07.06.2019
Klimawandel: Kein Asteroid, sondern Diabetes
Von Ted Nordhaus und Alex Trembath
Einen Klimanotstand auszurufen, bringt nichts. Die Klimadebatte in den USA krankt an Hysterie, einseitigen Dogmen und der Instrumentalisierung durch ‚Öko-Linke‘.
Ist der Klimawandel eher wie ein Asteroid oder wie Diabetes? Anfang des Jahres sprach sich einer meiner Kollegen vom Slate-Magazin dafür aus, dass Klimaschützer sich den Forderungen zur Ausrufung eines nationalen Klimanotstands widersetzen sollten, weil der Klimawandel eher einem „Diabetes für den Planeten“ entspreche als einem Asteroiden. Die Diabetes-Metapher war in überraschendem Maße umstritten. Der Klimawandel könne weder bewältigt, noch könne mit ihm gelebt werden, hieß es in vielen Kommentaren. Er sei eine existenzielle Bedrohung für menschliche Gesellschaften, die eine sofortige Behebung erfordere.
Der Einwand ist vielsagend, sowohl in der Art und Weise, wie er die Art des Problems missverstanden hat, als auch in den Widersprüchen, die er offenbart. Diabetes sei nicht gutartig. Er sei kein „natürliches“ Phänomen und könne nicht geheilt werden. Er sei ein Zustand, der, wenn er unbehandelt bleibt, töten könne. Und selbst für diejenigen, die ihn gut im Griff haben, sei das Leben anders als vor dem Diabetes.
Klimawandelkrankheit behandeln
Dies scheint uns eine einigermaßen zutreffende Beschreibung des Klimaproblems zu sein. Es gibt kein Zurück in die Welt vor dem Klimawandel. Welchen Erfolg auch immer wir bei der Linderung des Klimawandels haben, wir werden mit ziemlicher Sicherheit nicht zu den vorindustriellen atmosphärischen Konzentrationen von Treibhausgasen zurückkehren, zumindest nicht für viele Jahrhunderte. Schon bei einer Erwärmung von einem oder 1,5 Grad Celsius werden das Klima und der Planet sehr anders aussehen. Das wird unvermeidliche Konsequenzen für menschliche Gesellschaften haben. Wir werden auf einem wärmeren Planeten leben und in einem Klima, das variabler und weniger vorhersehbar ist.
„Die Gesamtstatistik deutet darauf hin, dass Todesfälle aufgrund klimabedingter Naturkatastrophen weltweit rückläufig sind.“
Wie schlecht unser planetarer Diabetes wird, hängt davon ab, wie viel wir weiterhin emittieren und wie gut sich die menschlichen Gesellschaften an ein sich änderndes Klima anpassen. Mit der derzeitigen Erwärmung um ein Grad scheint es, als hätten sich menschliche Gemeinschaften relativ gut angepasst. Diverse Behauptungen, die heutige Naturkatastrophen dem Klimawandel zuschreiben, sind umstritten. Die Gesamtstatistik deutet allerdings darauf hin, dass Todesfälle aufgrund klimabedingter Naturkatastrophen weltweit rückläufig sind und nicht zunehmen. Unter Berücksichtigung der wachsenden Bevölkerung und des steigenden Wohlstands stagnieren wirtschaftliche Verluste, die mit diesen Katastrophen zusammenhängen, seit vielen Jahrzehnten.
Aber bei einer Erwärmung von drei oder vier Grad ist alles möglich. Es scheint, dass die gegenwärtigen Trends bei den Emissionen uns dorthin führen werden, wenn sie unkontrolliert bleiben. Darüber hinaus ist es, wie viele Befürworter heute fordern, selbst bei radikalem Handeln nicht möglich, ohne entweder solares Geo-Engineering oder das massive Absaugen von Kohlenstoffemissionen aus der Atmosphäre den Temperaturanstieg bei 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren. Angesichts der Emissionsaltlasten und der bestehenden Infrastruktur ist das seit langem verfolgte internationale Ziel, den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, ebenfalls äußerst unwahrscheinlich.
