23.01.2017
Energiewendeillusionen
Essay von Heinz Horeis
370 Euro pro Jahr zahlt jeder Bürger bereits jetzt für die Energiewende. Das ist erst der Anfang. Die Kosten explodieren, der Nutzen ist zweifelhaft
Nach dem Pariser Klimagipfel geben Politiker und Aktivisten nun ordentlich Gas: In wenigen Jahrzehnten soll sich die Energieversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen speisen. Gelten soll dies für Strom, Verkehr und Wärme. Diese radikale Energiewende, von den Protagonisten „Sektorkopplung“ genannt, ist inzwischen offizielles Ziel deutscher Energiepolitik. Das Vorhaben ist abenteuerlich und würde das Ende Deutschlands als moderner Industrienation bedeuten, setzte man es tatsächlich um.
Gebracht hat uns die Energiewende nach knapp zwei Jahrzehnten die höchsten Strompreise, Energiearmut für die Ärmsten und ein verschandeltes Land. Ein ehemals ausgezeichnet funktionierendes Energiesystem ist schwer angeschlagen; das neue, „erneuerbare“ System hat vor allem einen sich stetig ausweitenden Morast an Subventionen hervorgebracht. Trotz dieser katastrophalen Zwischenbilanz denkt kein Verantwortlicher ans Umsteuern. Im Gegenteil: Die Energiewende soll offenbar noch radikaler umgesetzt werden, als man sich heute vorstellen kann.
„Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen sprach von einem ‚historischen Klimaschutzabkommen‘“
Die Klimapolitiker berufen sich dabei auf den Klimagipfel Ende letzten Jahres in Paris. Dort beschlossen die 195 teilnehmenden Staaten zwar wenig Verbindliches, trotzdem wurde in Deutschland gejubelt. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen sprach von einem „historischen Klimaschutzabkommen“. Eine „Kehrtwende in Richtung klimaverträglicher Weltwirtschaft“ müsse sofort eingeleitet werden, um die Emissionen rasch auf null zu bringen. Damit sei das Ende von Kohle, Erdöl und Gas eingeleitet.
Wie das gehen soll, hat Greenpeace Deutschland Ende Juni in dem Papier „Sektorkopplung durch die Energiewende“ dargelegt. Ziel ist es, die drei Sektoren Verkehr, Wärme- und Strommarkt in einer totalen Energiewende zusammenzufassen. Verfasst hat die Studie ein Team um Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Quaschning ist vehementer Verfechter der Ökoenergie, ein Überzeugungstäter. Nebenbei ist er auch Ingenieur. So kommt er an der Wirklichkeit nicht ganz vorbei und liefert mit der Studie, wohl ungewollt, eine unbequeme Wahrheit: Eine konsequent umgesetzte totale Energiewende würde Deutschland ein in Ausmaß und Ineffizienz monströses und teures Energiesystem bescheren. Wenn es denn überhaupt funktioniert.
Abenteuerliche Pläne
Spätestens bis 2040, so die Studie, müsse Schluss mit Kohle, Erdöl und Erdgas sein. Mehr Hybris geht nicht. Die fossile Energieversorgung ist über viele Generationen gewachsen und deckt seit Jahrzehnten konstant um neunzig Prozent des globalen Energieverbrauchs (siehe Abbildung 1). Sie lässt sich nicht mal eben durch „erneuerbare Energiequellen“ ersetzen, zumal diese auch noch ineffizienter und global nicht wettbewerbsfähig sind. Nicht ohne Grund konnten sich Windräder und Solarzellen bis vor kurzem nur in Nischen einrichten. Und was heute vorhanden ist, existiert allein durch Subventionen. Auf Dauer lässt sich damit keine Energiewende machen. Diese setzt wettbewerbsfähige Energietechnologien voraus. Windräder und Solarzellen müssen Strom verlässlich und mit vergleichbaren Kosten wie Kern-, Kohle- und Gaskraftwerke liefern. Können sie das nicht, wäre eine (totale) Energiewende abenteuerlich.
Abbildung 1: Primärenergie in den G20-Staaten – prozentuale Verteilung 1
Von Wettbewerbsfähigkeit sind Windräder und Solarzellen weit entfernt. Sie leben zweifach parasitär: Ihr hoher Materialbedarf wird von einer Industrie gedeckt, die kostengünstig fossil/nuklear funktioniert. Und ohne verlässliche Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke, die bei Flaute und Dunkelheit liefern, sind die zahlreichen Windräder und Solaranlagen nutzlos.
