29.11.2016

Die verratene Revolution

Kommentar von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Warren K. Leffler via Library of Congress

Der jetzt verstorbene Fidel Castro war nicht von Anfang stalinistischer Diktator. Der Kalte Krieg trieb die kubanischen Revolutionäre zu den Sowjets, deren totalitäres Weltbild sie übernahmen.

Nach den Reaktionen in den sozialen Medien auf den Tod Fidel Castros zu urteilen war der Kubaner ein bösartiges Monster, das die endgültige Verantwortung für alle schrecklichen Erfahrungen seines Heimatlandes, und für viele der Probleme Lateinamerikas, trägt.

Dabei übersieht man eine unbequeme Tatsache: dass Castro das Monster auch Millionen von Menschen in der Welt inspirierte und noch heute das Ansehen einer bedeutenden Minderheit der Kubaner genießt. Um das Castro-Phänomen zu verstehen, reicht es nicht, ihn als böse zu brandmarken. Wir sollten den Ausgang seiner Revolution nicht mit ihren Anfängen und ursprünglichen Idealen verwechseln.

Die kubanische Revolution von 1959, die Castro an die Macht brachte, hatte wenig mit Marxismus, Kommunismus, Sozialismus oder der Sowjetunion zu tun. Castros Hauptinspiration war José Martí, der Anführer des kubanischen Unabhängigkeitskampfes gegen Spanien im 19. Jahrhundert. Castros Revolution wurde von der Perspektive eines radikalen Nationalismus dominiert, nicht vom Kommunismus, und ihr Ziel war, Kubas Status als typische Bananenrepublik zu beenden – eine Neokolonie, dominiert von den politischen und ökonomischen Interessen Amerikas.

„Im Gegensatz zu anderen radikalen Politikern in Lateinamerika nahm Castro seine Ideale sehr ernst.“

Wer sich die Mühe macht, sich mit den Ideen auseinanderzusetzen, die die kubanischen Revolutionäre der späten 1950er motiviert haben, wird erkennen, dass ihre Weltsicht aus einer Synthese von radikalem Nationalismus, Anti-Kolonialismus und demokratischen Idealen bestand.

Im Gegensatz zu anderen radikalen Politikern in Lateinamerika nahm Castro seine Ideale sehr ernst. Für amerikanische außenpolitische Entscheidungsträger war das ein großes Problem, da es implizit die Vorherrschaft Washingtons über die Region in Frage stelte. Eine Zeitlang hofften amerikanische Diplomaten, dass Castro sich wie andere Anführer aus der Region unterordnen würde, sobald er an der Macht sei. Aber es stellte sich heraus, dass Castro unwillig war, die Ideale der Revolution zu verraten und er weigerte sich, Kubas Unabhängigkeit für Washingtons Unterstützung einzutauschen.

Die wahre Tragödie für Kuba ist, dass die Revolution am Höhepunkt des Kalten Krieges stattfand. Die Vereinigten Staaten konnten ein unabhängiges Kuba nicht billigen. Es musste verhindert werden, dass andere lateinamerikanische Nationen in ähnlicher Weise die Dinge in die eigenen Hände nehmen. Die USA fürchteten auch, dass die Sowjetunion der größte Nutznießer eines unabhängigen Kubas werden könnte. Also versuchte Washington, das Regime Castros zu untergraben, indem es Kuba isolierte, und ihm schließlich eine Wirtschaftsblockade aufbürdete.

„Washingtons Versuch, mit der Schweinebuchtinvasion eine Regimeänderung zu erzwingen, verstärkte Kubas Bindung an die Sowjetunion.“

Kuba konnte mit diesem Wirtschaftsembargo einfach nicht überleben. Und so wurde das Land wortwörtlich in die Hände der Sowjetunion getrieben. Die sowjetische Hilfe war an Bedingungen geknüpft, und binnen kurzem war der radikal-demokratische Ethos, der die Revolution motiviert hatte, ausgelöscht. Die stalinistische Kommunistische Partei Kubas gewann an Stärke und bald wurde Castro selbst mit ihrem totalitären Weltbild infiziert. In den frühen 1960er Jahren hatte sich in Kuba das sowjetische Modell durchgesetzt und das Land war ein Satellitenstaat Moskaus geworden. 1961 verstärkte Washingtons Versuch, mit der Schweinebuchtinvasion eine Regimeänderung zu erzwingen, Kubas Bindung an die Sowjetunion. Lange vor den katastrophalen westlichen Interventionen in Libyen und dem Irak zeigte sich, welch schlimme Konsequenzen versuchte Regimestürze fremder Mächte haben können.

Die Transformation Castros in einen antidemokratischen Diktator war eine Tragödie, an der er nicht die alleinige Schuld trägt. Gefangen zwischen den zwei Blöcken des Kalten Krieges, verlor er seine ursprüngliche Vision und verriet seine eigene Revolution. Doch er war nie der typische totalitäre Diktator. Er führte ein bescheidenes Leben. Es gibt keine Straßen, die seinen Namen tragen und keine Castro-Monumente in Havanna. Sein faustischer Pakt mit Moskau stürzte Millionen Kubaner ins Elend, aber für viele ist er immer noch der Mann, der die Welt dazu zwang, Kuba ernst zu nehmen und der einst, vor langer Zeit, einige wirklich demokratische Ideale besaß.

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