Bei der Behandlung unserer Klimawandelkrankheit kommen wir nicht nur an Emissionsverringerung nicht vorbei, sondern müssen uns auch in erheblichem Umfang an bekannte und unbekannte Klimarisiken anpassen, die aufgrund des zweihundertjährigen fossilen Brennstoffgebrauchs bereits in unsere Zukunft eingebrannt sind. In diesem Sinne argumentieren wir seit langem, dass der Klimawandel als chronischer Zustand der globalen Moderne verstanden werden muss – als Problem, mit dem wir umgehen, das wir aber nicht lösen können.
Diesen Zustand in den Griff zu bekommen, erfordert sowohl die Verringerung der Emissionen zur Begrenzung der Erwärmung als auch die Anpassung an Erwärmung, die sich nicht vermeiden lässt. Häufig werden die Emissionsminderung und die Anpassung an den Klimawandel als voneinander getrennte Aufgaben betrachtet und in einigen Kreisen, sowohl bei Befürwortern als auch bei Skeptikern, als gegensätzlich und als Nullsummenspiel begriffen. Tatsächlich handelt es sich bei Dekarbonisierung und Anpassung aber um zutiefst miteinander verwobene Unterfangen, die zudem von langfristigen Modernisierungsprozessen nicht zu trennen sind.
Szenarien einer künftigen Welt
Die auf den schlimmstmöglichen Emissionsszenarien basierenden Worst-Case-Klimaszenarien, sind der Ursprung der meisten furchteinflößenden Studien über potentielle künftige Klimafolgen. Diese werden vielfach als „business as usual“ bezeichnet – als dasjenige, was passiert, wenn die Wirtschaft weiter wächst und die Weltbevölkerung reicher und damit konsumfähiger wird. Mit diesen gelangt das IPCC, welches diese Szenarien entwickelt, allerdings nicht zu sehr hohen Emissionszuwächsen. Vielmehr sind die Worst-Case-Szenarien diejenigen, in denen die Welt arm, bevölkerungsreich, ungleich und technologisch unterentwickelt bleibt. Sie beschreiben eine Zukunft mit vielen Armen, die keinen Zugang zu umweltfreundlicher Technologie haben.
Innerhalb dieser Szenarien hat der Klimawandel schreckliche Folgen, da er mit vorherrschender Armut, versagenden Institutionen, bröckelnder und überlasteter Infrastruktur und einer ganzen Fülle anderer Probleme zusammenwirkt. Es wird eine Welt dargestellt, in der die meisten Menschen keine Klimaanlagen, keine gegenüber Wirbelstürmen und Überschwemmungen widerstandsfähigen Häuser und keine effizienten Bewässerungssysteme besitzen, nicht vom Zugang zu weltweit gehandelten Agrarrohstoffen profitieren, wenn örtliche Ernten einbrechen, und nicht über die Ressourcen verfügen, um aufzubrechen und in angenehmere Klimazonen zu ziehen.
„Eine wohlhabendere Welt ist eine Hightech-Welt, eine Welt mit wesentlich mehr kohlenstoffarmen Technologieoptionen.“
Im Gegensatz dazu ist eine Zukunft, in der die Welt gegenüber einem wärmeren Klima Widerstandskraft aufbaut, wahrscheinlich auch eine Zukunft, in der die Welt bei der Abmilderung des Klimawandels erfolgreicher war. Eine wohlhabendere Welt ist eine Hightech-Welt, eine Welt mit wesentlich mehr kohlenstoffarmen Technologieoptionen und mehr Ressourcen, um sowohl in die Minderung als auch in die Anpassung zu investieren. Sie ist weniger bevölkert (die Fruchtbarkeitsraten sinken mit steigendem Einkommen zuverlässig), weniger ungleich (weil weitaus weniger Menschen in extremer Armut leben) und urbaner (d.h. viel mehr Menschen leben in Städten mit fester Infrastruktur, Klimaanlagen und Rettungsdiensten, die sie schützen).