Verdopplung des Strombedarfs
Wie soll nun die totale Energiewende aussehen? Quaschnings Team verbannt Kernenergie, Kohle, Erdgas und Öl aus der gesamten Volkswirtschaft und ersetzt diese komplett durch erneuerbare Energien. Wasserkraft, Erdwärme und Bioenergie, so die Studie, können dabei nur eine kleine Rolle spielen. Wind- und Sonnenenergie sollen ab 2040 nahezu vollständig die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr versorgen.
Das bedeutet: Viel, viel mehr Strom als heute muss her. Derzeit benötigt Deutschland pro Jahr rund 630 Terawattstunden (Billionen Wattstunden, TWh). Für die totale Energiewende setzt Greenpeace 1320 TWh pro Jahr an. Der Wert ist niedrig. Erreichen lasse er sich laut Studie nur durch „ambitionierte Effizienzmaßnahmen“. Ohne diese bräuchte das Land 3000 TWh. Ersteres sei aus regenerativen Quellen in Deutschland zu decken, letzteres aber nicht. Die totale Energiewende funktioniert also nur bei Deckelung des Bedarfs. Für die Zukunft ist Energieknappheit angesagt.
„Ohne eine erfolgreiche Energiewende im Wärmesektor ist ein erfolgreicher Klimaschutz in Deutschland unmöglich“
Der größte Brocken ist der Wärmesektor. Für Heizung, Warmwasser und Prozesswärme benötigen Haushalte und Industrie jährlich bis zu 1500 TWh (Stand 2013) an Energie. Fossile Brennstoffe, vor allem Erdgas, decken heute den größten Teil davon. „Ohne eine erfolgreiche Energiewende im Wärmesektor“, so die Studie, „ist ein erfolgreicher Klimaschutz in Deutschland unmöglich“. Ab 2020 dürfen deshalb keine neuen Gas- oder Ölheizungen installiert werden. Auch die bislang erwünschten und geförderten Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung müssen weg.
Gebäude müssen saniert und massiv gedämmt werden. Das würde den Wärmebedarf um 30 bis 50 Prozent senken. Kosten nennt die Studie nicht. Eine vergleichbare Schätzung liefert Michael J. Kelly, Professor an der Universität Cambridge (UK) 2. Er hat für Großbritannien berechnet, was man ausgeben müsste, um den Energiebedarf aller Gebäude zu halbieren. Sein Ergebnis: drei Billionen Dollar! Vergleichbar hohe Ausgaben würden auch auf Deutschland zukommen.
Für die Gebäudeheizung setzen die Autoren vor allem auf elektrisch betriebene Wärmepumpen. Für diese Technologie hatten sich deutsche Energieversorger schon nach dem Ölpreisschock von 1972 stark gemacht. Die grüne Bewegung war allerdings strikt dagegen. Sie sah darin einen Plot der Industrie, um billigen Nuklearstrom zu verkaufen. Gegen teuren Grünstrom zum Betrieb von Wärmepumpen gibt es heute keine Einwände. Durch Windstrom erzeugtes Gas, so die Studie weiter, soll Hochtemperaturwärme für die Industrie liefern. Das grüne Lager ist sich hier allerdings nicht einig. Rainer „Mister Energiewende“ Baake, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, ist strikt dagegen, „wertvollen Ökostrom“ zur Wärmerzeugung zu verplempern.
Für den gesamten Wärmebedarf setzt Quaschning etwa 400 TWh an. Mit 730 TWh kommt der Verkehr als dritter Sektor dazu. 94 Prozent dieses Bedarfs decken derzeit fossile Energieträger. „Wertvoller“ Strom aus regenerativen Kraftwerken soll diese bis 2040 nahezu vollständig ersetzen. Schon in zehn bis fünfzehn Jahren dürfen deshalb Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht mehr zugelassen werden. Biotreibstoffe spielen in dem Szenario nur eine kleine Rolle. Diese würden zu viel Ackerfläche benötigen. Auch die Produktion von gasförmigen und flüssigen Treibstoffen mittels Ökostrom wird verworfen, da die Umwandlungsverluste den Strombedarf auf bis zu tausend TWh steigern würden. Deshalb fährt fast alles mit Strom: Den Individualverkehr sollen mit Batterien ausgestattete Elektrofahrzeuge bedienen. Und, kaum zu glauben, Autobahnen und Fernstraßen erhalten Oberleitungen, an denen Busse und LKWs hängen. Verkehr 4.0 – Hightech vom Feinsten.
