26.02.2015

Ernst sei das Leben – „rauchfrei“ die Kunst

Analyse von Christoph Lövenich

Der Anblick des Rauchens soll verschwinden – von Bildschirm und Leinwand, Bühne und Plakaten. Paternalistische Gesetze und Zensur aus vorauseilendem Gehorsam schränken die Kunstfreiheit ein. Wie weit fortgeschritten diese Tendenzen bereits sind.

Wenn es nach dem italienischen Gesundheitsministerium geht, soll in Filmen und Fernsehserien ein Rauchverbot gelten. [1] Vor wenigen Monaten entfernte ein australisches Opernhaus Bizets Carmen aus dem Spielplan, da das Stück Rauchszenen enthält; die Entscheidung folgte pünktlich vor Beginn eines mehrjährigen Sponsorings durch eine staatlich finanzierte Gesundheitsagentur. [2]

Versuche, das Tabakrauchen aus der Kunst zu verbannen, sind in den vergangenen Jahren Alltag geworden. Besonders weit treibt man es dabei in Frankreich, wo seit 1991 ein totales Tabakwerbeverbot (Loi Evin) gilt. Werbeplakate für einen Film über den berühmt-berüchtigten Sänger Serge Gainsbourg durften nicht in der Pariser Metro hängen, ähnlich erging es einem Streifen über Coco Chanel. In beiden Fällen waren die zeitlebens bekennenden Raucher mit einer Zigarette abgebildet. [3] Damit für eine Ausstellung über den Regisseur Jacques Tati (bekannt für seine Pfeife rauchende Filmfigur Monsieur Hulot) geworben werden konnte, musste erst per Retusche eine Pfeife in ein Windrad verwandelt werden. [4]

Dem Philosophen Jean-Paul Sartre war auf ähnliche Weise in einem Ausstellungskatalog seine Rauchware nachträglich abhandengekommen und vom Buchumschlag der Memoiren des früheren Staatspräsidenten Jaques Chirac entfernte der Verlag ein Foto mit Zigarette. [5] Die negative mediale Reaktion auf solche Zensurmaßnahmen veranlasste sogar Antiraucher-Organisationen und den Gesetzesschöpfer zu Distanzierungen. [6] 2011 sah sich das Parlament dann genötigt, eine Ausnahme für nationales Kulturgut zu konzedieren. [7]

„‚Die Antiraucher wollen die Realität zensieren und die Geschichte umschreiben‘“

Dieser kleine Schritt zurück vermag aber über die allgemeine Dynamik nicht hinwegzutäuschen. Die Plattenfirma EMI ließ zum 70. Geburtstag John Lennons für das Coverbild eine Zigarette aus dessen Hand verschwinden [8], das einzige bekannte Foto des amerikanischen Bluesmusikers Robert Johnson erfuhr auf einer Briefmarke dasselbe Schicksal. [9] „Die Antiraucher wollen ständig die Realität zensieren und die Geschichte umschreiben“ kritisiert Joe Jackson, selbst Musiker und seit Jahren mit dem Thema Tabakrauch politisch befasst. Nicht nur Künstler, sondern auch künstlerische Darstellungen von Politikern fallen der Zensur zum Opfer, z.B. die Zigaretten bei Franklin D. Roosevelt (auf einer Briefmarke) oder dem Chinesen Deng Xiaoping, einem sehr starken Raucher, den es schon im Alter von 92 vorzeitig hinweggerafft hatte. Eine Eisenstatue von ihm wurde nachträglich bearbeitet. Ein Schicksal, das dem früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss bisher erspart blieb: Eine ihn abbildende Skulptur sollte nach dem Willen des „Aktionskreises Stuttgarter Nichtraucher” die für ihn typische Zigarre verlieren. [10]