Das ist mit ziemlicher Sicherheit eine Welt, in der die globalen Durchschnittstemperaturen zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Daran wird auch die jüngste Runde des Klimawandelterminismus (laut dem Guardian bleiben uns noch zwölf Jahre zur Vermeidung von Klimakatastrophen) nichts ändern. Aber selbst David Wallace Wells, dessen Buch „The Uninhabitable Earth“ den Klimakatastrophismus belebt hat, muss einräumen: „Zwei Grad wären schrecklich, aber es ist besser als drei... Und drei Grad sind viel besser als vier.“
Angesichts der derzeitigen Emissionskurve wäre eine zukünftige Welt, die die Emissionen unter 2,5 oder 3 Grad stabilisiert hat, eine Leistung, die wahrscheinlich sehr erhebliche und nachhaltige Anstrengungen zur Emissionsminderung erfordern würde. Diese Welt wäre auch einigermaßen gut gerüstet, um das Leben in diesem Klima zu ermöglichen, da sie zwangsläufig eine viel reichere, weniger ungleiche und technologisch fortschrittlichere Welt wäre, als die, in der wir heute leben.
Green New Deal und Klimafalken
Einige jedoch werden sich mit der Beschreibung des Klimawandels als eine chronische, ernsthafte und potenziell katastrophale Bedrohung, die wir erfolgreich bewältigen könnten, aber nicht lösen werden, nicht zufrieden geben. Aus ihrer Sicht wird so die Dringlichkeit der Situation nicht vermittelt. Der Klimawandel ist ihrer Auffassung nach ein Notfall, der eher einem Asteroideneinschlag entspricht als einer chronischen Krankheit. „Die Zivilisation steht auf dem Spiel“, so Eric Holthaus von Grist im vergangenen Herbst. Der Klimawandel ist, wie David Roberts von Vox kürzlich formulierte, „ein Notfall erster Güte, der den Fortschritt in allen anderen Bereichen bedroht“. Er wird „alles, was wir als menschliche Zivilisation betrachten könnten, physisch unmöglich machen“, schrieb Kate Aronoff in The Intercept.
Aber wenn der Klimawandel tatsächlich wie ein Asteroid wäre, der sich der Erde nähert, erkennt man das nicht in den Handlungen und Rezepten derjenigen wieder, die diese Ansicht vertreten. Der „Green New Deal“ bleibt mehr Slogan als Politikvorschlag. Aber auf der Grundlage des Wenigen, was seine Befürworter gesagt haben, scheint es unwahrscheinlich, dass jemand wirklich ernsthaft die Art von drakonischen Maßnahmen vorschlägt, die ein echter Klimanotstand angeblich erfordert.
„Der Klimanotstand ist hauptsächlich Show.“
Green New Deal-Befürworter in den USA scheinen keine Pläne zu schmieden, Fleisch oder Flugreisen zu verbieten, wie von rechten Kritikern behauptet. Viele lehnen Kernenergie und CO2-Abscheidungstechnologie ab, obwohl starke Hinweise darauf hindeuten, dass beides für eine nennenswerte Senkung der globalen Emissionen notwendig sein wird.
Demokratische Sozialisten und Sozialdemokraten, die sowohl den New Deal als auch die Klimakrise ernst nehmen, würden eine Verstaatlichung des Energiesektors und anderer energieintensiver Industrien oder zumindest eine starke Ausweitung des öffentlichen Einflusses fordern, wie unser Kollege Jameson McBride Anfang dieses Jahres ausgeführt hat. Eine Klimabewegung, die wirklich glaubt, dass wir nur zwölf Jahre Zeit haben, um das Ende der Welt zu verhindern, würde wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass wir uns für ein oder zwei weitere Jahrzehnte mit Obamacare begnügen könnten, während wir uns mit der drohenden zivilisationsauslöschenden Klima-Deadline beschäftigen. Angesichts eines unversöhnlichen Kongresses und einer gleichgültigen Politik könnten Menschen, die wirklich davon ausgehen, dass das Scheitern der Beseitigung aller globalen Treibhausgasemissionen innerhalb der nächsten zwölf Jahre den wahrscheinlichen Zusammenbruch der Zivilisation mit sich bringt, ernsthaft wie im Zweiten Weltkrieg die Aussetzung einiger Freiheiten befürworten, um schnell für die Bewältigung der Krise zu mobilisieren.
