19.07.2025
Erdoğans langer Arm in Deutschland
Die islamistische Agenda des türkischen Präsidenten fällt in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Das liegt auch daran, dass sich die deutsche Politik dem nicht entgegenstellt.
Präsident Recep Tayyip Erdoğan mag zunehmend autoritär agieren – seine Vision bleibt dabei unverkennbar: Er will die Türkei zur Führungsmacht einer geeinten muslimischen Welt formen. Und Deutschland spielt in diesem Vorhaben eine zentrale Rolle.
Seit Jahrzehnten baut sich in Deutschland ein wachstumsstarkes Netzwerk islamischer Organisationen auf, das eng mit Erdoğans AKP verbunden ist. Die deutsche Politik, obwohl zunehmend alarmiert, reagiert darauf meist mit Hilflosigkeit.
Zu diesem Netzwerk gehört unter anderem der mächtige Dachverband DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) mit rund 900 Moscheegemeinden und 800.000 Mitgliedern. DITIB untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die nicht nur die Imame nach Deutschland entsendet, sondern ihrerseits direkt Erdoğans Präsidialamt untersteht.
Über den Charakter von Diyanet darf man sich keinen Illusionen hingeben. Ihr Vorsitzender, Ali Erbaş, rief wiederholt zur Eroberung Jerusalems auf, feierte die Hamas – und predigte im Jahr 2021 in der Hagia Sophia mit einem Schwert in der Hand, nachdem das einstige Museum wieder in eine Moschee umgewandelt worden war.
„Erdoğan findet bei der türkischen Bevölkerung in Deutschland größeren Zuspruch als bei vielen seiner Landsleute in der Türkei selbst.“
Ein weiteres wichtiges Element dieses Netzwerks ist die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) mit geschätzten 31.000 Mitgliedern. Sie pflegt enge Beziehungen zur Muslimbruderschaft und strebt die Durchsetzung islamischer Prinzipien in Gesellschaft und Politik an. Immer wieder geriet sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes – heute sitzt sie im „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“, der sich als Partner für islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen positioniert.
Erdoğan findet bei der türkischen Bevölkerung in Deutschland größeren Zuspruch als bei vielen seiner Landsleute in der Türkei selbst. Laut der Konrad-Adenauer-Stiftung hätte Erdoğan bei der türkischen Präsidentschaftswahl 2023 in Deutschland mit 65 Prozent bereits in der ersten Runde gewonnen – ein Ergebnis, das durch das Engagement der UID (Union der Internationalen Demokraten) begünstigt wurde. Offiziell eine NGO, arbeitet die UID effektiv als Lobbyorganisation der AKP.
Seit 2024 mischt nun auch eine offen politische Kraft in Deutschland mit: die Partei Dava (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) – gegründet von AKP-nahen Personen, mit klarer Zielgruppe: deutsche Muslime. Zwar erhielt sie bei den Europawahlen 2024 nur rund 148.000 Stimmen (in Hamburg 2025 0,6 Prozent). Trotzdem muss es beunruhigen, dass es nun in Deutschland eine „sektiererische islamistische Partei gibt, die versucht, die Unterstützung der sich oft nicht gut integriert fühlenden muslimischen Bevölkerung zu gewinnen“, wie ein Kommentator des renommierten Middle East Forums bemerkt. Nur etwa die Hälfte der Muslime in Deutschland (6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) ist aktuell wahlberechtigt – doch durch die neuen Staatsbürgerschaftsgesetze dürfte dieser Anteil bald deutlich steigen.
„Der Einfluss Erdoğans auf Deutschland wäre ohne die jahrzehntelange Naivität – oder Feigheit – der deutschen Politik kaum denkbar.“
Die vielleicht unangenehmste Erkenntnis: Der Einfluss Erdoğans auf Deutschland wäre ohne die jahrzehntelange Naivität – oder Feigheit – der deutschen Politik kaum denkbar. Das Schweigen von Olaf Scholz beim Erdoğan-Besuch im November 2023 bleibt symptomatisch: Kein Widerspruch, als der türkische Präsident – kurz nach den Massakern der Hamas an israelischen Zivilisten – Israel offen angriff und sogar auf das antisemitische Narrativ vom „Kindermörderstaat“ anspielte.
