28.10.2024

Die SPD im Steuerwunderland

Von Jörg Michael Neubert

Titelbild

Foto: Dat doris via Wikicommons / CC BY-SA 4.0

Die SPD will die Reichsten stärker bei der Einkommensteuer zur Kasse bitten, die Vermögenssteuer wieder erheben und den Mindestlohn erhöhen. Was hätte das zur Folge?

Bekanntlich wird ja in spätestens einem Jahr der Bundestag neu gewählt und da diese Tatsache auch der SPD nicht entgangen ist, hat der Vorstand ein Positionspapier beschlossen, das als Grundlage für den Wahlkampf dienen soll. Neben den üblichen eher allgemeinen Ausführungen über Respekt und Gerechtigkeit sowie schwammigen Ankündigungen enthält das Papier auch einige konkrete Punkte zum Thema Steuern sowie Mindestlohn. Diese sind es wert, dass man sie sich etwas genauer ansieht.

Beginnen wir zunächst mit dem Thema Steuern. Laut Programm soll jeder, der hart arbeitet mehr Geld in der Tasche haben. Oder etwas technischer ausgedrückt: Das Realeinkommen also das Einkommen abzüglich der Inflation, soll steigen. Betrachtet man dazu exemplarisch die Reallöhne, so sind diese zuletzt 2019 gestiegen. In den folgenden Jahren kam dann entweder zu einer Stagnation oder sogar einem Reallohnverlust. Der ökonomische Grundgedanke hinter dieser Forderung ist nun, dass mit steigendem Reallohn bzw. Einkommen die Inlandsnachfrage nach Gütern anzieht und dadurch das Wirtschaftswachstum steigt. Dieser Zusammenhang ist in der Ökonomie gut bekannt und daher ist gegen diese Forderung ist nichts Grundsätzliches einzuwenden. Ein gutes Beispiel für die diesen Zusammenhang wären die USA, deren Wachstum hauptsächlich dadurch getrieben wird.

Wie will die SPD die für diese Nachfrage nötige Kaufkraftsteigerung nun erreichen? Laut Programm ist eine Steuerreform geplant, die 95 Prozent aller Steuerzahler entlastet und das reichste 1 Prozent mehr in die Pflicht nimmt, sprich stärker besteuert. Ob diese Menschen nicht eventuell auch hart arbeiten und deshalb mehr in der Tasche haben sollten, wird nicht thematisiert. Es lohnt sich, einmal grob nachzurechnen, was diese Forderung denn konkret bedeutet.

Umverteilung

Um das zu bewerkstelligen, klären wir zunächst erstmal, wie viel das obere eine Prozent überhaupt verdient. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages liefert dazu zwar etwas ältere, aber gut verwertbare Daten. Laut diesen Daten zählt man zum obersten Prozent, wenn man mindestens 204.464 Euro im Jahr verdient. Diese Zahlen beziehen sich auf die Einkommenssteuer, da Vermögen in Deutschland (noch) nicht systematisch erfasst wird. Das oberste Prozent bezahlt 22,9 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens. Umgerechnet auf das Jahr 2023, wo selbiges geschätzt ca. 310.000 Millionen Euro betrug, hätte diese Einkommensgruppe also ca. 71.000 Millionen Euro an Einkommenssteuer entrichtet.

„Inwieweit ein zusätzlicher Döner pro Monat samt einem Kaffee zum Mitnehmen die Wirtschaft ankurbeln soll, bleibt unklar.“

Nehmen wir jetzt an, dass das oberste Prozent zusätzlich mit einem ordentlichen Aufschlag von 10 Prozent mehr Einkommensteuer belegt würde. Das würde zu Mehreinnahmen von etwa 7100 Mio. Euro führen. (Etwaiges Vermeidungsverhalten klammern wir hier aus.) Als Einkommensteuerzahler im Sinne der SPD betrachten wir mal die Erwerbstätigen in Deutschland, deren Zahl betrug 2023 45,9 Millionen Personen. Und wir wollen dieses zusätzliche Geld nun gleichmäßig auf die „unteren“ 95 Prozent, also 43,6 Millionen Erwerbstätige verteilen. Eine kurze Rechnung ergibt dann eine Steuererleichterung von 124,90 Euro pro Jahr für jeden davon – oder anders ausgedrückt von 10,40 Euro pro Monat. Inwieweit ein zusätzlicher Döner pro Monat samt einem Kaffee zum Mitnehmen die Wirtschaft ankurbeln soll, bleibt unklar – zumal zum nächsten Jahr die Krankenkassenbeiträge auf breiter Front steigen sollen, was den Steuervorteil je nach Einkommensklasse überkompensieren würde.