Verdrahtet, verspargelt und verspiegelt
Alle Sektoren sollen weitgehend mit Strom aus Windrädern und Solarzellen laufen. Es sind von Natur aus dünne, leistungsschwache Energiequellen – mit entsprechend hohem Materialbedarf und hohen Erzeugungskosten. Schlimmer noch: Ausgerechnet im Land der Energiewende sind die Bedingungen für die Erzeugung von Grünstrom schlechter als in anderen Ländern. Deutsche Windräder lasten im Durchschnitt nur um die zwanzig Prozent ihrer installierten Kapazität aus. Das liegt um ein Drittel unter dem, was Windräder in besseren Lagen bringen, etwa an der britischen Atlantikküste oder auf den weiten Ebenen Spaniens. Noch schlechter steht’s um Photovoltaik: Die zehn Prozent Auslastung in Deutschland müssen mit der mehr als doppelten Auslastung in sonnenreichen Regionen wie Spanien konkurrieren.
Die schlechte Performance kümmert Greenpeace wenig: Man setzt weiter auf die karnickelartige Vermehrung von Windrädern und PV-Zellen. 2040 sollen sich zu Lande Windräder mit einer Nennleistung von 200 Gigawatt (GW) drehen, dazu auf See 76 GW. Das ist das Sechsfache der heute installierten Kapazität. Die Photovoltaik soll, im sonnenreichen Deutschland, sogar um das Zehnfache auf 400 GW wachsen. Chinas PV-Hersteller werden sich freuen. Zusammen macht das eine installierte Leistung von fast 700 GW aus. Zum Vergleich: Die konventionelle Stromerzeugung kommt heute mit einem Fünftel an installierter Kapazität aus.
„Das größte Problem der Energiewende ist, die nötigen Flächen für Windkraft und Photovoltaik zu finden“
Wohin mit all den Windrädern und PV-Anlagen? Das größte Problem der Energiewende, so stellt Quaschning fest, sei es, die nötigen Flächen für Windkraft und Photovoltaik zu finden. Heute drehen sich in Deutschland etwa 26.000 Windräder. Nach der Totalwende wären es etwa 80.000 – im besten Fall. Wenn die optimistischen Annahmen der Studie zur Effizienz nicht realisierbar sind, dann könnten es schnell zwei- bis dreimal so viele sein.
In Deutschland gäbe es dann kaum noch Landstriche und Wälder ohne Windrad. Vollgestellt wäre die Nordseeküste. Auch die Inseln, von Borkum im Westen bis Sylt im Norden, kämen nicht ungeschoren davon. Sie bieten die besten Bedingungen für Windenergie. Im Binnenland ginge es vor allem den Mittelgebirgszügen an den Kragen: von Harz und Teutoburger Wald über Westerwald, Taunus und Pfälzerwald bis zu Schwäbischer Alb, Schwarzwald und Bayerischem Wald.
Knackpunkt Speicher
Doch Platz ist nicht das größte Problem der totalen Energiewende. Es ist der immense Bedarf an Speicherkapazität. Die Sonne liefert nicht bei Dunkelheit und der Wind nicht bei Flaute. Perioden ohne nennenswertes Aufkommen von Grünstrom müssen überbrückt werden. Heute machen das noch die natürlichen Energiespeicher Kohle, Erdgas und Uran. Sie retten die parasitären Grünstromer, die ihnen als Dank den Lebenssaft aussaugen. Ohne Speicher ist eine Energiewende nicht machbar. Darin sind sich die Befürworter einig. Dass die Wende mit Speichern unbezahlbar ist, hat sich noch nicht herumgesprochen. Kein Politiker scheint wissen zu wollen, wie groß die Speicher tatsächlich sein müssen. Da geht es nicht um Megawatt, sondern um Gigawatt. Diese Mengen „erneuerbar“ bereitzustellen, liegt jenseits aller Wirtschaftlichkeit.
Auf absehbare Zeit sind nur Pumpspeicherkraftwerke soweit ausgereift, dass sie große Strommengen einigermaßen wirtschaftlich speichern können. Deutschlands größtes Pumpkraftwerk Goldisthal im Thüringer Wald hat eine Leistung von 1060 MW. Ein ganzer Berggipfel musste für das 55 Hektar große Oberbecken eingeebnet werden. Ist es gefüllt, kann das Kraftwerk acht Stunden lang Strom liefern. Das entspricht einer Energiemenge von acht GWh. Das klingt viel, wäre aber nur ein kleiner Pups in der totalen Grünstromwelt. Denn dort müssten Stromspeicher Stunden, Tage und Wochen überbrücken, in denen die Stromerzeugung aus Wind und Sonne gegen Null geht.
