12.11.2014

E-Zigarette statt Ebola

Analyse von Christoph Lövenich

Die Weltgesundheitsorganisation musste für ihren Umgang mit der Ebola-Katastrophe jüngst viel Kritik einstecken. Statt sich den nötigsten Fragen in armen Ländern zu widmen, verwendet die WHO ihre Ressourcen insbesondere für Lifestyle-Regulierung.

Dramatische Szenen in Westafrika: Leblose Körper auf den Böden der Krankenhäuser, Kinder verlieren ihre jungen Eltern, medizinisches Personal erscheint aus Angst vor Ansteckung nicht zur Arbeit, wodurch auch Patienten mit harmloseren Krankheiten sterben. Ebola heißt die Seuche, die die Welt seit Monaten in Atem hält und in einigen Entwicklungsländern tragischste Konsequenzen zeitigt.

Epidemien übertragbarer Krankheiten sind aber längst keine unabwendbaren Schicksalsschläge mehr, sondern die Menschheit hat erhebliche Fortschritte in der von ihr seit Jahrhunderten betriebenen Seuchenbekämpfung erzielt. Die Ebola-Ausbreitung erfordert diesbezüglich grenzüberschreitende Koordination und Hilfe für arme Länder mit erbärmlicher Gesundheitsinfrastruktur. Nach weit verbreiteter Annahme kommt diese Funktion der Weltgesundheitsorganisation der UN (WHO) zu, die daraus auch ihre wesentliche Legitimation in der Bevölkerung bezieht.

Tatsächlich erfährt die WHO aber seit Monaten eine Menge Kritik, z.B. von der Organisation Ärzte ohne Grenze, die mit Medizinern vor Ort tätig ist. Im Frühling und sogar noch im Sommer, Monate nach Ausbruch, hat die WHO die Epidemie in ihren Warnstufen unterschätzt, wenn nicht gar verharmlost. [1] Dann folgten bürokratische Probleme bei den Einreisevisa für hilfswillige Ärzte und bei der Überweisung von Hilfsgeldern. [2]

Der Deutschland-Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen ergänzt: „Die Frustration ist auf jeden Fall da, weil wir seit Monaten unter anderem mit der WHO darüber reden, dass mehr gemacht werden muss. Und diese Sachen passieren nicht, obwohl wir seit Monaten darauf hinweisen, dass es passieren muss.“ Und eine WHO-Beraterin merkt an, dass die Genfer Organisation aus den Krisengebieten sogar „zügig wieder Personal abgezogen [hat]. Ein weiterer Punkt ist, dass die Koordination vor Ort, glaube ich, auch nicht besonders gut läuft.“ [3]

„Kenner der WHO vermag all das kaum zu verwundern.“

Kenner der WHO vermag all das kaum zu verwundern. Schon nach dem Versagen der UN-Äskulaps beim Choleraausbruch auf Haiti 2010 ging die Zeitschrift Foreign Policy mit den veralteten Strukturen der Organisation hart ins Gericht und zweifelte an ihrer Relevanz. Die WHO benötige selbst „Intensivtherapie“, müsse sich „verändern oder sterben“. [4]

Einer der Gründe dafür liegt in ihrer Finanzierung. Insbesondere seit der Jahrtausendwende greift man zu deren Ausbau Großteils auf Mittel zurück, die nicht von den Mitgliedsstaaten überwiesen werden, sondern von privater Seite stammen, von Konzernen oder steinreichen Individuen. Diese wiederum neigen zur zweckgebundenen Spenden, so dass selbst WHO-Chefin Margaret Chan zugeben muss, dass die Agenda ihrer Organisation von „Spenderinteressen getrieben“ ist. Und da stehen Themen wie Aids und Tabakbekämpfung höher im Kurs als andere, von der Sache her gebotene. [5]

Das Sponsoring von Pharmakonzernen hat nach Meinung vieler Kritiker dazu beigetragen, dass die WHO vor ein paar Jahren aus der Mücke Schweinegrippe einen Panik-Elefanten gemacht hat. „Der Fehlalarm der WHO soll der Pharmawelt insgesamt 18 Milliarden Dollar beschert haben“ lautet das Fazit von Frontal21. [6] Für den Mediziner und ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wodarg von Transparency International ist klar, dass die Pharmaunternehmen ins Portemonnaie greifen, um „ihre Marketingstrategien mit der WHO gemeinsam durchzusetzen“. [7] Und der Schweizer Immunologieprofessor Beda Stadler fragt in diesem Zusammenhang: „Wie finanziert man einen solchen bürokratischen Moloch, nachdem die Glaubwürdigkeit selbstverschuldet beschädigt worden ist?“ [8]

