19.07.2024
Die Pressefreiheit, sie gilt anders
Das Compact-Magazin Jürgen Elsässers wurde von Bundesinnenministerin Faeser am Dienstag verboten. Ein so noch nicht dagewesener grundgesetzwidriger Eingriff in die Pressefreiheit.
„Verboten gut“ – so bewarb Jürgen Elsässer sein Compact-Magazin im Februar. Das dazu abgebildete Cover mit der Schlagzeile „Der neue Faschismus“ zierte u.a. das Gesicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). An mangelnder Prophetie hat es also nicht gelegen. Am Dienstag verbot Faeser die Monatsschrift samt Videoproduktionen als verfassungswidrige Vereinigung. Vermummte Polizisten durchsuchten 14 verschiedene Räumlichkeiten, alles wurde beschlagnahmt und vom Staat enteignet – auch das teure Studio-Equipment.
Zehn Stunden lang wurden diverse Gegenstände, auch Möbel, von den Uniformierten davongetragen. Selbst Eigentum Dritter kann u.U. eingezogen bleiben. Die Medienarbeit wurde nicht nur illegalisiert, sondern auch faktisch verunmöglicht. Elsässer spricht von deutlich „sechsstelligen“ Vermögenswerten und davon, dass er seine Frau Stephanie nicht erreichen konnte – bei der Razzia an ihrem hessischen Zweitwohnsitz sei ihr Handy konfisziert worden, ebenso wie das des Gatten. Am Dienstagabend fand am Hauptort des Geschehens, dem brandenburgischen Ort Falkensee, eine Solidaritätskundgebung statt.
Laut Bundesinnenministerium waren rund 340 Polizisten an diesem massiven Schlag beteiligt. Konten wurden gesperrt, Websites offline genommen und die Social-Media-Plattformen um Abschaltung der Compact-Kanäle ersucht. Die tausenden Videos im YouTube-Kanal des Mediums mit seiner Dreiviertelmillion Abonnenten sind nicht mehr aufrufbar. Sogar der persönliche YouTube-Kanal Elsässers und der Instagram-Account seines Videochefs Paul Klemm sind von der Verbotsverfügung betroffen. Der Shop ist weg, so können z.B. Münzen zur russisch-deutschen Freundschaft oder Medaillen zu Ehren Donald Trumps nicht mehr vertrieben werden. Logos des Magazins gelten als Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung nun ebenfalls als illegal und man darf sie nicht mehr ohne weiteres zeigen. (Bei einer Protestdemo am Mittwoch in Chemnitz ging die Polizei bereits gegen die Träger von Compact-T-Shirts vor.) Über jeder künftigen journalistischen Betätigung der Compact-Leute schwebt das Damokles-Schwert, dass sie als Tätigkeit in einer verbotenen Ersatzorganisation strafbar sein könnte.
Faeser habe „das rechtsextremistische ‚COMPACT-Magazin‘ verboten“, da es als „zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“ diene und zu den „geistigen Brandstiftern“ gehöre, die „ein Klima von Hass und Gewalt gegenüber Geflüchteten und Migranten schüren und unseren demokratischen Staat überwinden wollen“. Demokratisch? Wenn es um sechs Uhr morgens an der Tür klingelt, ist es in einer Demokratie wahrscheinlich der Milchmann, lautet ein Ausspruch, den man Winston Churchill – wie so oft wohl fälschlicherweise – in den Mund gelegt hat. Als die Uniformierten frühmorgens klingelten, öffnete Elsässer im Bademantel – ein Antifa-Fotograf stand bereits parat. Wir erinnern uns an die frühzeitig informierten Medien bei der ähnlich inszenierten Reichsbürger-Razzia gegen Heinrich XIII. Prinz Reuß & Co. Ende 2022.
„Jeder andere mit einer derart oppositionellen Haltung und dieser Reichweite könnte ebenso ins Visier der Behörden geraten, zumal im Vorfeld mehrerer ostdeutscher Landtagswahlen im September.“
Rechtfertigen Faesers Unterstellungen ein solches Vorgehen? In Sachen Meinungsfreiheit führte das Bundesverfassungsgericht 2009 – damals bezogen auf Neonazis –zurecht aus:
Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor […] der ‚Vergiftung des geistigen Klimas‘ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.