Eine einfache Rechnung ergibt: Um eine zweiwöchige Ökostrompause zu bewältigen, wären etwa dreitausend Goldisthal-Kraftwerke erforderlich – bei heutigem Stromverbrauch wohlgemerkt. Doppelt so viele Anlagen müssten es sein, wenn Greenpeace den Stromverbrauch, wie geplant, verdoppelt. Und das gilt nur für eine zweiwöchige Pause. Auch auf längere Perioden ohne nennenswerten Beitrag von Wind- und Sonnenstrom muss man sich einstellen.
Das Beispiel zeigt, dass der durch die unstete Erzeugung von Sonnen- und Windstrom selbst verschuldete Bedarf an Speicherleistung enorm wäre. Einmal davon abgesehen, dass man dafür einige Billionen Euro investieren müsste – in Deutschland könnte man von der Geographie her nicht einmal hundert große Pumpspeicher unterbringen. Bei den von der Natur bereitgestellten Energiespeichern Uran, Kohle und Erdgas ist die Stetigkeit der Versorgung bereits inbegriffen und zudem wesentlich günstiger.
Rettung durch Gas?
Pumpspeicher fallen also aus; sie werden in der Greenpeace-Studie nicht einmal erwähnt. Offensichtlich ist auch den Autoren klar, dass es damit einfach nicht funktioniert. Ihre Alternativen sind Batterie- und Gasspeicher. Batterien werden derzeit vermehrt eingesetzt, um kurzzeitige Schwankungen in Stromnetzen auszugleichen. Doch das ist teuer und um Größenordnungen entfernt von den benötigten Gigawatts. Auch die Batterien von Elektroautos können es nicht richten. Das ginge vielleicht bei kleinen Mengen an „Überschussstrom“. Nicht aber mit Greenpeace’ totaler Energiewende. Selbst die Batterien von sechzig Millionen Elektroautos könnten zusammen gerade einmal einen Tag an Null-Leistung von Windrädern und PV-Zellen überbrücken – vorausgesetzt natürlich, die Fahrzeuge stehen.
„Die Zukunft soll dem Windgas gehören“
Rettung verspricht sich die Ökoindustrie von einem Speicher aus der fossilen Ära: dem deutschen Erdgasnetz. In seinen Leitungen und unterirdischen Gasspeichern steckt Gas mit einem Energiegehalt von rund 200 TWh. Zweifellos genug, um auch längere Phasen mit Windstille und Dunkelheit zu überbrücken. Sind, wie geplant, die deutschen Kern- und Kohlekraftwerke erst einmal abgeschaltet, bleiben ohnehin nur Gaskraftwerke, um das parasitäre erneuerbare Energiesystem am Leben zu erhalten. Das Erdgas dafür liefert derzeit vor allem Russland; die Zukunft aber soll dem Windgas gehören.
Windgas, auch Power to Gas (PtG) genannt, wird mit politisch korrektem Strom aus Wind und Sonne erzeugt und im Gasnetz gespeichert. Alles machbar. Zumindest theoretisch. Aber praktisch, mit erneuerbarer Energie, genauso wenig machbar wie tausende von Pumpspeichern. Denn die Umwandlungskette Windstrom – Windgas – Strom ist hoffnungslos unwirtschaftlich: Windräder liefern Strom, der mittels Elektrolyse Wasserstoff erzeugt. Hier geht schon einmal ein Viertel der Energie als Wärme verloren. Danach wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid methanisiert, bei einem Umwandlungsverlust von etwa zwanzig Prozent. Das Methan wird dann ins Gasnetz geleitet und bei Bedarf in Gaskraftwerken zur Stromerzeugung verheizt. Der Wirkungsgrad ist hier zwischen vierzig und sechzig Prozent.
Die gesamte Kette hat einen Wirkungsgrad von etwa dreißig Prozent. „Nichts ist teurer als mithilfe von Power-to-Gas gespeicherte Energie aus Solar- oder Windkraft wieder in Strom umzuwandeln“, sagt Olaf Wollersheim, Leiter des Projekts Stromspeicherung am Karlsruher Institut für Technologie. In einer Studie aus dem Jahr 2015 werden für den so erzeugten Strom Gestehungskosten von über 30 Ct/kWh errechnet.
