09.08.2019

Eine unpassende Katastrophe

Von Boris Kotchoubey

Titelbild

Foto: skeeze via Pixabay / CC0

Die Waldbrände in Sibirien sind eine Katastrophe, mit der sich offenbar niemand profilieren kann.

In einem Witz fragt der Chef seinen Angestellten, der in zerknitterter Kleidung zum Dienst kommt, ob er nicht bügeln könne. „Ich habe gestern Abend ein Dutzend TV-Programme angeschaut“, antwortet der Angestellte, „und überall wird über dasselbe berichtet. Dann habe ich das Radio angeschaltet, aber auch da läuft auf allen Sendern das Gleiche. Genauso im Autoradio. Also dachte ich mir, das Bügeleisen anzuschalten, lohnt sich nicht mehr.“

In der Tat bleibt das Bügeleisen heute das letzte Gerät, das wir noch anschalten können, ohne mit Tausenden und Abertausenden Meldungen über die schon morgen kommende Klimakatastrophe planetaren Ausmaßes bombardiert zu werden. Diese Katastrophe, hören wir 24 Stunden am Tag und 7 Tage pro Woche, sei die Folge unserer Sünden, unserer Autos und Kohlekraftwerke, unseres schnelllebigen Konsums, unserer Urlaubsreisen und unserer Heizung, die alle zusammen zu einem gigantischen, in der ganzen Natur- und Menschheitsgeschichte einzigartigen CO2-Ausstoß und dadurch zu einer starken Erwärmung der Erde führt.

Kann es eine solche Umweltkatastrophe überhaupt geben?

Ja, sie gibt es schon. Seit Mitte Juli brennen in Sibirien Wälder auf einer Fläche von ca. 29 Tausend Quadratkilometer – so groß wie Albanien oder das Land Brandenburg. Der Rauch des gewaltigen Feuers ist (nach Meldungen vom 1.08.2019) von Tscheljabinsk im Südural bis in den Norden der Mongolei zu spüren, was eine ungeheure Fläche von mehr als 2.200.000 Quadratkilometer ergibt, doppelt so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen. Etwa die Hälfte dieser Fläche befindet sich schon seit mindestens Mitte Juli unter einer Rauchglocke, und darin sind Großstädte wie Novosibirsk (1,5 Millionen Einwohner), Omsk (1,1 Millionen), Krasnojarsk (970 Tausend), Irkutsk (600 Tausend), Kemerowo (530 Tausend) sowie Dutzende Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen 300 und 500 Tausend.

Zum CO2-Aussstoß konnte ich keine direkten Angaben finden und basiere meine Schätzung auf den Daten vergangener Waldbrandkatastrophen, z.B. in Indonesien 2015. Aufgrund dieser Daten kann man grob davon ausgehen, dass bei solchen großflächigen Bränden unter einer so hohen Kohlenstoffdichte wie in der sibirischen Taiga etwa 100 Millionen Tonnen CO2 pro Tausend Quadratkilometer Brandfläche emittiert werden. Daraus folgt, dass die Brände bereits zu Ende Juli eine Menge CO2 in die Atmosphäre befördert haben, die den gesamten jährlichen Ausstoß des deutschen Straßenverkehrs mehr als 25 Mal übersteigt (ganz langsam lesen, bitte: mehr als fünfundzwanzig Mal so viel CO2, wie alle deutschen LKW, PKW und Busse pro Jahr emittieren). Und Sie persönlich können mit Ihrem durchschnittlichen Benziner so viel CO2 ausstoßen, wenn Sie mit diesem Auto mehr als 170 Milliarden Kilometer fahren. Das ist der zehnfache Durchmesser des Sonnensystems.

Wenn aber, wie die Klimaaktivisten fordern, alle deutschen Kohlekraftwerke abgeschaltet werden (was zum sofortigen Zusammenbrauch der deutschen Wirtschaft führen würde), so kompensiert diese Maßnahme die Folgen dieses einen Brandes frühestens in zehn, wahrscheinlicher in 11 oder 12 Jahren. Vorausgesetzt selbstverständlich, dass in diesen 10 bis 12 Jahren nichts mehr brennt.