Denn die Attacken auf die Kunstfreiheit erfolgen nicht nur durch staatliche Intervention oder die übereifrige Befolgung von Gesetzen, sondern auch durch einzelne, empörte Antiraucher. Das Ankündigungsplakat zum „Orgel- und Drehorgelfestival“ im hessischen Laubach wurde 2008 nach Einlassungen von „‚kritischen Stimmen‘“ um die Zigarette einer gezeichneten Orgelspielerin bereinigt [11], ein Ausstellungsaushang in München wurde gleich gezielt zerstört. [12] In Österreich veranlasste das Konzert „40 Jahre Woodstock“ einen Tabakfeind, einen Jimi Hendrix imitierenden Gitarristen des Rauchens wegen anzuzeigen [13], und eine Aufführung des Musicals Hair in Barcelona geriet aus gleichem Grunde ins Visier von Denunzianten. [14]

Das Rauchen auf der Theaterbühne ist ein Thema für sich, in Großbritannien darf ein Winston-Churchill-Darsteller keine Zigarre schmauchen. Wie der oben erwähnte Roosevelt war Churchill schon während des Zweiten Weltkriegs von der NS-Propaganda als einer der bösen Raucher verschmäht worden, die sich den vorbildlich nichtrauchenden, auf Langlebigkeit bedachten Achsenführern Hitler und Mussolini in den Weg stellten. [15]

Die Rechtslage in Deutschland mit seinen diversen Rauchverbotsgesetzen lässt den Tabakrauch auf der Bühne nur in einigen Bundesländern zu. „Wenn ein Schauspieler sich auf der Szene genüsslich eine Zigarette anzündet, gibt es Szenenapplaus und Lacher“, berichtet eine Theaterdramaturgin, „was vorher eine Nuance war, ist nun zum riesengroßen Zeichen geworden; auf der Bühne ist erlaubt, was im wirklichen Leben verboten ist.” [16] Mit Protestscheiben geifernder Frühpensionäre ist jeweils zu rechnen.

„Faktisch regiert längst die Schere im Kopf“

Für die Massenmedien Leinwand und Bildschirm gilt das erst recht. 2007 scheiterte die damalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), mit ihrem Versuch, Fernsehsendern einen Rauchverzicht für ihre Produktionen abzuringen. [17] Türkische Verhältnisse, wo die Ausstrahlung der US-Erfolgsserie Mad Men schon zu Bußgeldbescheiden an den betreffenden TV-Sender geführt hat [18], herrschen bei uns zwar noch nicht. Faktisch aber regiert längst die Schere im Kopf. Exemplarisch gibt der für die ARD erstellte Film Contergan die Verbreitung des Rauchens nicht für die 1960er-Jahre authentisch wieder. „Das stand in keinem Verhältnis zur damaligen Wirklichkeit“, räumt Drehbuchautor Benedikt Röskau ein, „aber wenn ich ein Drehbuch schreibe, bin ich mir meiner Verantwortung bewusst“ [19], die in diesem Fall wohl darin bestand, dem Druck des WDR nachzugeben, um von den Fleischtöpfen der öffentlichen Filmfinanzierung weiterhin profitieren zu können. Derlei Geschichtsklitterung ist an der Tagesordnung. Und wer brave Serien mit künstlicher Rauchverbannung herstellt, erhält das „Rauchfrei-Siegel“ einschlägiger Organisationen. [20] Auf diese Weise entwickelt heutige (Kunst-)Zensur aus Sicht des britischen Soziologieprofessors Frank Furedi Orwellsche Ausmaße: Auch die Vergangenheit, konkret das 20. Jahrhundert, soll nachträglich wegzensiert und ausgelöscht werden. [21]

Insbesondere Kindern will man gerne die Augen vor der ‚verderblichen‘ Realität zuhalten, im TV und anderswo. [22] Vor allem in den USA [23] und Großbritannien [24] werden Kampagnen – meist von staatlichen Stellen – gefahren, die Altersfreigabe von Kinofilmen daran zu orientieren, ob Charaktere darin rauchen. „Die Antiraucher üben erheblichen Druck auf Hollywood aus“, stellt Joe Jackson fest, „in der Antiraucherideologie heißt bereits jegliche Anerkennung der Tatsache, dass es Tabak überhaupt gibt, dass man für ihn Werbung macht.“ [25] So war vor ein paar Jahren James Camerons Film Avatar wegen Szenen, in denen die von Sigourney Weaver dargestellte Hauptfigur rauchte, „durchgefallen […] im Anti-Raucher-Test“ [26] und daher Anlass für Galle sprühende Kommentare der üblichen Akteure um den kalifornischen Professor Stanton Glantz.

