22.01.2025
Die Oligarchie und die herrschenden Eliten
Von Frank Furedi
Joe Biden warnte in seiner Abschiedsrede vor Amerikas Wirtschafts-Oligarchie, obwohl er vorher kein Problem mit Superreichen hatte. Die Macht der kulturellen Eliten sprach er wohlweislich nicht an.
In seiner Abschiedsrede an die Nation hat Präsident Joe Biden davor gewarnt, dass die amerikanische Demokratie dabei sei, in eine „Oligarchie“ von Tech-Milliardären abzugleiten. Biden erklärte: „Heute nimmt in Amerika eine Oligarchie extremen Reichtums, extremer Macht und extremen Einflusses Gestalt an, die buchstäblich unsere gesamte Demokratie, unsere Grundrechte und -freiheiten und die fairen Aufstiegschancen für alle bedroht“. In einem bedrohlichen Ton schlug er Alarm wegen der, wie er es nannte, „zerbröselnden“ freien Presse, der Macht des militärisch-industriellen Komplexes, der Zunahme von Desinformation und der Auswirkungen von intransparenten Geldflüssen auf die Politik.
Es fällt schwer, Bidens plötzliche Besorgnis über die Macht, die die extrem reiche Oligarchie über die amerikanische Gesellschaft ausübt, ernst zu nehmen. Schließlich hat er in den vier Jahren seiner Präsidentschaft nie wegen der Oligarchen-Macht Alarm geschlagen. Er hatte auch keine Probleme mit superreichen Spendern, die die Präsidentschaftskampagne der Demokratischen Partei unterstützten. Der Gründer von Microsoft, Bill Gates, einer der reichsten Menschen der Welt, spendete 50 Millionen Dollar für Kamala Harris‘ Präsidentschaftskandidatur. Biden hat offensichtlich kein Problem damit, Oligarchen zu honorieren, die seine Ziele teilen. Erst kürzlich verlieh er die Freiheitsmedaille des Präsidenten an die Milliardäre George Soros und David Rubenstein. Oligarchen waren im Weißen Haus von Biden immer willkommen.
Die Superreichen prosperierten während der Präsidentschaft Bidens. Die reichsten 100 Amerikaner verzeichneten unter Biden einen Anstieg ihres kollektiven Nettovermögens um 63 Prozent, „laut einer Analyse, die die vier Jahre zwischen seinem Sieg im Jahr 2020 und der Wiederwahl Donald Trumps im letzten November abdeckt und einen weiteren Anstieg um 8 Prozent seither nicht berücksichtigt“. Diese Menschen sind dem Bloomberg-Milliardärsindex zufolge in den letzten vier Jahren um 1,5 Billionen Dollar reicher geworden.
Wie lässt sich also Bidens plötzlicher Wandlung zu einer anti-oligarchischen Einstellung erklären? Die Antwort ist ganz einfach. Während des Wahlkampfs, als sich abzeichnete, dass Trump mit großer Wahrscheinlichkeit Harris besiegen würde, entschieden sich zahlreiche Angehörige der Milliardärsschicht dazu, sich Trump zuzuwenden. Diesen wichtigen Wechsel veranschaulichte Jeff Bezos, der milliardenschwere Eigentümer der Washington Post, eindrucksvoll, indem er seiner Redaktion nicht gestattete, sich für die Wahl von Kamala Harris auszusprechen. Dass sich eine wichtige landesweite Zeitung, traditionell der traditionell der Demokratischen Partei nahesteht, weigerte, die demokratische Präsidentschaftskandidatin zu unterstützen, machte deutlich, dass bestehende politische Loyalitäten nur sehr wenig zählen.
„In der heutigen Welt üben die kulturellen Eliten einen weitaus größeren Einfluss aus als die Milliardäre, die Amerikas Wirtschaft beherrschen.“
Bezos verkörpert den pragmatischen Opportunismus eines Teils der amerikanischen Eliten, insbesondere der milliardenschweren Tech-Kapitalisten, die beschlossen haben, dass es sprichwörtlich besser ist, ‚in Trumps Zelt zu sein und hinauszupissen, als außerhalb des Zelts zu stehen und hineinzupissen‘. Bidens plötzliches Eintreten für eine Demokraten-Kritik an der oligarchischen Macht ist als Ausdruck seiner Frustration über eine Gruppe von Milliardären zu sehen, die sich mit Trump verbündet haben. Hätten die Demokraten die Wahl gewonnen, hätte Biden sich damit beeilt, den robusten Zustand der amerikanischen Demokratie zu preisen.
