15.12.2022
Eine echte Bedrohung der Demokratie
Die Reichsbürger sind gefährlich, aber die Überreaktion der Regierung ist noch gefährlicher.
Rund 3000 Polizeibeamte im Einsatz, 54 Verdächtige und 25 Festnahmen im Kampf gegen die Reichbürger – das vermeldeten die Nachrichtensender letzte Woche. Bei den Festgenommenen handelt es sich um mutmaßliche Verschwörer, die den Bundestag erstürmen und Teile der Infrastruktur lahmlegen wollten.
Schon kurz nach der Razzia äußerten sich einige Politiker zufrieden mit der Aktion. Kanzler Olaf Scholz z.B. sprach von dem Handeln eines entschlossenen Staates. Nun wüssten alle, dass man einen wehrhaften Staat habe und eine wehrhafte Demokratie, die solche Rechtsverletzungen und Planungen mit ihren Sicherheitsbehörden durchkreuzen könne und dies sei die wichtigste Konsequenz der Aktion.
Die Reichsbürger sind tatsächlich reaktionär, antidemokratisch und konspirativ. Sie behaupten, das alte Deutsche Reich, das am Ende des Ersten Weltkriegs zusammengebrochen ist, sei nie rechtmäßig abgeschafft worden und das heutige Deutschland daher ein illegales Konstrukt. In ihren Augen leben wir in einer Scheindemokratie, hinter der sich ein geheimer tiefer Staat verbirgt. Zur Wiederherstellung der alten Ordnung gehört für viele auch die Rückkehr zu einem Kaiser als Herrscher.
Die Tatsache, dass eine solch bizarre Bewegung in den letzten Jahren wachsen konnte – von rund 19.000 Anhängern im Jahr 2019 auf angeblich 23.000 im Jahr 2022, wie die Polizei angibt – zeigt uns, dass in Deutschland eindeutig etwas schief läuft. Die Reichsbürger sind jedoch nicht in einem politischen Vakuum größer geworden. Vielmehr haben sie, teilweise, als Reaktion auf den autoritären Umgang der deutschen Regierung mit der Corona-Pandemie neue Unterstützer gewonnen. Ihre schwarz-weiß-roten Fahnen (die Farben der Flagge des alten Deutschen Reichs von vor 1918) waren oft bei Demonstrationen gegen die Lockdowns zu sehen. Dies machte es der Pro-Lockdown Lobby leicht, jeden Widerstand gegen die Corona-Beschränkungen als Produkt rechtsextremer Verschwörungstheoretiker darzustellen.
Dass Mitglieder der Reichsbürger auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, zeigte sich 2016. Bei dem Versuch, das Haus eines Reichsbürgers zu durchsuchen und ihm seine Waffen abzunehmen, kam es zu einem Schusswechsel. Drei Polizisten wurden verletzt und einer getötet. Anfang dieses Jahres überfuhr ein Sympathisant der Bewegung bei einer Kontrolle einen Polizisten mit seinem Auto. Auch dieser Polizist wurde lebensgefährlich verletzt. Da einige der Verhafteten von letzter Woche ehemalige Soldaten (darunter ein ehemaliges Mitglied der Eliteeinheit KSK) sind, ist davon auszugehen, dass sie über gute militärische Fähigkeiten verfügen.
„Besorgniserregend ist vor allem die Art und Weise, wie die Reichsbürger-Affäre nun von Mitgliedern der Regierungskoalition instrumentalisiert wird."
Dennoch ist es wichtig, die Bedrohung des deutschen Staates durch die Reichsbürger nicht zu übertreiben. Genau das aber scheint die Regierung zu tun. Innenministerin Nancy Faeser sprach von einem „Abgrund terroristischer Bedrohung“, obwohl die Verhafteten eher wie verwirrte Rentner als wie hartgesottene Aufständische aussahen. Von den großen Waffenlagern, die im Anwesen des mutmaßlichen Anführers – Prinz Reuss – gefunden wurden, ist bislang wenig Konkretes bekannt gegeben worden (gefunden wurden wohl Schwerter, Gewehre und Armbrüste).
