17.01.2022
Die aus der Demokratie Verbannten
Die autoritäre Dynamik, die unsere Reaktion auf das Coronavirus kennzeichnet, macht nicht einmal mehr vor dem Parlament halt.
Die autoritäre Dynamik, die unsere Reaktion auf das Covid-Virus kennzeichnet, macht nicht einmal mehr vor dem Parlament halt. Die Bilder der Abgeordneten, die auf der Tribüne des Bundestages Platz nehmen müssen, weil es ihnen verboten ist, als Ungeimpfte an den Debatten teilzunehmen, sind zutiefst beunruhigend. Niemand kann noch behaupten, dass Covid nicht auch für politische Zwecke genutzt oder missbraucht wird.
Wegen Omikron, hieß es letzte Woche in den Zeitungen, gelte ab sofort auch im Bundestag die 2G-Plus-Regel. Abgeordente, die nicht doppelt geimpft oder genesen sind (wobei als Genesener nur gilt, wer die Krankheit in den letzten sechs Monaten überstanden hat), dürfen weder den Sitzungssaal betreten, noch an den Ausschussitzungen teilnehmen. Nicht Geboosterte werden noch geduldet, müssen aber einen tagesaktuellen Schnelltest vorweisen.
Offensichtlich haben das Präsidium des Bundestags und die Mehrheit der Abgeordenten im Hohen Haus kein Problem damit, ihre Gegner auf diese Weise zu demütigen. Die Regelung passt zu der seit einigen Monaten betriebenen Politik, mit dem Finger auf die Ungeimpften zu zeigen, um sie für die ganze Misere dieser Covid-Krise verantwortlich zu machen. Dazu diente schon das Gerede von der Pandemie der Ungeimpften, das sich spätestens seit Omikron als vollends haltlos erwiesen hat. Mit der Verbannung der Abgeordneten aus dem Parlament aber geht man noch einen Schritt weiter: Wer nicht geimpft ist, so die Botschaft, sollte auch keinen Platz und keine Stimme in unserer Demokratie haben.
Um den antidemokratischen Charakter dieser neuen Regel klar zu machen, lohnt es sich, auf die besondere Stellung der Abgeordneten hinzuweisen. Zwar ist die 2G-Plus-Regel auch für alle anderen öffentlichen Veranstaltungen in einem freiheitlichen Staat zutiefst problematisch und ausgrenzend. Aber ein Abgeordneter ist mehr als nur ein Individuum, das daran gehindert wird, an einer Versammlung teilzunehmen. Vielmehr steht jeder Abgeordnete für die Kontrolle der Politik und des Parlaments durch die Wähler. „Niemand darf daran gehindert werden, das Abgeordnetenmandat zu übernehmen und auszuüben“, heißt es daher, aus gutem Grund, auf der Seite des Deutschen Bundestages. Kennt vielleicht das Präsidium die eigene Seite nicht?
„Es ist ein unerhört autoritärer Vorgang , Abgeordnete zu zwingen, sich dem Diktat eines ziemlich willkürlich wirkenden Gesundheitsregimes zu unterwerfen."
Natürlich weiß jeder, dass von der 2G-Plus-Regelung vor allem die AfD betroffen ist, da die Zahl der Impfgegner unter den Abgeordneten dieser Partei besonders hoch ist. Betroffen ist aber z.B. auch Sahra Wagenknecht von den Linken. „Sollen sie sich doch impfen lassen, dann dürfen sie wieder mitmachen“, heißt es nun in manchen Kreisen. Das ist zynisch und falsch. Seit wann darf man in einer Demokratie von der Opposition verlangen, dass sie die Vorstellungen und Bedenken der Mehrheit oder der Regierung übernimmt? Ob man es mag oder nicht: Die Impfung ist längst zu einer politischen Frage hochstilisiert worden – und zwar nicht zuletzt auch durch den überhöhten moralischen Wert, der ihr von manchen Covid-Aktivisten zugesprochen wurde. So irrational die Impfgegnerschaft zum Teil sein mag, so klar ist auch, dass es ein unerhört autoritärer Vorgang ist, Abgeordnete zu zwingen, sich dem Diktat eines ziemlich willkürlich wirkenden Gesundheitsregimes zu unterwerfen.
Normalerweise müsste jede Diskriminierung von Abweichlern oder Andersdenkenden bei all denjenigen, die das Prinzip der parlamentarischen Demokratie achten, einen Aufschrei der Entrüstung hervorrufen. Stattdessen hoffen viele Kommentatoren ganz unverholen, dass es mit der 2G-Plus-Regel nun endlich gelingen könne, die verhasste AfD weiter zu isolieren. Was ihnen also auf demokratischem Weg – und durch Argumente – nicht gelungen ist, sollen nun die Covid-Regel richten: „Die AfD könnte von der Bildfläche verschwinden“, jubelt der Berliner Tagesspiegel. Die Partei, so der Autor des Beitrags, habe sich zum parlamentarischen Arm der Corona-Proteste gemacht, weshalb ihre Abgeordneten an Glaubwürdigkeit verlieren würden, wenn sie sich nun impfen ließen. Ungeimpft aber sei ihre Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt, so sein Fazit.
Er sollte nicht zu früh jubeln. Die Wähler der AfD werden es nicht schätzen, wenn ihre Abgeordneten wie Schulkinder in die Ecke gestellt werden. Das alte Bild der Ungewaschenen, die sich nicht mit an den Tisch setzen dürfen, drängt sich geradezu auf. Das Signal, das hiervon ausgeht, richtet sich zudem gegen ziemlich viele andere Bürger, die die AfD bisher nicht unterstützt haben – die Impfung aber ebenfalls skeptisch sehen. Ungeachtet dessen, wie man zu der Impfung steht (ich befürworte sie), ist die Verbannung ungeimpfter Abgeordneter – in Zeiten, in denen wir uns alle durch Booster und Tests schützen können – ein Armutszeugnis. Niemand, der ernsthaft darüber nachdenkt, kann glauben, es handle sich um eine notwendige medizinische Schutzmaßnahme. Es geht um Politik, Ausgrenzung und um Symbolik. Deswegen wird die Glaubwürdigkeit der Regierung - und derer, die sie in ihrem Kampf gegen die Impfverweigerer unterstützen – nur weiter leiden. Alle anderen sollten die 2G-Plus-Verordnung aufs Heftigste kritisieren.