Doch halt: Wir haben nur vom unmittelbaren CO2-Ausstoß gesprochen, aber natürlich begrenzt sich die Auswirkung des Brandes gar nicht auf diesen. Bis er sich wieder regeneriert, speichert der beschädigte Wald auch weniger CO21. Gewaltige Massen von Ruß gehen Richtung Arktis, lagern sich auf Schnee und Eis ab und steigern damit die Absorption von Sonnenstrahlen, was zum Anstieg des Meeresspiegels und zur zusätzlichen Erhöhung der Erdtemperatur führt. Der Massentod von Tieren kommt hinzu. Nach den Berechnungen von Greenpeace beträgt der wirtschaftliche Verlust allein durch den Tod von Zobeln in der Region Krasnojarsk 22 Milliarden Rubel (umgerechnet 275 Millionen Euro). Dabei handelt es sich nur um eine der vielen Tierarten in nur einer der vom Brand betroffenen Regionen.

Millionen Menschen leiden unter unerträglichem Rauch, und zur Einschätzung der Luftqualität braucht man keine Experten, deren Leben zwischen klimatisierten Hotels, klimatisierten Autos und klimatisierten Sitzungsräumen verläuft. Es reicht, dass man in einer der o.g. sibirischen Großstädte ein paar Mal tief einatmet oder vom Boden hinauf zu den Hochhäusern blickt: Man kann die oberen Stockwerke durch den Rauchvorhang nicht sehen. Und es ist kein von der Deutschen Umwelthilfe erfundener dementer Asthmatiker, der unbedingt in Stuttgart am Neckartor auf der 5-m Höhe sein Leben verbringen will, um seinen Gesundheitsschaden durch NOx zu maximieren, keine durch hochkomplexe Modelle extrapolierten Achtelpatienten, sondern Millionen wirklicher, lebendiger Menschen, unter ihnen rein statistisch mindestens eine Million Lungen- und Herzkranke, die wochenlang die giftige, sauerstoffarme Luft einatmen müssen.

Angesichts der immer stärker wachsenden Ängste der deutschen Öffentlichkeit vor den katastrophalen Klimaveränderungen und der Erderwärmung sollte es selbstverständlich sein, dass alle Massenmedien, und v.a. die öffentlich-rechtlichen, die bekannterweise einen Erziehungsauftrag mit einer ausgeprägten grünen Färbung haben, pausenlos über die tragischen Ereignisse in Südsibirien berichtet haben. Alle anderen Themen rückten in den Hintergrund. Tausende Schülerinnen und Schüler demonstrierten nicht nur freitags, sondern auch donnerstags vor der russischen Botschaft. In Hamburg haben radikale Klimaaktivisten sogar versucht, das Konsulat der Russischen Föderation zu stürmen; und Greta segelte höchstpersönlich nach Moskau, um ihre Sorgen Putin mitzuteilen.2

Wie? Sie finden, dass etwas im vorigen Absatz nicht stimmt? Haben Sie diese Nachrichten nicht mitbekommen? Komisch: Ich auch nicht. Bis Ende Juli, als das Internet schon längst voll war von zigtausenden Meldungen über die Erstickungsgefahr für Millionen von Menschen, fand ich in deutschen ÖR Medien nur zwei Berichte, beide wenige Sekunden lang, unter vielen anderen Events und Vorfällen in der Welt. Am 31.07. berichtete die Deutsche Welle etwas mehr, drei Absätze statt zwei Zeilen. Mehr Information erschien ab dem 1.08., was wahrscheinlich daran liegt, dass an diesem Tag der von vielen vorangegangenen Feierlichkeiten in Moskau und Sankt-Petersburg ermüdete russische Präsident selbst seine Sorgen um die wachsenden Brände ausgedrückt und dem Militär befohlen hat, die Feuerwehr bei ihren Löschversuchen zu unterstützen.

"Wir geraten in Panik, wenn ein paar Bäume in Sachsen vom Borkenkäfer beschädigt werden, und schweigen dazu, dass eine Waldfläche 1,5 Mal größer als das ganze Sachsen vernichtet wird."

Wie kann das sein? Die Medien, die die Klimapolitik zum Thema Nummer Eins gemacht haben; die aus jeder verstorbenen Biene ein Weltuntergangsszenario machen; die nicht davor zurückschrecken, in der Hoffnung auf Leseramnesie die abgelutschte Mär vom deutschen Waldsterben aus der Mottenkiste zu holen – diese Medien verschlafen eine reale Umweltkatastrophe und ein gigantisches Waldsterben. Wir beginnen eine monatelange Diskussion, wenn ein willkürlich von einem an Langeweile leidenden aber hochdotierten EU-Gremium festgelegter Grenzwert, von dem man nicht einmal weiß, wie er zu ermitteln wäre, um Bruchteile von Promille überstiegen wird; und wir bemerken nicht, dass Millionen Menschen wegen des Rauchs mit Gasmasken leben müssen. Wir geraten in Panik, wenn ein paar Bäume in Sachsen vom Borkenkäfer beschädigt werden, und schweigen dazu, dass eine Waldfläche 1,5 Mal größer als das ganze Sachsen vernichtet wird.