Der Vorwurf des Geschichtsrevisionismus trifft das Magazin öfters, genau wie der des Rassismus, Antisemitismus, der Verbreitung von Verschwörungstheorien usw. Der schwäbische Ex-Lehrer Elsässer war lange linksradikaler Publizist, gehörte wechselnd verfeindeten Lagern dieses Spektrums (den Antideutschen wie den Antiimperialisten) an und schlug auch sonst einige politische Haken. So hat er Compact ursprünglich zusammen mit einem Islamkonvertiten gegründet und ist dann auf Islamkritik umgeschwenkt. Heute gebärden er und sein Medium sich nationalistisch, antiamerikanisch, israelfeindlich, vor allem aber kremlnah, migrationskritisch und an der Seite des Höcke-Flügels in der AfD stehend. Der erwähnte Compact-Videochef Klemm stammt aus der Identitären Bewegung. Elsässer selbst betätigt sich zunehmend als Demoredner und stellte sein Blatt aktivistischer auf. So organisierte es zuletzt Bühnenveranstaltungen, die insbesondere der AfD im Wahlkampf zugutekommen sollen.
Man mag den altkommunistischen Revoluzzer Elsässer mitsamt seines vom Bundesverfassungsschutz 2021 als gesichert rechtsextrem eingestuften, krawalligen Mediums verabscheuen, muss ihm aber lassen, dass sie offensiv und provokativ Front machen gegen alle möglichen herrschenden Narrative. Bei der Einwanderung, beim Ukrainekrieg, beim Woken, bei der Corona-Politik. Jeder andere mit einer derart oppositionellen Haltung und dieser Reichweite könnte ebenso ins Visier der Behörden geraten, zumal im Vorfeld mehrerer ostdeutscher Landtagswahlen im September.
Elsässer betont, bei Compact-Beiträgen sei es seit Gründung des Magazins 2010 nie zu einer Verurteilung wegen Volksverhetzung oder ähnlichen Delikten gekommen. Eine Kabinettskollegin Faesers, Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte im Februar allerdings bereits Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ den Kampf angesagt. „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen“, drohte im Februar Faeser selbst.
„Dass Faeser Compact ‚Hass' und ‚unsägliche' Hetze unterstellt, bliebe in einem funktionierenden Rechts- und Verfassungsstaat ohne Konsequenzen.“
Kann dieser denn ein Medium einfach verbieten? Faeser bediente sich des Vereinsgesetzes, auf dessen Grundlage bereits die ein oder andere Islamistengruppierung verboten worden ist. Oder etwa die Neonazi-Organisation FAP in den 1990ern, nachdem man ihr die Eigenschaft als Partei – die nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden darf – abgesprochen hatte. Nun sind weder die COMPACT-Magazin GmbH noch ihre ebenfalls verbotene Tochterfirma CONSPECT FILM GmbH Vereine. Das Bundesinnenministerium versucht sich zu Nutze zu machen, dass das Vereinsgesetz nicht an die Rechtsform, etwa die eines eingetragenen Vereins, anknüpft. Es reicht, wenn sich eine Personenmehrheit „für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“. Wie ein gewerbliches Unternehmen klingt das allerdings nicht. (Was wäre denn gewesen, wenn die COMPACT-Magazin GmbH Elässer statt zu zwei Dritteln zu 100 Prozent als Alleingesellschafter gehört hätte? Dann bestünde ein Zusammenschluss mehrerer Gesellschafter, auf den das BMI in seiner Verbotsverfügung rekurriert, gar nicht.)
Als langjährigem Rechtsanwalt und Politiker entging das auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) nicht:
Das Vereinsrecht kann nicht als Hilfskonstruktion zum Verbot von Medien dienen. Der Satz von Nancy Faeser: „Ich habe heute das rechtsextremistische ‚Compact-Magazin' verboten“, ist daher problematisch. Denn das Vereinsrecht ermöglicht das Verbot von Vereinigungen und nicht von Medien. Die Äußerung der Innenministerin könnte den Verdacht aufkommen lassen, dass das Verbot der hinter „Compact” stehenden GmbH vorgeschoben ist. Das Ziel scheint hier ausdrücklich das Magazin und nicht die Gesellschaft.