Es ist bemerkenswert, dass Biden in seinen Überlegungen zur Vormachtstellung der amerikanischen Oligarchie nichts über die Macht der kulturellen Eliten gesagt hat. Doch in der heutigen Welt üben die kulturellen Eliten einen weitaus größeren Einfluss aus als die Milliardäre, die Amerikas Wirtschaft beherrschen.
Die amerikanische Milliardärsschicht mag sehr reich sein und sie verfügt über beträchtliche wirtschaftliche und technokratische Macht. Aber es handelt sich um eine Oligarchie, der es sowohl an Autorität als auch an Legitimität mangelt. Eine der auffälligsten Erscheinungen ihrer Legitimationskrise ist, dass sie keine überzeugende Erklärung für ihre Rolle abgeben kann. Es fehlt ihr an einem Projekt und an einer Zielvorstellung. Sie glaubt auch nicht an sich selbst und ist nicht davon überzeugt, dass sie das Recht hat, zu herrschen. Ihre Orientierungslosigkeit als Oligarchie wird durch den Verlust der Überzeugung von den Werten und der Weltanschauung, in die die Vorgängerelite hineinsozialisiert wurde, noch verschärft.
Im Bemühen, einen Weg zur Lösung des Legitimationsproblems zu finden, haben verschiedene Elitengruppen mit neuen institutionellen und ideologischen Lösungen experimentiert. In ähnlicher Weise haben sich die Regierungen ein Ethos des ständigen Wandels und der Reformen zu eigen gemacht. Die Oligarchen sind ständig auf der Suche nach einem Leitbild, mit dem sie ihre Rolle als Elite bekräftigen können. Deshalb leben wir in einer Zeit der offiziellen und halboffiziellen Werte und Leitbilder. Deshalb haben so viele Unternehmenschefs die Regenbogenflagge geschwenkt und die Identitätspolitik in ihren Unternehmen institutionalisiert. Infolgedessen ist die kulturelle Orientierung zu einer vorherrschenden Form des Selbstverständnisses und der Selbstdefinition der Eliten geworden. In diesem Zusammenhang spielen die kulturellen Eliten eine entscheidende Rolle bei der Konstituierung der oligarchischen Zusammengehörigkeit.
„Wir müssen eine Gegenkultur entwickeln, die die Bedürfnisse der demokratisch gesinnten Bürger widerspiegelt.“
Die Rolle der kulturellen Eliten ist bedeutsam, denn im Gegensatz zu ihren politischen und wirtschaftlichen Gegenspielern haben sie ihre Fähigkeit, kulturelle Hegemonie auszuüben, beibehalten – und wohl sogar ausgebaut. Folglich spielen kulturelle Institutionen – wie die Medien und das Hochschulwesen – eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Macht der Eliten.
Dass Biden die Frage der kulturellen Macht nicht angesprochen hat, ist kein Zufall. Die kulturellen Eliten Amerikas und ihre Institutionen bleiben fest im Lager der Demokratischen Partei. Trotz der Wahl Donald Trumps bleiben die kulturellen Eliten die dominierende Kraft in den Vereinigten Staaten. Sie üben großen Einfluss auf die technokratischen Manager-Eliten aus. Sie überwachen die Erziehung der Kinder Amerikas. Sie kontrollieren die wichtigsten Institutionen des Erwachsenwerdens. Sie leiten das Hochschulwesen und die Kultur- und Unterhaltungsindustrie. Die ihnen zugewandten traditionellen Medien haben im Verlauf des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes zwar einen Rückschlag erlitten, aber sie behalten immer noch einen gewaltigen Einfluss auf das öffentliche Leben.
Die führenden Mitglieder der kulturellen Eliten bilden den wichtigsten Teil der amerikanischen Oligarchie. Ohne die kulturellen Ressourcen, die sie bereitstellen, könnte die Oligarchie ihre Macht nicht wirksam ausüben. Bidens Tech-Milliardäre haben einen gewaltigen Einfluss, aber letztlich sind sie auf kulturelle Macht angewiesen, um ihren Status zu erhalten.
Diejenigen unter uns, die sich wirklich Sorgen um den Zustand der Demokratie machen, müssen den Einfluss der kulturellen Eliten in Frage stellen. Deshalb müssen wir eine Gegenkultur entwickeln, die die Bedürfnisse der demokratisch gesinnten Bürger widerspiegelt. Bis es soweit ist, sollten wir uns vor dem Despotismus ihrer Kultur hüten!