04.07.2017
Drakonisches Durchgreifen gegen Hassrede
Kommentar von Sabine Beppler-Spahl
Wer im Netz die ‚falschen‘ Ansichten äußert, muss in Deutschland mit einem Hausbesuch der Polizei rechnen.
Am 13. Juni dieses Jahres wurden im Rahmen eines „Aktionstags gegen Hasspostings“ in 14 Bundesländern 60 Wohnungen von der Polizei durchsucht. Es war bereits der zweite Aktionstag dieser Art, der vom Bundesjustizministerium initiiert wurde. Im Juli 2016 wurden 36 Wohnungen durchsucht.
Solch hartes Durchgreifen sollte uns nicht überraschen. Schließlich sieht der deutsche Staate das freie Wort zunehmend als Bedrohung. „Unser Rechtsstaat duldet diese Hetze nicht“, sagte kürzlich der sächsische Innenminister Markus Ulbig. Bundesjustizminister Heiko Maas meint, rechte Hetze gefährde die Demokratie und das politische Klima.
Die Grundlage für die Hausdurchsuchungen ist der sogenannte „Volksverhetzungsparagraf“ (§130 StGB). Strafbar sind demnach Äußerungen, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören, indem unter anderem gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe oder Person gehetzt wird. Ursprünglich diente das Gesetz dazu, das Erstarken von neofaschistischen Gruppen zu unterbinden, doch seit dem Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 wird es immer häufiger angewendet. Im Februar berichtete der Fokus, dass sich in Sachsen die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung im Jahr 2016 im Vergleich zum Jahr 2013 fast verfünffacht habe. Insgesamt wurden Ermittlungsverfahren gegen 812 Personen eingeleitet. In Berlin gab es im gleichen Jahr etwa 900 Verfahren und in Mecklenburg-Vorpommern stieg die Zahl der Verfahren von 46 im Jahr 2014 auf 111 im Jahr 2015 und 140 im Jahr 2016.
„Die offizielle Politik vermag abweichende Meinungen nicht mehr zu integrieren.“
Einige der Verurteilten sind Prominente, wie zum Beispiel der Pegida-Gründer Lutz Bachmann, der zu 9600 Euro Strafe verurteilt wurde, weil er Migranten als „Viehzeug“ verunglimpft hatte. Aber auch viele unbekannte Personen sind verurteilt worden. Darunter eine 62-jährige Verkäuferin aus Berlin, die einen Facebook-Post geteilt hatte. Der Beitrag enthielt ein Foto mit Flüchtlingen und ein fiktives Gespräch: „Frage: Haben Sie etwas gegen Flüchtlinge? Antwort: Ja, Maschinenpistolen und Handgranaten.“ Das Gericht fand die Begründung der Frau, sie habe den Post für einen Spaß gehalten, unglaubhaft und verurteilte sie zu einer Strafe von 1350 Euro.
Mehr Glück hatte ein 27-jähriger Kleinbauer, der in seinen Posts gegen das Schächten gewettert hatte („Wer Tiere ausbluten lässt, ist ein Schwein“). In seinem Fall akzeptierte das Gericht das Argument der Verteidigung, dass der Angeklagte nicht gegen Flüchtlinge im Allgemeinen schimpfte, sondern nur gegen eine bestimmte Gruppe (die angeblich seine Schafe geklaut und geschächtet hätten).
Warum umfasst das staatliche Vorgehen gegen vermeintliche „Hasspostings“ nun sogar Hausdurchsuchungen? Der Bundesregierung zufolge liege dies an den Sozialen Medien. Die Hemmschwelle sei bei Facebook und Twitter niedriger als woanders und hetzerische Einträge könnten innerhalb von kürzester Zeit Millionen erreichen, so das Argument. Dieser Logik folgt auch das letzte Woche vom Deutschen Bundestag beschlossene Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das Gesetz sieht vor, dass die Betreiber von sozialen Netzwerken Beschwerden unverzüglich prüfen und „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen müssen. Verstöße gelten als Ordnungswidrigkeit und sollen mit bis zu 50 Millionen Euro Bußgeld bestraft werden.