Unangenehmerweise trifft eine Steigerung der Lohnnebenkosten darüber hinaus vor allem Geringverdiener (nicht Bürgergeldempfänger), die sowieso keine oder kaum direkte Steuern zahlen. Es zeigt sich also, dass die Forderung der SPD zwar wohlfeil klingt, aber insgesamt einen eher zu vernachlässigbaren bis keinen Effekt zeitigen würde.

Vermögenssteuer

Vielleicht ist das auch der SPD bewusst und daher wurde bereits die Meldung lanciert, dass neben der oben angesprochenen Reform auch die Vermögenssteuer (mal wieder) eingeführt werden soll. Im Vorstandspapier wird die Vermögenssteuer zwar gar nicht erwähnt, trotzdem ergibt es Sinn, sich kurz mit einem der Lieblingskinder der SPD-Linken zu beschäftigen. Als erste Frage stellt sich, ab welcher Summe von Vermögen die Steuer erhoben werden soll. Wie bei Steuern so üblich, müsste dieser willkürlich festgelegt werden, was schnell zu einer Gerechtigkeitsdebatte führen könnte.

Die nächste logische Frage wäre dann, wie hoch der Steuersatz sein soll. Die Zahl, die zu diesem Thema normalerweise genannt wird, ist ein Prozent auf das zu besteuernde Vermögen (wie schon zuletzt bei der deutschen Vermögenssteuer 1995/96). Wohlgemerkt, es geht um das Vermögen an sich, nicht die Gewinne daraus (die werden nochmal separat versteuert). Die Vermögenssteuer ist daher eine sogenannte Substanzsteuer, da sie nicht den generierten Mehrwert einer Kapitalanlage ‚angreift‘, sondern den Wert an sich. Wenn Sie also z.B. mehrere Immobilien besitzen, die insgesamt 1 Million wert sind, müssten Sie jedes Jahr 10.000 Euro zahlen. Vollkommen egal, ob Sie irgendwelche Einnahmen mit den Wohnungen erzielt haben oder nicht. Was bedeutet das in der  Konsequenz? Das hängt natürlich von der Art der Immobilie ab, aber gehen wir erstmal von einer klassischen Wohnimmobilie aus. Wenn Sie selbst darin wohnen, wäre ein Verkauf und der Umzug in eine günstigere Wohnung möglich. Wenn Sie diese hingegen vermieten, werden Sie wohl versuchen, die höheren Kosten auf die Mieter abzuwälzen. Das würde natürlich vor allem sozial schwache Mieter treffen, und ob das im Sinne der SPD wäre, darf bezweifelt werden.

„Die Vermögenssteuer würde vor allem dem inhabergeführten Mittelständler treffen, der ja als Rückgrat der deutschen Wirtschaft gilt.“

Womit wir bei einem weiteren Problem wären. Viele hohe Vermögen in Deutschland sind nicht etwa Immobilienvermögen oder große Aktienpakete. Vielmehr resultieren sie aus Unternehmensanteilen, die in Deutschland eben oft keine Aktien sind. Diese Unternehmensteile können aber, wenn es mal schlecht läuft, nicht einfach zu Geld gemacht werden, um die Steuer zu bezahlen. Die Vermögenssteuer würde also vor allem dem inhabergeführten Mittelständler treffen, der ja als Rückgrat der deutschen Wirtschaft gilt. Wahrscheinlich ist das auch SPD klar und man würde versuchen, mit komplizierten Regelungen diesen Effekt abzumildern. Anders ausgedrückt: Es würde jede Menge Bürokratie entstehen. Insgesamt besser wäre es daher wohl, anstatt mit scheinbar populären Forderungen nach einer Vermögens- oder sonst welchen Steuern eine wirkliche Reform zu wagen. Mit niedrigeren Sätzen und viel weniger Ausnahmen. Dadurch ließe sich auch kostentreibende Bürokratie einsparen.