Dass niemand von der Fraktion der Klima-‚Falken‘, demokratischen Sozialisten und „Social Justice“-Demokraten, die sich für einen Green New Deal als Reaktion auf eine Klimakrise einsetzen, bereit scheint, eines der oben genannten zu akzeptieren, deutet darauf hin, dass der Klimanotstand hauptsächlich Show ist. Es handelt sich um eine Geste, die darauf abzielt, den Ernst des Problems zu vermitteln, aber keine spürbar anderen Maßnahmen erfordert als diejenigen, die seit mehreren Jahrzehnten vorschlagen werden, also lange bevor die Situation angeblich so schlimm wurde, dass sie eine Notstandsreaktion erfordert.
Aber außer Medicare for All und einer nicht spezifizierten Arbeitsplatzgarantie scheint nichts, das bisher als Teil eines Green New Deal vorgeschlagen wurde, viel mehr zu sein als die aufgeblasene Klima- und Energiepolitik der Obama-Ära, abzüglich eines wirtschaftsweiten Cap-and-Trade-Programms, das viele Demokraten nun für eine politische Totgeburt halten, die den Aufwand vielleicht sowieso nicht wert ist.
„Das Gerede von der Klima-Apokalypse dient länger bestehenden politischen Zielen und nicht einer zupackenden Reaktion auf einen Klimanotstand.“
Was die Klimaalarmisten eigentlich vorschlagen wollen, sind die Dinge, mit denen man auf einen planetarischen Diabetes reagiert – und nicht ein Klimaasteroiden. Nachdem Wallace Wells mehrere tausend Wörter darauf verwendet hatte, warum in einem Artikel der New York Times Sunday Review mit dem Titel „Time to Panic“ Panikmache über die drohende Klimakatastrophe gerechtfertigt war, konnte er nur höhere Kraftstoffeffizienzstandards, Hochgeschwindigkeitszüge und die verpflichtende Verfütterung von Meeresalgen an Rinder als Auswege anbieten. Das taugt kaum für Asteroiden und Notstände.
Was Klima-‚Falken‘ und Befürworter des Green New Deal eigentlich im Sinn haben, ist Politik, nicht die Aussetzung der Politik angesichts einer drohenden Katastrophen. Das Gerede von der Klimaapokalypse dient länger bestehenden politischen Zielen und nicht einer zupackenden Reaktion auf einen Klimanotstand.
Angst und Apokalypse
„Angst kann mobilisieren“, schreibt Wells in seiner Kolumne. Aber das Gebot der Massenbewegung und Mobilisierung kann nicht so einfach mit der Forderung nach faktenbasierter Politik in Einklang gebracht werden. Die Klimabewegung wollte immer sowohl politisch engagiert sein, als auch über der Politik stehen, sie will mit Wissenschaft und Expertise aufwarten, schlachtet beide aber gleichzeitig für ihre Organisations- und Kommunikationsstrategien aus.
Der Aktivist Bill McKibben besteht darauf, dass Physik und Chemie nicht verhandelbar seien, obwohl er seit einem Jahrzehnt versucht, eine Graswurzelbewegung zu schaffen, um Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben. Wallace Wells rügt Wissenschaftler für ihre gewissenhaften Publikationen, bei der die Schwere der Bedrohung kommunikativ auf der Strecke bliebe, obwohl er gleichzeitig den Verlust des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Wissenschaften beklagt.
„Es ist nicht nötig, den Kapitalismus aufzugeben oder die Konsumgesellschaft oder einen energetisch aufwändigen Lebenswandel.“
Wallace Wells ist nicht der erste, der mangelnde Apokalyptik bei Wissenschaftlern und Journalisten – darunter auch ausgesprochenen Unterstützern – beklagt, obwohl der Alarmismus seit Jahrzehnten der modus operandi der Klimakommunikation ist. Ungeachtet der Tatsache, dass immer lautere Weltuntergangsrhetorik es in drei Jahrzehnten nicht vermocht hat, Politiker und die Öffentlichkeit aufzuwecken, bleibt der Hang zum wissenschaftlichen Schreckensszenario als Mittel der Wahl ungebrochen.
Der Grund hierfür ist, dass während die Politik nur mit inkrementellen Maßnahmen auf das chronische Problem reagiert, die gegenwärtige Umweltkultur und -ideologie von der Generation Y geprägt ist. In deren Augen gibt es nur zwei Optionen: die Katastrophe oder eine vollständige Reorganisation der Gesellschaft. Entweder werden die Amerikaner den Schuss endlich hören und die Welt von Grund auf neu gestalten oder in einer feurigen Apokalypse untergehen.