„Laut Greenpeace sei die Kostendebatte nur vorgeschoben“
Für Greenpeace stellt sich die Kostenfrage nicht. Die Kostendebatte sei „vorgeschoben“, erklärte Quaschning bei der Vorstellung der Studie in Berlin. „Der deutsche Durchschnittshaushalt gibt derzeit weniger als einen Euro pro Tag für die Rettung der Welt aus.“ Jürgen Trittin sprach noch von den Kosten einer Kugel Eis, die jeder Haushalt pro Monat für die Ökoenergien aufwenden müsse. Quaschning ist bereits bei einer Kugel Eis pro Tag angelangt – dem 30-fachen Wert.
Was braucht es nun für den Öko-Speicherstrom? Natürlich tausende von Windmühlen und Millionen von PV-Zellen, die teuren Strom liefern. Da ist nichts mit „kostenlosem Überschussstrom“. Dann, laut Studie, 80 GW an Anlagen zur Elektrolyse. Zur Verstromung des Gases 76 GW an installierter Kraftwerksleistung. Hierfür wünscht sich Greenpeace Gas-und-Dampf-Kraftwerke. Sie kombinieren Gas- und Dampfturbine und ermöglichen so einen hohen Wirkungsgrad von 60 Prozent. Sie zählen zum Besten, was es an fossiler Kraftwerkstechnologie derzeit gibt. Sie sind entsprechend teuer, sollen in der totalen Grünstromwelt aber nur 1.500 Volllaststunden pro Jahr liefern. Den größten Teil des Jahres ruhen sie. Auch das kostet.
Ausblick
Stromkunden zahlen für die Energiewende derzeit nahezu dreißig Milliarden Euro pro Jahr. Pro Person macht das jährlich rund 370 Euro. 2016 stieg die EEG-Umlage auf ein Rekordhoch von 6,35 Cent je Kilowattstunde; 2010 lag sie noch bei 2,05 Cent. Begonnen hatte sie 1998 mit 0,08 Ct/kWh. Die Kostenentwicklung kennt offenbar nur eine Richtung: nach oben. Und daran wird sich kaum etwas ändern. Mit jedem neuen Windrad steigen die Strompreise (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Strompreise versus Nennleistung von Solar- und Windanlagen in Europa 3
„Alles in allem dürfte das Abenteuer Totalwende etliche Billionen Euro kosten“
Weitere Kostentreiber sind absehbar: neue Stromtrassen. Mehr und mehr Eingriffe, um das Netz stabil zu halten. Digitalisierung des Netzes. Windräder in Nord- und Ostsee, die doppelt so teuer sind wie auf dem Land. Und dann der absehbar größte Kostentreiber: grüner Speicherstrom. All das befeuert eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale. Denn der Bau von Windrädern und Solaranlagen, Elektrolyseuren und Gaskraftwerken benötigt Rohstoffe und Energie. Und je mehr teure erneuerbare Energie dafür eingesetzt wird, desto teurer werden die Anlagen selbst.
Alles in allem dürfte das Abenteuer Totalwende etliche Billionen Euro kosten. Und was gibt es dafür? Ein schlechteres Energiesystem als das vorhandene. Deutschland gäbe Billionen Euro aus, um im Hauruck-Verfahren ein stabiles und kostengünstiges System durch ein unzuverlässiges und teures zu ersetzen. Das ist, gelinde gesagt, abenteuerlich. Und das zu einer Zeit, wo Deutschlands Fundamente bröckeln – buchstäblich an Brücken und Straßen, in maroden Schulen und Universitäten. Wo Sozialausgaben massiv wachsen, wo öffentliche Schulden in Billionen gemessen werden.
„Die grüne Lobby will um jeden Preis das Klima retten und das ‚böse‘ Kohlendioxid aus der Welt schaffen.“
Für die grüne Lobby zählt dies nicht. Sie will, buchstäblich um jeden Preis, das Klima retten und das „böse“ Kohlendioxid aus der Welt schaffen. Aufgabe eines Energiesystems ist aber nicht die Vermeidung von CO2. Vielmehr soll es Energie günstig und verlässlich bereitstellen und das in den großen Mengen, die moderne Industriegesellschaften benötigen. Dafür braucht es Energietechnologien mit hohem Erntefaktor (siehe Box). Das ist vorrangig. Davon, und nicht vom Klimawandel, hängen Leben und Wohlleben der Menschen auf diesem Planeten ab. Die möglichen Folgen eines Klimawandels, wenn sie denn negativ sind, sind verglichen damit zweitrangig.
