26.10.2016

Gabriels Aufbruch in die Energiearmut

Analyse von Peter Heller

Titelbild

Foto: Sebastian Vandrey via Flickr (CC BY 2.0 / bearbeitet)

Energiewende ist doch ganz einfach, oder? Die Wahrheit ist: Energie muss zu einem knappen und teuren Luxusgut werden, will man die Energiewende erfolgreich umsetzen.

Energie, so führt das Bundeswirtschaftsministerium in seinem aktuellen „Grünbuch Energieeffizienz“ aus, sei zentraler Produktions- und Mobilitätsfaktor und Grundvoraussetzung für das Funktionieren unseres Alltags. Dies werde auch in Zukunft so bleiben. Wahre Worte, denen man kluge Taten folgen lassen könnte. Wer aber angesichts dieser Prämisse die Gestaltung von Rahmenbedingungen zur Steigerung der Versorgungssicherheit bei gleichzeitig sinkenden Preisen erwartet, wird bitter enttäuscht. Denn nichts hat der Wirtschaftsminister weniger im Sinn, als mehr Wohlstand zu schaffen. Vielmehr geht es ihm laut „Grünbuch“ darum ein hohes Wohlfahrtsniveau zu erhalten.

Wohlfahrt statt Wohlstand erscheint im Lichte des Papiers als ein durchaus sinnvoller Begriffstausch. Steht „Wohlfahrt“ doch im alltäglichen Sprachgebrauch für staatliche Transferleistungen zur Sicherung von Grundbedürfnissen. Und wenn die im „Grünbuch“ ausgebreiteten Ideen zur Umsetzung gelangen, werden viele Bürger in Zukunft ihr Grundbedürfnis nach Energie aus eigener Kraft kaum mehr stillen können oder bei anderen Bedürfnissen zurückstecken müssen.

Als künftige Prämisse seiner Energiepolitik ruft Gabriel ein neues Leitprinzip namens „Efficiency First“ aus. Denn eine Energieeinheit, die eingespart werde, müsse nicht erzeugt, gespeichert und transportiert werden. Dadurch sänken die Energiekosten, was wiederum mehr Wertschöpfung und mehr Investitionen in Deutschland induziere. Klingt einleuchtend, hat aber einen Haken. Denn es stimmt nur dann, wenn die gesparten Mittel wieder in den Konsum fließen. Wer weniger Geld für das Heizen ausgibt, hat zum Beispiel mehr für häufigere oder längere Reisen übrig. Durch effizientere Flugzeuge sinken die Ticketpreise und mehr Menschen können öfter fliegen. Wenn Kühlschrank, Waschmaschine und Trockner weniger Strom fressen, sind noch ein paar zusätzliche Verbraucher drin: ein größerer Fernseher beispielsweise oder ein leistungsstärkerer Computer. Und wenn Autos weniger verbrauchen, können mehr Nutzer eines unterhalten und längere Strecken mit ihm zurücklegen.

„Das oberste Ziel Sigmar Gabriels sind Einsparungen in allen Sektoren der Wirtschaft.“

Es sind diese Rückkopplungen, neudeutsch auch Rebound-Effekte genannt, die den Kauf effizienterer Geräte rechtfertigen. Der Rebound ist dabei nicht nur eine Folge steigender Effizienz, sondern auch ihre Ursache. Man möchte ein effizienteres Gerät nicht einfach so, sondern weil man damit Geld spart, das man für etwas Anderes ausgeben kann.

Abbildung 1: Energieeffizienz und Rebound im Straßenverkehr

Genau deswegen dient „Efficiency First“ nicht der Befeuerung von mehr Innovationen und mehr Investitionen in diesem Kreislauf, der eine Quelle unseres Wohlstands darstellt. Denn das oberste Ziel Sigmar Gabriels sind Einsparungen in allen Sektoren der Wirtschaft über alle Bedarfsfelder hinweg. Um dies zu erreichen, gilt es vor allem, den Rebound zu verhindern. Hierzu setzt man beim Verbraucher an. „Aus einer planerischen Perspektive“, so heißt es entsprechend im „Grünbuch“, „sollen Dimensionierung und Ausgestaltung des Systems vorrangig von der Nachfrageseite bestimmt werden.“

Es geht darum, den Verbraucher durch höhere Energiekosten zum Sparen zu zwingen. Flexible Abgaben sollen dafür sorgen, dass der Kunde weder von sinkenden Preisen für Energieträger, noch von effizienteren Produkten profitiert. Ganz gleich, was beispielsweise die Mineralölkonzerne unternehmen, eine atmende Steuer sorgt für einen gleichbleibend hohen Benzinpreis an der Zapfsäule. Reagieren die Automobilhersteller mit effizienteren Fahrzeugen, erhöht man die Steuer einfach weiter. Denn nur, wenn für viele Bürger die Nutzung eines PKW zu teuer wird, kann die gewünschte Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs gelingen. Zur Not hilft eine „Preissteuerung über bestimmte Mautmodelle“, also zusätzliche Straßennutzungsgebühren.