Es wird Aufgabe der Gerichte sein, zu entscheiden, ob die Reaktion der Regierung der von den Reichsbürgern ausgehenden Gefahr angemessen war. Das Vorgehen wirft jedoch Fragen auf. Einige Kommentatoren haben zurecht auf das Medienspektakel hingewiesen, mit dem die Verhaftungen verbunden waren: „Normalerweise, wenn etwas sehr Gefährliches passiert in diesem Land, arbeiteten Behörden besonders diskret. Da treten schwarz gekleidete Polizisten nachts die Tür ein und holen Verbrecher aus dem Bett. Warum? Damit sich die Brüder weder absetzen, Beweismittel verschwinden lassen oder noch größeres Unheil anrichten können“, schreibt Jesko zu Dohna in der Berliner Zeitung.
Warum also schien das übliche Anti-Terror-Protokoll nicht für die Reichsbürger zu gelten? Weil die Razzien von mehreren Fernsehsendern gefilmt wurden, sagte die Linken-Abgeordnete Martina Renner – nicht zu Unrecht – das Ganze habe auf sie wie eine „PR-Aktion“ gewirkt. Sie behauptete sogar, manche Medienvertreter hätten bereits zwei Wochen vor den Razzien die Namen und Adressen der Verdächtigen gekannt sowie den Zeitpunkt der geplanten Aktion.
„Es sieht so aus, als ob zu viele in der Regierung die Verschwörung nutzen, um ihre Gegner zu schädigen und sogar zum Schweigen zu bringen."
Besorgniserregend ist aber vor allem die Art und Weise, wie die Reichsbürger-Affäre nun von Mitgliedern der Regierungskoalition instrumentalisiert wird. So hat Innenministerin Nancy Faeser bereits eine Reihe gesetzlicher Verschärfungen angekündigt. Noch in diesem Jahr will sie z.B. ein Gesetz, das die Entlassung von Extremisten aus dem Beamtenverhältnis beschleunigen soll, auf den Weg bringen. Zeitweise deutete die Ministerin sogar an, die Beweislast umkehren zu wollen, um dem Staat den komplizierten und langwierigen Prozess der Schuldzuweisung zu ersparen. Alle Beamten – vom Lehrer bis zum Feuerwehrmann – müssen, sollte es dazu kommen, besonders auf der Hut sein, damit ihnen keine „verfassungsfeindliche" Aktivitäten vorgeworfen werden können.
Auch die rechtspopulistische AfD ist in die Kritik geraten, weil eine der Hauptverdächtigen ein ehemaliges Mitglied ihrer Bundestagsfraktion ist. Führende Politiker – darunter der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius von der SPD – haben nun ein Verbot der AfD gefordert. Andere, wie Konstantin von Notz von den Grünen, spielen mit dem Gedanken einer Zutrittsbeschränkung für die Abgeordneten der AfD zum Bundestag: „Das Sicherheitskonzept des Bundestags ist nicht dafür gemacht, dass Verfassungsfeinde mit Zutrittsprivilegien ins Parlament gewählt werden“, sagte er. Der Verdacht liegt nahe, dass solche Vorstöße nicht ohne Hintergedanken erfolgen. Immerhin hat die AfD in letzter Zeit angesichts steigender Inflation, Energieknappheit und Krieg spürbar an Zustimmung gewonnen.
Die Reichsbürger sind alles andere als harmlos. Und es ist richtig, dass der Staat gegen jede mögliche Gewaltandrohung vorgeht. Aber es sieht so aus, als ob zu viele in der Regierung die Verschwörung nutzen, um ihre Gegner zu schädigen und sogar zum Schweigen zu bringen. Wenn hier also eine Gefahr für die Demokratie besteht, dann geht sie nicht nur von den Reichsbürgern aus – sondern auch von jenen Politikern, die bereit sind, zentrale demokratische Grundsätze auszuhöhlen, während sie vorgeben, die Demokratie zu verteidigen.