Anhang: Maßstab Erntefaktor
Man misst den Erntefaktor (energy returned on invested, abgekürzt EROI) einer Energietechnologie, indem man dazu die Menge an Nutzenergie, die ein Kraftwerk liefert, durch die Energiemenge dividiert, die für Bau, Betrieb, Unterhaltung, Abriss und Entsorgung der Anlage benötigt wird.
Je höher der Erntefaktor einer Energietechnologie, desto mehr „freie Energie“ liefert sie. Und davon hängen die Lebensumstände einer Gesellschaft ab (siehe auch M.J. Kelly). Bei EROI = 1 gäbe es keine menschliche Gesellschaft. Mindestens 3 oder 4 sind notwendig, damit kleine Horden von Jägern und Sammlern überleben können. Ein Erntefaktor größer 5 in der Erzeugung der Grundlastenergie ermöglicht eine Gesellschaft, die sich ernähren und ein einfaches Bildungssystem unterhalten kann. Ein EROI > 10 erlaubt die Existenz von Gesellschaften mit internationalem Handel und hochentwickelter Kultur. Und ein EROI > 50 wäre wohl für raumfahrende Gesellschaften erforderlich. Auch wenn andere Faktoren eine Rolle spielen – letztlich entscheidet die Verfügbarkeit von (freier) Energie über Armut und Wohlstand.
Die Erntefaktoren diverser Kraftwerke, ermittelt von Weißbach et al. 4, zeigt Abbildung 3: Die konventionellen Stromerzeuger haben viel höhere Erntefaktoren als die erneuerbaren. Strom aus Sonne und Biomasse ist nicht wirtschaftlich; Windstrom könnte es schaffen, wenn es ohne Speicher ginge. Aber der ist zwingend erforderlich, und damit rauscht das Gesamtsystem Windrad + Speicher in den Keller.
Abbildung 3: Erntefaktoren verschiedener Energieerzeugungstechnologien. Moderne Industriegesellschaften benötigen Energiequellen mit Erntefaktoren oberhalb des wirtschaftlichen Grenzwertes.
Abbildung 4: Nächtliche Stromerzeugung (Quelle: EEX Transparency, 10. September 2016)
Aber selbst wenn man das Speicherproblem ignoriert: Die Erntefaktoren der Grünstromtechnologien bleiben gegenüber denen von Kohle-, Gas- und Kernkraftwerken weit zurück. Dauerhaft – „nachhaltig“ – können sie keine moderne Industriegesellschaft antreiben. Wer, wie die deutsche Politik, dennoch auf 100 Prozent erneuerbare Energien setzt, wird das Land nachhaltig ruinieren. It is the EROI, stupid!
Anhang: Der Speicherwahnsinn
Die EEX-Transparency Plattform zeigt täglich den aktuellen Stand der Stromerzeugung in Deutschland. Unterschieden wird nach konventioneller (Kernenergie, Kohle und Gas) und grüner Erzeugung. Strom aus Wind und Sonne wird getrennt ausgewiesen. Der tägliche Blick auf diese Plattform lohnt sich. Wer das macht, wird den Glauben an die Energiewende rasch verlieren. Ohne Kohle, Gas und Kernenergie geht gar nichts.
Die Abbildung zeigt am 10. September 2016 eine Situation, die durchaus häufig vorkommt. Von Mitternacht bis 8.00 Uhr morgens stammt der Strom nahezu ausschließlich aus konventionellen Quellen von etwa 45 Gigawatt Leistung. Zusammen liefern sie in diesem Zeitraum 45 GW x 8 h = 360 GWh. Trüge die deutsche Energieversorgung bereits das Siegel 100 Prozent Grünenergie, so müsste zur Überbrückung dieser einen Nacht eine Speicherkapazität von 40 Pumpspeichern à la Goldisthal bereitstehen.
Benutzt man PtG, erfordert die Deckung des Bedarfs von 360 GWh letztlich 1000 GWh an Windstrom, wie die Umwandlungskette zeigt:
640 GWh müssen vergeudet werden, um das gleiche Produkt, das am Anfang der Kette steht (nämlich Strom), noch einmal bedarfsgerecht bereitzustellen. Ein Irrsinn!
Wie war das noch mit dem „kostenlosen Überschussstrom“?