„Strom soll bei weiterer Fortführung der Energiewende zu einem ‚kostbaren und knappen Gut‘ werden.“

Strom soll bei weiterer Fortführung der Energiewende zu einem „kostbaren und knappen Gut“ werden, wie die Verfasser in überraschender Offenheit zugeben. Biomasse, so räumen sie außerdem ein, sei zwar „universell einsetzbar“ (kein Wunder, handelt es sich doch um Kohlenwasserstoffe), aber ebenfalls „knapp“.

Sollten die preisgestaltenden Instrumente nicht ausreichen, hält das „Grünbuch“ weitere Empfehlungen bereit. Etwa „ordnungsrechtliche Vorschriften auf nationaler oder EU-rechtlicher Grundlage, die Ge- und Verbote beinhalten“. Aber Achtung: „Wichtige Voraussetzung für die Effektivität ordnungsrechtlicher Instrumente ist die Sicherstellung ihres Vollzugs.“ Dafür muss man den Verbraucher noch etwas enger an die Leine nehmen: Intelligente Stromzähler, mit denen Behörden den heimischen Verbrauch kontrollieren können, helfen bei der „Sicherstellung des Vollzugs“ ungemein, denn auf der Grundlage „automatisierter Verbrauchserfassungen“ können „individuelle Einsparpotentiale“ erkannt und quantifiziert werden.

Das „Grünbuch Energieeffizienz“ beschreibt unter den drei Überschriften „Mengensteuerung“, „Ordnungsrecht“ und „Preissteuerung“ genau nicht den Weg zu mehr Energieeffizienz, sondern vielmehr den Eintritt in die vollendete Planwirtschaft im Energiebereich, in der der Staat bestimmt, welche Energieträger in welcher Menge zu welchem Preis und zu welchen Zwecken gehandelt werden dürfen. Sollten die Vorschläge aus dem Hause Gabriel Realität werden, würde der „zentrale Produktions- und Mobilitätsfaktor“ und die „Grundvoraussetzung für das Funktionieren unseres Alltags“ vollständig von Behörden kontrolliert und reguliert werden. Und zwar in der Absicht, seine Verfügbarkeit und Verwendung massiv zu begrenzen. Die Folgen wären wenig erfreulich: Konsum und Investitionen in Innovationen reduzieren sich. Wertschöpfung wird verhindert und Wohlstand vernichtet statt geschaffen.

„Nun ist es amtlich bestätigt: Windräder, Solarzellen und Faulgasreaktoren bringen es nicht.“

Diese politischen Strategien, die Deutschland in die Energiearmut führen, sind vor dem Hintergrund der Energiewende notwendig. Jahrelang haben viele Politiker, Interessengruppen und Medien der Öffentlichkeit vorgegaukelt, es ginge lediglich darum, uns in ein Schlaraffenland sauberer in beliebigen Mengen zu geringen Kosten verfügbarer Energie aus Wind, Sonne und Energiepflanzen zu führen. Tatsächlich haben diese Alternativen aufgrund der geografischen Bedingungen hierzulande schlicht nicht das Potential, unseren gegenwärtigen Energiebedarf auch nur annähernd zu decken. Dies wurde entweder verschwiegen oder nicht begriffen. Nun ist es amtlich bestätigt: Windräder, Solarzellen und Faulgasreaktoren bringen es nicht. Deswegen war die zentrale Idee hinter der Energiewende von Anfang an eine massive Verminderung des Energieverbrauchs um 50 Prozent, so dargelegt in der Studie „Energieszenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung“ aus dem Jahre 2009.

Kurz gesagt: Es geht um Verzicht. Kostensenkung durch Effizienzgewinne darf nicht an den Verbraucher weitergegeben werden. Sonst würde der das Geld nutzen, um etwas Anderes zu kaufen, das wieder mit Energieverbrauch einherginge. Daher gibt es keine andere Möglichkeit, die Energiewende umzusetzen, als die, die das Wirtschaftsministerium in seinem „Grünbuch“ skizziert. Die Bundesregierung agiert konsequent. Sie wird diesen Weg weiter beschreiten, solange eine Mehrheit der Bevölkerung die Energiewende begrüßt.

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