Weder die Politik gegenüber Russland noch fehlende Informationen vermögen das Schweigen zu erklären. Putin ist für die deutschen Medien und den sonstigen Wächterrat zwar in Vergleich mit Trump ein sehr kleiner Satan, aber immerhin einer. Und die Organisation, die als eine der ersten wegen der sich verbreitenden Brände Alarm geschlagen hat, war nicht irgendwer, sondern Greenpeace: eine Organisation, die in Deutschland in Politik und weiten Teilen der Gesellschaft einen seriösen Ruf genießt. Aber auch dieser Ruf erwies sich im vorliegenden Fall als Ruf eines Rufenden in der Wüste.

Der Punkt ist: Die Umweltkatastrophe in Sibirien 2019 ist zwar global nach ihren Auswirkungen, aber lokal nach ihren Ursachen. Natürlich hat man eilends versucht, diese Ursachen im „Klimawandel“ zu finden. Auch die russischen Behörden waren schnell dabei, die Katastrophe auf „anormale Hitze und heftige Winde“ (Bericht der DW vom 31.07) zurückzuführen. Die Daten bestätigen das nur bedingt. Laut Wetterdienst waren sowohl die höchste Tagestemperatur als auch die niedrigste Temperatur in der Nacht und am frühen Morgen im Juli 2019 bis zum Ausbruch der Brände sogar tiefer als im Durchschnitt in dieser Jahreszeit. Die Daten über Winde und Trockenheit konnte ich nicht überprüfen, aber allein der Blick auf die Landkarte zeigt, dass der Sommer in Südsibirien insgesamt eher regenarm ist. Das ist nichts Neues.

Das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, das eine exklusive Beobachtungsstation auf einem 300 m hohen Turm in der sibirischen Taiga hat, nennt für die Brände ganz andere Ursachen. Im Sommer 2018 haben die Wissenschaftler von dieser Station mehrere Hundert (kleinere, relativ harmlose) Brände beobachtet und sind zum Schluss gekommen: 87% aller Brandfälle werden direkt von Menschen verursacht. Die Landkarte der Brandherde stimmt mit der Landkarte der wirtschaftlichen Aktivitäten im Wald auffallend gut überein – eine Übereinstimmung, die übrigens auch die Großbrände im indonesischen Regenwald 2015 gekennzeichnet hat. Böse Zungen in Moskau sagen, dass Brände absichtlich gelegt wurden, um die Spuren illegaler Abholzung zu verbergen. Dafür gibt es zwar keine gerichtsfesten Beweise, und nur eine sorgfältige Untersuchung kann über das Verhältnis zwischen Absicht und Leichtsinnigkeit aufklären. Dass aber Brandherde nicht vom „Menschen im Allgemeinen“, sondern von konkreten Menschen – Arbeitern, Unternehmern, Touristen – gelegt wurden, ist ein Fakt.

Wie kann aus relativ kleinen Brandherden ein gewaltiger Flächenbrand entstehen? Auch hier liegen die Ursachen nicht an einem abstrakten „menschengemachten Klimawandel“, sondern an ganz konkreten menschlichen Entscheidungen, vor deren Folgen Greenpeace bereits vor Jahren gewarnt hat. Ab 2007 wurde in Russland eine neue Forstgesetzgebung eingeführt. Mit diesen Gesetzen wurde die Anzahl der Förster drastisch reduziert, die Verantwortung der Unternehmer verwischt, der Waldschutz deutlich abgebaut. Die Gesetzgebung war so offensichtlich schlecht, dass kein geringerer als der damalige Präsident Medwedew sie mit einem Wort charakterisierte, das in gedruckten Texten keinen Platz hat; verändert wurde aber nichts.

Die aktuelle Geschichte der Brände ist genauso unrühmlich wie diese Vorgeschichte. Als die Brände noch nicht so riesig waren, behaupteten die russischen Behörden, dass sich die Löschung wirtschaftlich nicht lohne und das Leben der Feuerwehrleute unnötig aufs Spiel setze. Später, als die Maßstäbe der Katastrophe klar wurden, sagten dieselben Behörden, das Feuer sei grundsätzlich nicht löschbar, es bleibe lediglich abzuwarten, bis es sich selbst lege. Ob die Passivität der Regierung an den vielen Feierlichkeiten in russischen Hauptstädten (z.B. Tag der Marine am 28.07.) oder an den Unruhen wegen mutmaßlichen Manipulationen bei den Kommunalwahlen liegt (worüber die deutschen Medien reichlich berichtet haben), können wir hier nicht beurteilen. Die genauen kausalen Mechanismen sind hier nicht vom Belang. Denn dieser Artikel ist nicht über Missstände in Russland. Er ist über ein anderes Land.