Mindestlohn

Wenden wir uns nun einem weiteren Lieblingskind der SPD, dem Mindestlohn, zu. Dieser soll laut Vorstandspapier von jetzt 12,41 Euro zeitnah auf 15 Euro pro Stunde steigen. Das würde einer Lohnsteigerung von gut 20 Prozent entsprechen. Wenn wir der Einfachheit halber eine 40-Stunden-Woche unterstellen, wären das immerhin 414,40 Euro brutto mehr im Monat. Damit wäre zumindest mehr Konsum als bei der Steuerreform drin. Gerechtfertigt wird diese leistungslose Lohnerhöhung mit der bei linken Parteien allseits beliebten Gerechtigkeit (diesmal ohne den Zusatz sozial).

Was genau wären aber die Folgen eines höheren Mindestlohns? Fangen wir mit den positiven Effekten an. Die Erhöhung würde eine Einkommenssteigerung für die unteren Lohngruppen bedeuten und da diese zusätzliches Einkommen eher für Konsum ausgeben, wäre hier von einem positiven Beitrag zum Inlandskonsum auszugehen. Außerdem würde sich – so hier nicht auch nachgelegt wird – der Abstand zum Bürgergeld erhöhen. Das würde Arbeiten attraktiver machen und könnte damit Menschen motivieren, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Daneben sind aber natürlich auch negative Effekte zu erwarten. Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Ein höherer Mindestlohn steigert die Kosten des Faktors Arbeit, sprich die Lohnkosten vor allem in Betrieben, die eher gering qualifizierte Personen beschäftigen. Und das im doppelten Sinne: Der Arbeitgeber muss ja nicht nur mehr Lohn zahlen, sondern es werden auch höhere Sozialbeiträge fällig. Diese Kosten plus einen Beitrag zur Wertschöpfung muss der Arbeitnehmer erstmal erbringen. Und gerade in Tätigkeiten mit niedriger Qualifikation ist das nicht immer möglich. Zumal die derartige Lohnsteigerungen möglich machende Produktivität schon länger kaum noch steigt. Dieses unterschätzte Kernproblem belastet die Wettbewerbsfähigkeit. „Unternehmen sind daher auf andere Hebel – wie etwa ein moderates Lohnniveau – angewiesen, um wirtschaftlich zu überleben“, analysiert Alexander Horn.

„Gerade die Steuerlandschaft in Deutschland könnte eine große Reform gut gebrauchen, aber anstatt diese Chance zu nutzen, verweilt man eher im Althergebrachten.“

Was hätte eine solche Erhöhung des Mindestlohns zur Folge? Zum einen werden Unternehmen natürlich versuchen, diese Mehrkosten durch höhere Preise zu kompensieren, was die Inflation anheizen dürfte. Ist das nicht möglich, könnten Mitarbeiter durch Maschinen substituiert oder der Arbeitsdruck erhöht werden. Das ginge zu Lasten geringqualifizierter Arbeitnehmer, einer früheren Zielgruppe der SPD.

Zusätzlich erzeugt ein Mindestlohn Druck von unten auf das Tarifgefüge. In vielen Branchen würde er die unterste Lohngruppe erreichen bzw. übersteigen. Was wäre die Folge? Die Gewerkschaften müssten ihre Lohnforderungen für die unteren Gehaltsgruppen deutlich nach oben anpassen. Da die besser bezahlten Mitglieder aber auch bedacht werden wollen, treibt dieser Mechanismus die Lohnforderungen weiter hinauf. Unabhängig davon, dass der Staat damit in die viel beschworene Tarifautonomie eingreift, treiben diese Lohnsteigerungen wie schon beschrieben die Inflation an. Diese steigende Inflation könnte dann wieder zu höheren Lohnforderungen führen usw. Die Ökonomie spricht hier von einer Lohn-Preis-Spirale.  

Was kann man also zusammenfassend zu den Plänen der SPD in Bezug auf Steuern und Lohn sagen? Nachdem die Partei in Umfragen und bei einigen Wahlen eher schlecht abschneidet, versucht man es jetzt offenbar wieder mit „klassischen“ SPD-Forderungen. Ein etwas näherer Blick zeigt, dass diese aber eher vordergründig wählerheischend als wirklich durchdacht sind. Gerade die Steuerlandschaft in Deutschland könnte eine große Reform gut gebrauchen, aber anstatt diese Chance zu nutzen, verweilt man eher im Althergebrachten. Das erzeugt zwar Nostalgiegefühle bei der SPD, aber wenig Hoffnung für die Zukunft.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!