Es stimmt, dass die sozialen Medien wegen ihrer Offenheit ein Ort geworden sind, an dem manche Menschen Frust und Zorn ausleben sowie rückständige Ideen äußern. Die Vorstellung, die sozialen Medien seien die Ursache für diese Meinungen, ergibt jedoch keinen Sinn. Sie ist Ausdruck für den Unwillen der Regierung, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Die wahre Ursache für die verhärtete Diskussionskultur im Netz liegt darin, dass andere Sphären der offenen Debatte immer weiter eingeschränkt worden sind und die offizielle Politik abweichende Meinungen nicht mehr zu integrieren vermag.
„Die angebliche Zunahme von Hassrede ist eine Konsequenz von zu wenigen Debatten und nicht zu vielen!“
Tatsächlich ist Deutschland heute so tolerant wie nie zuvor. Das zeigen die öffentlichen Debatten über Themen wie Homosexualität und Einwanderung. Das meiste von dem, was als „Hassrede“ bezeichnet wird, findet am Rand der Gesellschaft statt. Klügere Kommentatoren haben das, was bei Facebook und Twitter passiert, mit den Stammtischen verglichen, wo die Menschen früher gegen die Regierung und die Politik wetterten. Das Problem ist, dass die Dinge, die an Stammtischen gesagt wurden und auch von den Parteien zum Teil aufgegriffen wurden, heute zunehmend als „unsagbar“ gelten - vor allem in der offiziellen Politik. Es gibt zu wenige Orte, an denen Unzufriedenheit oder abweichende Meinungen geäußert werden können. Deswegen sehen sich immer mehr Menschen, die sagen, was sie denken, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die angebliche Zunahme von Hassrede ist eine Konsequenz von zu wenigen Debatten und nicht zu vielen!
Vor nicht allzu langer Zeit waren die etablierten Parteien noch in der Lage, ein größeres Spektrum an Meinungen – auch kontroverse wie zum Beispiel zur Immigration – aufzugreifen und einzubinden. Diejenigen, die sich Sorgen über eine ihres Erachtens zu liberale Einwanderungspolitik gemacht haben, wählten die CDU. Andere unterstützen eher die SPD. Im bürgerlichen Parteienspektrum fanden sich auch prominente, schillernde Persönlichkeiten mit Äußerungen, die heute als „radikal“ oder „hetzerisch“ eingestuft würden (man denke an Franz-Josef Strauß, Erika Steinbach oder auch Herbert Wehner).
Der diesjährige Bundestagswahlkampf zeigt, wie verkümmert und eingeschränkt unsere politische Diskussionskultur ist. Ersthafte, kontroverse Themen werden ausgeklammert. Das Thema, das breite Unterstützung findet, ist die Ehe für alle. Unabhängig davon, wie man dazu steht, wird doch deutlich, wie sehr sich die Parteien in einem Wettkampf um die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ befinden. Das bedeutet, dass sich immer mehr Menschen ausgeschlossen oder nicht repräsentiert fühlen. Es wird spekuliert, dass die Regierung das Netzwerkdurchsetzungsgesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet hat, um zu verhindern, dass Hassrede die Wahlen beeinflusst. Das Risiko konfrontativer Debatten soll offenbar um jeden Preis vermieden werden.
Die Unfähigkeit der Parteien, die Unzufriedenheit aufzugreifen und zu kanalisieren, hat dazu geführt, dass bestimmte Ideen außerhalb der offiziellen Politik zum Ausdruck kommen. Das Brandmarken dieser Ansichten als kriminelle Hassrede sowie deren Bestrafung wird die Debatte nur noch weiter einschränken und das Problem verschlimmern. Was wir brauchen, ist eine konsequente und klare Verteidigung der Rede- und Meinungsfreiheit.