kann nur schaudernd spekulieren, welche Gestalt der linke oder islamistische Antisemitismus letztlich annehmen wird, wenn wir weiterhin in einer bewussten Blindheit verharren.

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