22.05.2019

Elite des Nichts

Von Andreas Müller

Titelbild

Foto: richardhe51067 via Flickr / CC BY 2.0

Die Vertreter einer selbsternannten Elite verstehen sich als linksliberal, grün, urdemokratisch, aufgeklärt und auf der Seite der Wissenschaft stehend. Eigentlich sind sie nichts davon.

Der Soziologiestudent Terry Newman schrieb im Freidenkermagazin Quilette: „Mein Doktorvater konnte die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, dass ich die Vorherrschaft der Weißen anstrebe. Wie Goebbels.“ Der Anlass? Newman hört sich gerne Podcasts des beliebten liberalen Comedians Joe Rogan an. Eine Studie namens „Alternative Influence: Broadcasting the Reactionary Right on YouTube“ des Forschungsinstituts Data and Society, finanziert von The New York Times, UNICEF, der Bill & Melinda Gates Foundation und anderen, verortet Rogan, zusammen mit diversen US-amerikanischen Konservativen, Mitte-Liberalen und Libertären, in einem „Netzwerk“ von YouTubern. Dieses Netzwerk wird von den Autoren als eine Art Einstiegsdroge für Nazis wie Richard Spencer angesehen. Warum? Konservative, Liberale, Libertäre und Nazis gehören alle nicht zum „linken“ Mainstream, sie folgen also nicht der Ideologie, welche die Elite im Westen vorgibt. Diese Gemeinsamkeit ist den Studienautoren schon verdächtig genug, um derart fundamental unterschiedliche ideologische Gruppierungen alle über einen Kamm zu scheren.

Die Elite einer Gesellschaft sind jene Menschen, die ihrer Kultur und Politik die Marschrichtung vorgeben. Dazu gehören führende Politiker, Publizisten, Wissenschaftler und Kulturschaffende. Sie legen fest, was gedacht, gesagt und getan werden soll. Sie bestimmen, was „politisch korrekt“ ist und welche Tabus beachtet werden müssen. Von ihnen geht der politisch-kulturelle Mainstream aus, also Menschen, welche die dominante Ideologie in der Öffentlichkeit vertreten und verteidigen, ohne sie unbedingt wirklich zu verstehen oder aus tiefster Überzeugung zu handeln. Beispielsweise gilt es in unserer Gesellschaft als schick, sich für Ideen wie „Nachhaltigkeit“ und „Klimagerechtigkeit“ auszusprechen. Die dominanten Ideen müssen nicht konsistent zusammenhängen oder Sinn ergeben.

Der Mainstream hängt etwa auch dem Verschwörungsmythos rund um Trumps geheime Absprache mit Russland an, die ihm den Wahlsieg verschafft haben soll. Wo sind die Belege?, fragten die Skeptiker. Warten wir auf den Bericht von Sonderermittler Robert Mueller, hieß es, der wird alles beweisen. Nun ist der Bericht da und er hat aufgezeigt, dass es keine Absprache mit Putin gegeben hat. Trump wurde nicht wegen einer Verschwörung gewählt. Jetzt suchen Trumps Mainstream-Gegner nach einer weiteren Geheimbund-Erklärung für den Wahlsieg, um die dominante Ideologie der Elite aufrechtzuerhalten.

„Gentechnik und Atomkraft erschaffen keine Mutantenmonster, sondern gehören zu den sichersten Technologien in der Geschichte der Menschheit.“

Wie soll man diese „intellektuelle“ Elite einordnen? Sie sieht sich selbst als ökologisch bewusst, linksliberal und zur demokratischen Mitte zählend an, aber sie ist nichts davon. Wäre sie ökologisch bewusst, dann würde die Elite es nicht zulassen, dass Windräder Insekten und Vögel schreddern und dass die von ihr favorisierte ökologische Landwirtschaft aufgrund ihres Flächenverbrauchs mehr Arten bedroht als schützt. Sie würde die grüne Gentechnik befürworten, da sie eine viel effizientere Flächennutzung in der Landwirtschaft erlaubt und so die Wildnis bewahrt. Und sie würde eher die zuverlässigen, effizienten und CO2-armen Atomkraftwerke befürworten und nicht Windräder und Solarenergie. Ursprünglich grüne Ideen sind also Mainstream geworden und die Leute glauben, die Gesellschaft würde ihnen zumindest ein Lippenbekenntnis dazu abverlangen. Wer etwa für Atomkraft, für Gentechnik und für die konventionelle Landwirtschaft eintritt, landet gleich in der „rechten“ Ecke – also überall dort, wo der Mainstream nicht ist.

Wäre die Elite liberal, würde sie die Meinungsfreiheit verteidigen und nicht sämtliche Andersdenkende wie den oben genannten Terry Newman in die Naziecke stecken. Oder gar versuchen, ihnen Redeverbot zu erteilen oder ihre Karriere zu beenden, wie es mit James Watson, dem Entdecker der Doppelhelixstruktur der DNA, mit der ehemaligen US-Staatssekretärin Condoleezza Rice, mit der feministischen Akademikerin Camille Paglia und mit vielen anderen, auf verschiedenste Art vom Mainstream abweichenden Denkern, gemacht wurde. Würde die Elite zur demokratischen Mitte zählen, müsste sie nicht zuletzt den Willen des englischen Volkes akzeptieren, die Europäische Union zu verlassen. Und keine Neuwahlen fordern, bis sie ihren eigenen Willen bekommt.

Wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert diese „linke“ Elite nur selektiv. Beispielsweise sind biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die auch Denken, Wahrnehmung und Verhalten beeinflussen (nicht determinieren), wissenschaftlicher Konsens. Persönlichkeit und Intelligenz sind laut aktuellem Forschungsstand zu größeren Teilen angeboren. Gentechnik und Atomkraft erschaffen keine Mutantenmonster, sondern gehören zu den sichersten Technologien in der Geschichte der Menschheit.

„Karl Marx wollte die industrielle Gesellschaft nicht zerstören, sondern er verstand sie als Fortschritt gegenüber dem mittelalterlichen Feudalismus.“

Dann wäre da noch die „linke“ Identität, die unsere Elite wie eine Errungenschaft vor sich herträgt. Die Linke hat allerdings bis zum Aufstieg der Grünen immer die wirtschaftliche und technologische Entwicklung befürwortet und wollte sie für die Massen zugänglich machen. Nun predigen selbsternannte Linke ein „Nullwachstum“. Was hätte Karl Marx davon gehalten? Das hat er selbst geschrieben. Karl Marx wollte die industrielle Gesellschaft nicht zerstören, sondern er verstand sie als Fortschritt gegenüber dem mittelalterlichen Feudalismus. Er lobte die Errungenschaften des Kapitalismus und wollte diese zur vermeintlich nächsten Stufe weiterführen. So schrieb er im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt.“

Natürliche Ökosysteme sollen wir schützen, meint die Elite. Wir sollen die Natur nicht mit Technologien wie der Gentechnik verändern (sondern nur mit älteren Technologien, welche der Natur viel mehr Schaden zufügen, wie in der ökologischen Landwirtschaft). Auch das sahen Marx und Engels völlig anders. Engels: „Aber gerade die Veränderung der Natur durch den Menschen, nicht die Natur als solche allein, ist die wesentlichste und nächste Grundlage des menschlichen Denkens, und im Verhältnis, wie der Mensch die Natur verändern lernte, in dem Verhältnis wuchs seine Intelligenz.“1 Und Marx: „Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen.“2

Nun verbringt jene „linke“ Elite ihre Zeit damit, den Menschen mit Tieren gleichzusetzen. So seien wir im Kern ein „nackter Affe“, ein „Trockennasenaffe“ und so weiter, wie etwa Stiftungssprecher und Buchautor Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung seit Jahren betont. All dies widerspricht ebenso den Überzeugungen von Karl Marx und Friedrich Engels. Tatsächlich hat ihre Idee einer staatlich gelenkten Planwirtschaft (die ich ablehne) ihren Ursprung in einem Verständnis davon, wie sich der Mensch vom Tier unterscheidet: „Je mehr die Menschen sich aber vom Tier entfernen, desto mehr nimmt ihre Einwirkung auf die Natur den Charakter vorbedachter, planmäßiger, auf bestimmte, vorher bekannte Ziele gerichteter Handlung an.“3

„Die Eliten stellen sich gegen die Wissenschaft, wo sie ihnen nicht passt, sie sind nicht humanistisch, sondern setzen Menschen mit Tieren gleich.“

Von einer Weisheit der Naturvölker, von einem „edlen Wilden“, wie ihn unsere selbsternannten intellektuellen Führer propagieren, wollte Marx ebenso nichts wissen. Im Gegenteil sprach er sich entschieden gegen „reaktionäre Völker“ aus. „Ich bin autoritär genug, die Existenz solcher Naturvölkchen mitten in Europa für einen Anachronismus zu halten. […] So müssen sie […] den Interessen des europäischen Proletariats ohne Gnade geopfert werden.“4 Und: „Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.“5 Ihr angebliches ideologisches Vorbild hätte die heutigen selbstbezeichneten „Linken“ mit ihrem Nullwachstum, ihren mittelalterlichen Windrädern und ihren edlen Wilden als reaktionär verstanden.

Was sind die Vertreter unserer Elite also wirklich? Sie sind nicht links, sondern gegen wirtschaftlichen und technischen Fortschritt, sie sind dabei nicht wirklich an Tier- oder Klimaschutz interessiert, sie sind nicht rational, sondern glauben an Verschwörungsmythen. Sie sind nicht liberal, sondern intolerant gegenüber Andersdenkenden, sie stellen sich gegen die Wissenschaft, wo sie ihnen nicht passt, sie sind nicht humanistisch, sondern setzen den Menschen mit Tieren gleich, und demokratisch sind sie auch nicht, sobald jemand entgegen ihrer Interessen wählt. Aber was sind sie dann? Sie sind das große Nichts, das an die Macht gelangt ist. Nun geben sie Kultur und Politik die Marschrichtung vor.

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