06.02.2023

Eine Nation braucht Helden

Von Joanna Williams

Titelbild

Foto: Hillbird via Pixabay

Die Umbenennung der Sir-Francis-Drake-Grundschule in London ist ein Zeichen für die ungesunde Entfremdung von der Vergangenheit, wie sie sich – nicht nur – in Großbritannien vollzieht.

Die Sir-Francis-Drake-Grundschule im Südosten Londons gibt es nicht mehr. Der längst verstorbene Seefahrer galt als Verkörperung von Werten, die nicht mit denen der Schule übereinstimmen, weshalb die Schulleitung über eine Namensänderung abstimmen ließ. In einer Abstimmung unter 450 Eltern, Mitarbeitern, Schülern und Anwohnern sprachen sich 88 Prozent für einen neuen Namen aus. Die Schulleiterin spricht von einem „aufregenden neuen Kapitel", denn die Schule wird künftig den Namen Twin Oaks (deutsch: Zwillingseichen) tragen.

Das Votum scheint eindeutig zu sein. Aber wie viel wussten die Kinder – oder auch das Personal und die Eltern – eigentlich über Drake? Die BBC-Berichterstattung über diesen Vorfall ist aufschlussreich: „Eine Schule, die nach dem Sklavenhändler Sir Francis Drake aus dem 16. Jahrhundert benannt wurde, hat ihren Namen geändert", heißt es dort. So präsentiert, liegt der Ausgang Abstimmung natürlich nahe. Wer will schon im Jahr 2023 mit einem Sklavenhändler in Verbindung gebracht werden? Aber zu keinem anderen Zeitpunkt in den letzten 400 Jahren wäre Drake so beschrieben worden.

Bis heute wird Sir Francis Drake als Nationalheld gefeiert, weil er 1588 die englische Flotte zum Sieg über die spanische Armada führte. Seine Weltumsegelung, bei der er als Kapitän der ersten englischen Seereise die Magellanstraße vom Atlantik zum Pazifik durchquerte, hat ihm einen Platz in der Geschichte gesichert. Schon zu seinen Lebzeiten wurde Drake zur Legende – zum Symbol für Mut, Entschlossenheit und britische Militärmacht.

Bei einer differenzierten Betrachtung der Geschichte muss natürlich berücksichtigt werden, dass Drake eine Rolle dabei gespielt hat, die Beteiligung Englands am Sklavenhandel zu begründen. Er hat diese Fahrten zwar weder finanziert noch initiiert, aber er war Kapitän von Handelsschiffen, die Sklaven über den Atlantik transportierten. Gemessen an der Versklavung von Millionen von Afrikanern über Hunderte von Jahren hinweg und dem enormen Reichtum, der sich daraus ergab, war Drakes Rolle winzig. Damit soll sein Vermächtnis nicht bagatellisiert, sondern in eine historische Perspektive gestellt werden. Wenn wir Drake im Jahr 2023 beurteilen wollen, müssen wir seine Taten in den Kontext seiner Zeit stellen und sowohl seine Leistungen als auch seine Fehler berücksichtigen.

„Einst angesehene historische Persönlichkeiten werden heute routinemäßig als das personifizierte Böse dargestellt.“

Leider fehlt es heute an einer solchen differenzierten Betrachtung der Vergangenheit. In den Geschichtsbüchern, die einst von den Heldentaten großer Männer beherrscht wurden, finden sich heute nur noch Geschichten der Schande. Anstatt Drake als unglaublichen Abenteurer zu sehen, der auch eine Rolle im Sklavenhandel spielte, werden wir dazu gedrängt, ihn als böse zu betrachten und seinen Namen aus dem öffentlichen Leben zu tilgen.

Einst angesehene historische Persönlichkeiten werden heute routinemäßig als das personifizierte Böse dargestellt. Im Juni 2020 wurde die Edward-Colston-Statue in Bristol gestürzt und die Drake-Statue in Plymouth mit Fesseln versehen. Beide Taten lassen auf den fast mittelalterlichen Glauben schließen, dass unbelebte Gegenstände die Sünden der Person verkörpern, der sie ähneln.

Seit den Black-Lives-Matter-Protesten im Jahr 2020 wurden Dutzende von Statuen entfernt und Gebäude umbenannt. Alle möglichen historischen Persönlichkeiten wurden als „Sklavenhändler, Kolonialisten und Rassisten" abgeschrieben und aus dem öffentlichen Raum entfernt, ungeachtet ihrer früheren Leistungen. Vergangenen September benannte die Universität Edinburgh den David-Hume-Turm um. Einige der größten Werke der Aufklärungsphilosophie scheinen nichts mehr wert zu sein, wenn man sie aufgrund einer fadenscheinigen Fußnote des Rassismus bezichtigen kann.

Die Universität Liverpool benannte die Gladstone Hall um, obwohl der viermalige ehemalige Premierminister William Gladstone für Chancengleichheit eintrat und Gesetze zur Erweiterung des Wahlrechts verabschiedete. Gladstone, von seinen zahlreichen Anhängern „The People's William" getauft, wollte sogar die Abschaffung der Sklaverei. Da sein Vater jedoch Sklavenhändler war und William für eine schrittweise statt für eine sofortige Emanzipation eintrat, wurde er nun dennoch dazu verdammt, aus unserem kollektiven Bewusstsein zu verschwinden. Wenn es um diese alten Gebäude und Statuen geht, scheinen Fakten oft nicht wirklich zu zählen.

„Es gibt wenig zu bejubeln an einer Generation, die moralisch so weit von der Vergangenheit ihres Landes entfernt aufwächst.“

Außerdem: Ist vor 2020 irgendjemand ernsthaft an Statuen von Colston, Drake oder Captain Cook vorbeigegangen und hat um seine entfernten Vorfahren geweint? Fielen Studenten angesichts einer Vorlesung im Hume Tower wirklich in Ohnmacht? Ich bezweifle es. Für wen auch immer sie einst standen, Denkmäler sind Teil unserer heutigen Landschaft, ein Schlafplatz für Vögel und ein Treffpunkt für Freunde.

Wenn man sich an historische Persönlichkeiten erinnert, geht es oft eher um den Mythos als um die Realität. Der Sir Francis Drake, der in Schulnamen und Statuen weiterlebt, ist Drake, der tapfere, mutige, abenteuerlustige Held, der die Meere bezwang und sich den Spaniern stellte, um England zu retten. Tief im Inneren wissen wir, dass dies nur ein Teil ist. Wir wissen, dass dies der Stoff ist, aus dem Legenden sind. Aber es ist aufregend und inspirierend. Es macht uns – uns alle – stolz, Briten zu sein. Seit Jahrhunderten gehört der Mythos um Drake, mindestens so wie die Realität, zum Herzstück der britischen nationalen Identität. Es ist eine Geschichte, die die Grenzen von Rasse, Geschlecht und Sexualität überwindet.

Schulleiterin Karen Cartwright sagt, sie sei „begeistert", dass ihre Schüler bei der Umbenennung ihrer Schule eine so „zentrale Rolle" gespielt hätten. Aber was haben diese Kinder wirklich daraus gelernt? Dass es keine Helden und keine nachahmenswerten Leistungen gibt? Dass in der Vergangenheit nur Schlechtes passiert ist? Dass sie sich schämen sollten, Briten zu sein, und nicht stolz darauf sein sollten? Es gibt wenig zu bejubeln an einer Generation, die moralisch so weit von der Vergangenheit ihres Landes entfernt aufwächst.

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