„Während anderswo auf dem Planeten die Schwelle von 10.000 Ebola-Fällen überschritten wurde, verbrachte man eine Woche bei ‚Champagner, Kaviar und Lachscarpaccio‘“

Großspendern wie dem CNN-Mogul Ted Turner, Bill Gates und dem streng paternalistischen ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg liegt nicht zuletzt die Tabakbekämpfung am Herzen. [9] Dieses Thema beschäftigt die WHO seit einem halben Jahrhundert, sie koordiniert es weltweit mit zahlreichen gesetzgeberischen Erfolgen und hat dazu ihr bisher einziges völkerrechtliches Vertragswerk weltweit verankert. [10]

Passenderweise musste sich die WHO-Generaldirektorin ihre Absenz bei einer Ebola-Besprechung damit entschuldigen, dass sie in Moskau auf der Antitabakkonferenz ihrer Organisation weilte. [11] Die Teilnehmer dieser millionenteuren Veranstaltung mit Gastgeber Putin verbrachten, während anderswo auf dem Planeten die Schwelle von 10.000 Ebola-Fällen überschritten wurde, eine Woche bei „Champagner, Kaviar und Lachscarpaccio“ [12], teilweise in Luxushotels, was zu einer kritischen Anfrage im britischen Parlament führte. [13]

Der Medizinprofessor Romano Grieshaber, Kritiker des auf Lebensstil und nicht-übertragbare Krankheiten ausgedehnten Epidemiebegriffs der WHO („Tabakepidemie“, „Fettleibigkeitsepidemie“) [14], fragt im Zusammenhang mit Ebola: „Und wo nicht vor allem alte und bereits kranke Menschen, sondern vielfach zuvor gesunde Erwachsene im Alter zwischen 30 und 45 sterben, da bleiben Waisenkinder, unversorgte alte Menschen und unbestellte Felder zurück, womit weiteres Elend in einem Teufelskreis vorprogrammiert ist, der noch jahrelang nachwirken kann. Wann hätte man je davon gehört, dass zum Beispiel die ‚Diabetesepidemie‘ solche Folgen mit sich gebracht hätte?!“ Er ergänzt: „Die Erkrankten der letzten Wochen sind auch Opfer der Inkompetenz von Gesundheitsfunktionären, die schon so lange hauptsächlich PR-Schattenboxen gegen Scheinprobleme betreiben, dass sie gar nicht mehr wissen, wie man echte Probleme bekämpft.“ [15]

„Die politische Bekämpfung des Klimawandels führe selbst nach WHO-eigenen Zahlen zu mehr Toten als der Klimawandel selbst“

In Moskau haben sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit das Vorgehen gegen das Dampfen sogenannter E-Zigaretten beraten. Für den britischen Bestsellerautor und Wissenschaftsexperten Matt Ridley eine Absurdität, da die Tabakbekämpfung über dieses Alternativprodukt heilfroh sein müsste. [16]

Ridley nimmt WHO-Boss Chan auch übel, dass sie sich jüngst zum Thema Klimawandel und Gesundheit „so hysterisch“ geäußert hat, „dass es einer Öko-Lobbygruppe den Atem verschlagen hätte.“ Die politische Bekämpfung des Klimawandels führe selbst nach WHO-eigenen Zahlen zu mehr Toten als der Klimawandel selbst, wozu er das Beispiel von ungesunder Luftverschmutzung durch Heiz- und Kochbefeuerung anführt, die durch die Finanzierung fossiler Brennstoffe vermeidbar wäre. Der tödliche Mangel an Gesundheitsinfrastruktur in Ländern wie Sierra Leone und Liberia „ist ein Symptom von Armut, nicht von Klimawandel (und schon gar nicht von Nikotin).“ [17]

Ausgerechnet aus der Tabakpflanze wird ein derzeit sich in Erprobung befindlicher Ebola-Impfstoff gewonnen – ein für die WHO und den Privatsponsor wie Bill Gates wenig erfreulicher Umstand. [18] Denn die setzen nun einmal ganz andere Prioritäten. Die derzeitige Ebola-Epidemie zeigt aber ganz deutlich, dass mit großem Engagement weiter an der Seuchenbekämpfung gearbeitet werden muss. Und sie führt vor Augen, dass dabei auf die dringend reformbedürftige und zu Unrecht noch hoch angesehene Weltgesundheitsorganisation kein Verlass ist.

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