"Man kann keinen allgemeinabstrakten menschengemachten Klimawandel verantwortlich machen, wo es konkrete Schuldige gibt."

In diesem anderen Land hat man offensichtlich gleich erkannt, dass aus der russischen Katastrophe nichts herauszuholen ist. Unabhängig davon, ob diese oder jene russischen Beamten und Industriellen die Hauptverantwortung tragen, ob aus purer Gier oder grober Fahrlässigkeit, ist klar, dass keine deutsche einflussreiche Partei oder politische Bewegung daraus politisches Kapital schlagen kann. Man kann die Bürger nicht motivieren, ins Portemonnaie zu greifen und eine neue Steuer zu zahlen, weil Putin (oder wer auch immer in Moskau oder in Krasnojarsk) schwere Fehler begangen hat, zumal der Michel auch mit Hilfe seiner Grundschulkenntnisse ausrechnen könnte, dass die jährliche CO2-Ersparnis durch der Besteuerung unserer Flüge und Autos nicht einmal ein Promille dessen kompensieren kann, was der Brand täglich freisetzt. Man kann dir und mir kein Schuldgefühl einreden, weil die russische Duma 2007 ein schlechtes Gesetz verabschiedet hat. Man kann keinen allgemeinabstrakten menschengemachten Klimawandel verantwortlich machen, wo es konkrete Schuldige gibt. Und man muss die Ausmaße des Geschehens schon deshalb verschweigen, weil sonst ans Licht kommen könnte, wie albern im Vergleich dazu sämtliche deutsche Klimahysterie ist.

Im Übrigen war dies in Tschernobyl ähnlich. Nicht die Kernenergie verursachte jene Katastrophe, sondern die kriminelle Energie einiger weniger Menschen, die auf der Jagd nach Orden und Auszeichnungen, welche für die möglichst schnelle Durchführung der Wartungsarbeiten vergeben werden könnten, selbstverständliche Sicherheitsregeln über den Haufen geworfen haben. Damals lag es aber im gemeinsamen Interessen der sowjetischen und der westlichen Propaganda, den tatsächlichen Vorgang zu vertuschen und so statt konkreter Schuldiger „das böse Atom“ zu beschuldigen. Heute ist das nicht mehr möglich, die Ereignisse sind, Gott und Zuckerberg sei Dank, transparenter geworden. Die konkrete Verantwortung der Verantwortlichen ist in einem Maße offensichtlich, dass es nicht mehr gelingt, globale Prozesse als Ursachen dieser Tragödie darzustellen. Die Katastrophe in Sibirien ist daher politisch ungeeignet.

Diese Geschichte zeigt uns die ganze Verlogenheit unseres öffentlichen Diskurses und großer Teile unserer Gesellschaft, die heute von Heuchelei wie Eisen von Rost zerfressen wird. Klimakatastrophen interessieren uns nur insoweit, wie wir uns damit profilieren, davon profitieren, sie zum Karriereaufstieg benutzen und unsere moralische Überlegenheit so lange und so demonstrativ zur Schau stellen können, bis wir selber an unsere moralische Hoheit über die dummen Amis, die verrückten Briten und die „acht Millionen Idioten“ (wie im deutschen Fernsehen das österreichische Volk neulich bezeichnet wurde) glauben. Wir sprechen über Probleme nicht, weil diese uns wichtig erscheinen, sondern weil das Gespräch darüber uns nützt. Genauer gesagt, die Probleme erscheinen uns nur dann wichtig, wenn das Gespräch darüber uns nützt. Würde in dieser unsrigen Zeit ein Schopenhauer leben, so würde er ein Buch über „Die Welt als Mittel meiner Karriere“ schreiben. Und wenn morgen die Welt tatsächlich zugrunde geht, ich aber nicht einsehe, wie ich für meine Partei, meine Interessengruppe aus dem Weltuntergang Kapital schlagen kann, dann interessiert er mich nicht.

Das ist die Wahrheit über uns, die der sibirische Waldbrand offenbart hat. Welche Lehre daraus die Russen ihrerseits ziehen werden, ist ihre Sache.

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