Auch für Deutschland wird – mit Unterstützung der EU-Kommission – gefordert, „Jugendliche weniger Rauchszenen auszusetzen“, die Altersfreigabe zu erhöhen und Hinweise wie „Warnung für Eltern: In diesem Film wird geraucht“ [27] anzubringen. Die richtigen Fragen dazu stellt Florian Rötzer bei Telepolis: „Aber es gäbe viel, was man nicht zeigen dürfte, weil es ein riskantes Verhalten ist […] Ist es richtig, Kinder und Jugendliche in einer Scheinwelt aufwachsen zu lassen? […] Und wird, was man nicht zeigt, nicht auch deswegen zur Attraktion?“ [28] David Hugendick schlägt in der Zeit vor, demnächst auch den „Gebrauch von Schuss- oder Hiebwaffen, generelles Rowdytum, emotional bedingtes Türenknallen, jedwede Schimpfwörter sowie de[n] Verzehr von Fleisch ohne Biosiegel“ [29] vom Bildschirm zu verbannen.

„‚Wird, was man nicht zeigt, nicht auch deswegen zur Attraktion?‘“

Die organisierte Tabakbekämpfung („Tobacco Control“) unterhält ein weltweites Netzwerk, zu dem auch Wissenschaftler gehören, die in ihrem jeweiligen Land beweisen sollen, dass Minderjährige durch Medienkonsum zum Tabakrauchen animiert werden. Für Deutschland übt diese Funktion der Psychologe Reiner Hanewinkel aus, langjährig mit Gleichgesinnten dem Tabakbekämpfungs-Forum Globalink zugehörig. In seiner vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Studie [30] unterstellt Hanewinkel, dass der Anblick des Rauchens in Filmen junge Leute zum Rauchen motiviere. [31] Ein Großteil der Studienbefunde hat keine Bedeutung für diese Frage und ein direkter kausaler Zusammenhang darf bezweifelt werden. Einige Jugendliche, die sich für eine bestimmte Art von Filmen interessieren, verspüren vielleicht eher eine Neigung zum Ausprobieren des Tabakrauchens, während Gleichaltrige, die noch eher kindlich orientiert sind, andere Filme schauen (die im Schnitt weniger Rauchszenen beinhalten).

Die Erhebung der Tabakbekämpfung zur Staats- und Zivilreligion bringt solche Auswüchse mit sich. Nicht nur Aktivitäten der Obrigkeit, sondern auch private künstlerische Tätigkeit hat sich demgemäß bedingungslos in den Dienst des sanitaristischen Feldzugs zu stellen. Das ist nicht freiheitlich, sondern trägt totalitäre Züge. Hinzu tritt dabei allerdings auch eine allgemeine Tendenz, in vorauseilendem Gehorsam zensorisch auf jedwede Proteste derer zu reagieren, die etwas anstößig finden. Da kann bei einer Theateraufführung dann weißer Rauch, der gar nichts mit Tabak zu tun hat (sondern an Krematorien in NS-Konzentrationslagern erinnert) die Gemüter so erregen, dass ein ganzes Stück abgesetzt wird. [32]

Womit wir wieder bei der in Australien vom Spielplan getilgten Carmen wären. Das hat immerhin den Premierminister des Landes gegen die „wildgewordene politische Korrektheit“ aufgebracht. „Wir hindern das Theater doch auch nicht daran, Macbeth aufzuführen“, so der Monarchiefan, „weil es für die Tötung von Königen wirbt.“

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