11.06.2019

SPD - ohne Führung und ohne Volk

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: mediaguyberlin via Pixabay / CC0

Die SPD ist über das Stadium hinaus, wo es es noch helfen könnte, sich gegenseitig Mut zu machen.

Die SPD hat aufgegeben und tut nun noch nicht einmal mehr so, als sei sie eine Partei, die Mehrheiten gewinnen und für politische Überzeugungen streiten will. Sie solle sich nicht mehr Volkspartei nennen, sagte ihr Ostbeauftrager Martin Dulig letzte Woche nach dem verheerenden Ergebnis (15,8 Prozent) bei der Europawahl. Damit macht er aus der Not, keine populäre Partei mehr zu sein, eine Tugend.

Wichtig sei das Signal, dass die Partei nicht führungslos ist, sagte Malu Dreyer nach dem Rücktritt von Andrea Nahles. Doch genau das ist sie. Der Rücktritt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden hat den wahren Charakter dieser einst stolzen und kohärenten Partei noch einmal offenbart: Sie ist eine leere Hülse. Selbst die Mitglieder der provisorischen Führungs-Troika (erkennt niemand die Ironie, die in diesem Begriff steckt?) scheinen die Partei aufgegeben zu haben: Keiner von ihnen will für sie kämpfen und die Leitung übernehmen. Dreyer und Manuela Schwesig wollen Ministerpräsidentinnen in ihren Bundesländern bleiben, und Thorsten Schäfer-Gümbel hat andere Karrierevorstellungen, als eine Partei zu reformieren, von der er annehmen muss, dass sie weiterhin Wahlen verliert. Im Herbst wird er Vorstandsmitglied der GIZ.

„Das Einzige, was die heutige SPD noch zusammenzuhalten scheint, ist die Angst vor dem Zerfall – und das Überleben der Großen Koalition."

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, seit die SPD nach dem Zweiten Weltkrieg von Kurt Schumacher unter schwierigsten Bedingungen wieder aufgebaut wurde! Schumacher, der fast zehn Jahre im KZ verbracht hatte, handelte aus demokratischer Überzeugung – und um den vielen Millionen Wählern, die nicht konservativ waren, eine Stimme im Parlament zu geben. Das Einzige, was die heutige SPD noch zusammenzuhalten scheint, ist die Angst vor dem Zerfall – und das Überleben der Großen Koalition. Nichts beängstigt sie mehr als Neuwahlen.

Dass der Rücktritt von Andrea Nahles – einer immerhin außerordentlich unbeliebten Parteivorsitzenden – von vielen als Schock dargestellt wurde, lässt sich nur vor diesem Hintergrund erklären. Die Behauptung, Nahles sei gemobbt worden und ein Beispiel dafür, wie schwer es Frauen in der Politik haben, lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Ja, in der SPD hat es viele interne Querelen gegeben – aber auch das sind die Symptome einer Partei im Niedergang. Nahles ist die achte Parteivorsitzende, die seit 2005 ihren Posten räumen musste. Ihr Rücktritt ist kein „erschreckender Befund für Frauen“, wie es in der Süddeutschen Zeitung heißt, sondern für den Zustand der etablierten Parteien in Deutschland. Ihr Autoritätsmangel war nicht ihrem Geschlecht geschuldet, sondern der Tatsache, dass auch sie keine substantiellen neuen Ideen hatte. 

Die Politik lebt von Idealen und harten Auseinandersetzungen. Und sie war schon immer ein Test für Charakter und Ausdauer. Die Appelle, die nun aus der SPD-Führung kommen, „netter" zueinander zu sein und die Anforderungen („wir sind keine Volkspartei“) noch weiter herunterzuschrauben, dienen dazu, den Druck abzuwenden. Wahlen lassen sich so nicht gewinnen. Die Frage ist, wer die Lücke füllen wird, die die SPD nach Jahrzehnten des Niedergangs hinterlässt. Wer kann den Wählern ein Angebot machen, das wirklich populär und progressiv ist?

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