Deshalb spielen letztendlich Anpassung, Atomkraft, CO2-Abscheidung und solares Geoengineering keine Rolle im Narrativ von Apokalypse und Errettung, auch wenn alle außer dem Letzteren für eine erfolgreiche Reaktion auf den Klimawandel notwendig und auch und Bestandteil jeder groß angelegten landesweiten Klimastrategie sein werden. Auch weil sie grundsätzlich kompatibel sind mit den gegenwärtigen soziotechnischen Paradigmen. Es ist dafür nicht nötig, den Kapitalismus aufzugeben oder die Konsumgesellschaft oder einen energetisch aufwändigen Lebenswandel. Die moderne, industrielle, technologische Gesellschaft besteht einfach fort, aber ohne die Emissionen. Aus eben diesem Grund haben die Anstrengungen der Befürworter von Atomkraft, CO2-Abscheidung und Geoengineering bisher wenig Erfolg, Unterstützung zu gewinnen.
„Inwieweit wären die Forderungen der Umweltschützer überhaupt substanziell anders, wenn es keinen Klimawandel gäbe?“
Das Problem der Klimabewegung besteht darin, dass die technokratischen Maßnahmen zur vollständigen Dekarbonisierung der Weltwirtschaft mit dem egalitären Katastrophismus ihrer Mobilisierungsstrategien in Konflikt stehen. McKibben gab abseits der Bühne zu, dass er die Notwendigkeit der Atomkraft öffentlich nicht thematisiere, da er glaube, es würde „die Bewegung in zwei Hälften spalten“.
In dieses politische Kalkül ist bereits die Annahme eingebaut, dass die Verfechter einmal genug politischen Einfluss haben werden, um die entsprechenden Konzessionen an die praktische Machbarkeit der umfassenden Dekarbonisierung zu ermöglichen. Aber die Armee, die man aushebt, bestimmt auch die Schlachten, die man austragen kann. Es ist nicht sicher, dass die egalitäre Armee der Generation Y, die von der Klimabewegung mobilisiert wird, überhaupt willens ist, diejenigen Kompromisse einzugehen, die – politisch, wirtschaftlich und technologisch – nötig sind, um das Problem tatsächlich in den Griff zu bekommen. Wer das bezweifelt, möge einen Blick auf das andere Ende des politischen Spektrums werfen, wo Konservative und Republikaner vollständig in die Gefangenschaft der nativistischen Kräfte geraten sind, die sie während ihrer Kämpfe gegen die Progressiven der Obama-Ära von der Leine gelassen haben.
Außerhalb ihrer Filterblase ergibt die Logik der Mobilisierung der Generation Y keinen Sinn, sondern untergräbt vielmehr die Warnungen vor der lauernden Katastrophe. Diejenigen, die noch nicht überzeugt sind, dass die moderne Industriegesellschaft ein böses Ende nimmt, wenn sie sich selbst überlassen ist, können die Ernsthaftigkeit der alarmistischen Warnungen der Umweltschützer einfach prüfen: Inwieweit wären ihre Forderungen überhaupt substanziell anders, wenn es keinen Klimawandel gäbe? Das Alles-oder-Nichts des „Green New Deal“ konterkariert so das Fünf-vor-Zwölf des Klimanotstands.
„Aufgrund des polarisierenden Katastrophismus der Umweltlinken ist moderate und explizite Klimapolitik für US-Republikaner praktisch keine Option mehr.“
Der Schlüssel zur Wahrnehmung des Klimawandels für diejenigen außerhalb der Filterblase ist deshalb nicht, wie Wallace Wells und unzählige andere vor ihm unterstellt haben, den Grauen Star unserer Selbsttäuschung zu überwinden und das Problem als Asteroid zu sehen anstelle einer chronischen Erkrankung. Vielmehr besteht er darin, zu zeigen, dass die Warner nicht bloß Ideologen sind, die eigennützige Lösungen fordern für eine völlig überbewertete Krise. Natürlich ist nichts verkehrt daran, Lösungen und Technologien zu vertreten, an die man glaubt. So sieht „Diabetes-Politik“ aus. Strategien geraten in die Diskussion und verschiedene Vertreter verfolgen ihre Interessen. Am Ende steht ein Kompromiss, bei dem jeder etwas von dem erhält, was er will, aber niemand alles.