Kubicki rechnet mit einem Scheitern des Verbots vor Gericht und fordert für diesen Fall bereits den Rücktritt Faesers. Dass eine Antifa-nahe Politikerin, die einem missliebigen oppositionellen Medium den Garaus machen will und der man „vorsätzlichen Verfassungsbruch unterstellen kann“ (Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel) generell nicht auf diesen Stuhl gehört, hört man den Koalitionspartner natürlich nicht sagen. „Ich fürchte, dass Nancy Faeser Meinungsfreiheit nicht mal buchstabieren könnte, wenn man ihr eine Waffe an den Kopf hält“, urteilt Welt-Chefreporterin Anna Schneider.
Dass Faeser Compact „Hass“ und „unsägliche“ Hetze unterstellt, bliebe in einem funktionierenden Rechts- und Verfassungsstaat ohne Konsequenzen. Darauf, wie „extremistisch“ das Elsässer-Medium tatsächlich ist, kommt es dabei nicht an. Nicht nur Medien von grundsätzlich besonders geschützten Parteien dürfen auch dann erscheinen, wenn sie als verfassungsfeindlich gelten. Gerhard Frey, dessen National-Zeitung nie offiziell zur DVU gehörte, durfte sein rechtsextremes Printprodukt 60 Jahre lang vertreiben, bis es einige Jahre nach seinem Tod offenbar aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde. Damals hatte auch so jemand noch Rechte, heute kämpft man gegen Rechte.
„Welche Zeitschriften er liest, welche Videos er schaut, hat der mündige Mensch selbst zu entscheiden, keine repressive Staatsmacht mit einer völlig enthemmten Innenministerin, die das Grundgesetz mit Füßen tritt.“
„Die Grundrechte gelten, aber sie gelten anders […]“, erklärte der Chef des Bundesverfassungsgerichts, Merkelianer Stephan Harbarth, 2020 die Corona-Rechtsprechung, die nahezu jeden dystopischen Albtraum abnickte. Genauso ist es wohl um die Pressefreiheit bestellt. Nicht einmal in der Spiegel-Affäre 1962 kam es zu einem Verbot des Blatts.
„Unrecht wird nicht Recht, nur weil es mal den Richtigen trifft“, heißt es in der Jungen Welt zur Compact-Affäre. Das ehemalige FDJ-Zentralorgan – vom Verfassungsschutz überwacht – drückt dabei auch die eigene Angst vor einem Verbot aus. Statt einfach nur die Goldenen Regel „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ zu beherzigen, sollte man die Freiheit der Anderspublizierenden grundsätzlicher wertschätzen. „Gerade weil – und nicht obwohl – ich ganz andere Ansichten als Elsässer habe, kämpfe ich dafür, dass er seine Meinung sagen darf“, kommentiert der kritische Journalist Boris Reitschuster klarsichtig.
Das Verbot eines Mediums richtet sich ja nicht nur gegen seine Macher, sondern auch gegen seine Rezipienten, in diesem Fall gegen die 40.000 Käufer der Zeitschrift und die noch größere Zahl an Zuschauern des Online-Angebots. Und auch gegen diejenigen, die Compact ablehnen. Um sich bewusst dagegen entscheiden zu können, ein Medium zu konsumieren, muss es nämlich existieren. Welche Zeitschriften er liest, welche Videos er schaut, hat der mündige Mensch selbst zu entscheiden, keine repressive Staatsmacht mit einer völlig enthemmten Innenministerin, die das Grundgesetz mit Füßen tritt.
Jetzt müssen Gerichte befinden. Wenn die Bundesregierung mit der willkürlichen Vernichtung eines oppositionellen Verlags durchkommen sollte, ist mutmaßlich der neurechte Antaios-Verlag in Schnellroda als nächster dran. Anschließend klingelt der maskierte Milchmann bei den übernächsten.