Auch Außenminister Johann Wadephul zeigte eine fragwürdige Prioritätensetzung: Auf Fragen nach den wiederholten türkischen Luftangriffen auf kurdische Gebiete im Norden Syriens erklärte er, die Türkei habe „legitime Sicherheitsinteressen“. Das ist umso bemerkenswerter, da er in Hinblick auf Israel, einen ganz anderen Ton anschlägt: Deutschland solle sich nicht zu „Zwangssolidarität“ mit Israel gezwungen fühlen, sagte er im Mai.
Schon im Sommer 2023, nur wenige Wochen vor den Hamas-Angriffen, kritisierte Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der kurdischen Gemeinde in Deutschland, dass das NRW-Bildungsministerium die DITIB wieder als Partner für islamischen Religionsunterricht zuließ – trotz offen antisemitischer Hetze. (Diyanet hatte kurz zuvor in sozialen Medien erklärt, Israel sei ein „Babymörderstaat“, der „schnellstmöglich gestoppt“ werden müsse.)
„Mit wem der Staat zusammenarbeitet, sendet ein Zeichen – an Muslime ebenso wie an die Mehrheitsgesellschaft“, schrieb Toprak. Kurden, so betont er bei einer Veranstaltung in Berlin Anfang Juli, seien meist pro-israelisch und entschieden gegen Islamismus – nicht zuletzt wegen ihres Einsatzes gegen den IS. Dennoch bleiben ihre Symbole in Deutschland verboten, während palästinensische Flaggen und sogar Hamas-Symbole auf deutschen Straßen zu sehen sind. Das Verbot der YPG-Flagge mitten im Kampf gegen ISIS nannte die taz 2017 treffend ein „Geschenk für Erdoğan“.
„Unsere Politiker müssen den Mut finden, westliche Werte wieder aktiv zu vertreten – und sich ohne Doppelmoral an die Seite derer stellen, die gegen Islamismus kämpfen.“
Zwei Gründe bestimmen die deutsche Appeasement-Politik gegenüber Erdoğan: Erstens die Sorge, inner-türkische Konflikte könnten auf deutschen Straßen eskalieren. Zweitens die politische Erpressbarkeit Deutschlands durch den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal von 2016 – initiiert von Angela Merkel.
Doch die tiefere Ursache liegt in einer fatalen Kombination aus politischer Verwirrung und moralischer Selbstentkernung. Wenn an die 80 Prozent der Deutschen glauben, dass das Land sich in die falsche Richtung bewegt – warum sollten Migranten das anders empfinden? Das deutsche Politikmodell der letzten Jahrzehnte – multikulturell, orientierungslos, anti-patriotisch – wirkt zunehmend auf niemanden mehr anziehend. Die Dava-Partei erkennt diese Leerstelle: Sie verspricht den Kampf gegen „Islamophobie“ – und die Stärkung „traditioneller Werte“. Damit trifft sie einen doppelten Nerv: die Identitätskrise der deutschen Politik und das Integrationsversagen einer Gesellschaft, die ihre eigenen Werte kaum noch verteidigt.
Die Herausforderungen, die aus dem wachsenden Einfluss islamistischer und AKP-naher Strukturen entstehen, werden Deutschland noch lange beschäftigen. Doch eines ist jetzt schon klar: Unsere Politiker müssen den Mut finden, westliche Werte wieder aktiv zu vertreten – und sich ohne Doppelmoral an die Seite derer stellen, die gegen Islamismus kämpfen: Israels und der Kurden. Das würde zumindest klar stellen, wo Deutschland in Sachen Demokratie und Freiheit steht.