Mehrheiten in den USA
Stillschweigend ist der Green New Deal der Eröffnungszug dieser Verhandlungen, zunächst mit progressiven Demokraten (deshalb der Medicare-for-all-Vorstoß) und später mit Moderaten und Konservativen. Das Problem der Klimaschützer ist jedoch, dass es derzeit alles andere als sicher ist, ob es überhaupt jemanden zum Verhandeln gibt.
Im besten Fall – mit einem demokratischen Präsidenten und demokratischer Mehrheit im Kongress ab 2020 – werden Umweltschützer mit einer Koalition konfrontiert sein, die auf wackeligen Swing State-Vertretern basiert, die weder den progressiven Enthusiasmus für soziale Umverteilungsprogramme teilen noch die Angst der Umweltschützer vor dem Klimawandel. Aus diesem Grund äußern sich erfahrene Demokraten wie Nancy Pelosi und Dianne Feinstein so unverbindlich zum Green New Deal. Schon zweimal während ihrer Karrieren im Kongress haben beide miterlebt, wie die Demokraten infolge weitreichender Gesetzentwürfe zur Klima- und Gesundheitspolitik die Kontrolle über beide Kammern verloren haben.
Aufgrund des polarisierenden Katastrophismus der Umweltlinken – mit ihren radikalen Forderungen nach 100 Prozent erneuerbarer Energie, verbindlichem Vegetarismus und dem Ende von Kapitalismus und Extraktivismus – ist moderate und explizite Klimapolitik für Republikaner praktisch keine Option mehr. Dieser Graben wird sich wahrscheinlich noch vertiefen, sollten sich die Mehrheitsverhältnisse künftig zugunsten der Demokraten verschieben. Seit 2018 haben bereits einige der Republikaner, die noch die Existenz des Klimawandels anerkennen, ihre Sitze verloren. Die Verbliebenen stehen vermutlich schon im Fadenkreuz der Demokraten, da republikanische Wahlkreise, in denen es eine gewisse Fürsprache für Klimaschutz gibt, tendenziell auch von Demokraten repräsentiert werden könnten.
„Umweltschützer müssen die bittere Pille schlucken und Klimafolgenanpassung, Erdgas, CO2-Abscheidung und Atomkraft akzeptieren.“
Das Abstecken einer alarmistischeren und progressiveren Haltung im Kongress wird deshalb wohl weder zu einer ambitionierteren Klimapolitik führen noch deren Durchsetzung begünstigen. Ein breites politisches Spektrum zu erreichen und ausreichend Engagement aufzubauen, um – im besten Fall – ein Verwässern der klimapolitischen Anstrengungen wie während der Obama-Ära zu verhindern, erfordert etwas anderes: Es muss aufgezeigt werden, dass die Umweltbewegung mehr ist als nur eine Vertretung ideologisierter Partikularinteressen.
Dies setzt voraus, dass Umweltschützer nicht mehr länger darauf drängen, den Amerikanern ihre Umweltmedizin einzuflößen, sondern selbst die bittere Pille schlucken und Dinge akzeptieren müssen, vor denen sie gewohnheitsmäßig zurückschrecken, wie etwa Klimafolgenanpassung, Erdgas, CO2-Abscheidung und Atomkraft.
Damit werden die Vereinigten Staaten ihre Emissionen in den nächsten zwölf Jahren nicht auf null zurückfahren nicht – und der Rest der Welt noch weniger. Aber Wallace Wells hat Recht mit der Aussage, dass eine 2-Grad-Zukunft besser sein wird als eine 3-Grad-Zukunft, und 3 Grad besser als 4 Grad. Darüber hinaus wird nichts von dem, was die Befürworter des Green New Deal vorzuschlagen bereit sind, die US-Emissionen tatsächlich weit oder schnell genug unterhalb von 2 Grad stabilisieren, und schon gar nicht unter 1,5 Grad. Das Beste aus unserer chronischen Erkrankung zu machen, erfordert vielmehr eine Klimabewegung, die die Probleme weniger katastrophistisch angeht und auf ökumenische Weise nach Lösungen sucht.