21.12.2016

Die Arroganz des kulturellen Kapitals

Analyse von Karim Dabbouz

Titelbild

Foto: John Nakamura Remy (CC BY-SA 2.0 / bearbeitet)

Mit der Kampagne „#keingeldfuerrechts“ versucht eine kleine, gut vernetzte Minderheit, ihre persönlichen politischen Ansichten durchzusetzen. So werden gesellschaftliche Privilegien reproduziert.

Einfluss ist, wenn man die richtigen Leute kennt und mit ihnen auf einer Wellenlänge ist. Bourdieu beschrieb dies als soziales Kapital. Soziales Kapital sind zum Beispiel einflussreiche Menschen, die einem weiterhelfen, wenn man Debatten zur eigenen Gunst gestalten möchte. Neben dem sozialen Kapital gibt es zwei andere Kapitalarten, die Menschen während ihres Lebens anhäufen und für sich einsetzen können: Ökonomisches Kapital, also Geld, sowie kulturelles Kapital, also die Fähigkeiten und Kenntnisse eines Menschen. In feiner Runde ist kulturelles Kapital essenziell, um soziales Kapital anzuhäufen: Man muss sich zu Tisch benehmen können, sonst möchten die Einflussreichen nicht mehr mit einem reden.

Lange war es ein wichtiges Ziel der Linken, diese sich ständig reproduzierenden Hierarchien zu durchbrechen. Doch diese „gläserne Decke" finden wir heute ausgerechnet bei denen, die die Existenz solcher subtiler Mechanismen anprangern: Unter zeitgenössischen Linken, die sich als Medien- und Werbemacher, als selbsternannte Intellektuelle oder als Aktivisten mit Hilfe ihres sozialen und kulturellen Kapitals in den Vordergrund drängen.

Sichtbar wird dieser neue linke Standesdünkel, wenn „Modernisierungsverlierer" in die Ecke gedrängt werden und sich nicht anders zu helfen wissen, als ihrem Frust online durch Pöbeln Luft zu verschaffen. Bei Linken heißt dies Revolution, also Aufstand von denen „da unten" gegen „die da oben". Die gleiche disruptive Energie aus der konservativen, bürgerlichen oder rechten Ecke findet hingegen wenig schmeichelhafte Bezeichnungen: Mob oder Pack sind nur zwei davon. Gewiss lässt sich über die Umgangsformen streiten. Vergessen sollte man aber nicht, dass auch ein gewisser Diskussionsstil zum kulturellen Kapital zählt, das man bei modernen Linken, trotz ihres zur Schau gestellten Rebellentums, häufiger findet als beim „Pack“, das sein Geld auf dem Bau verdient.

„Innerhalb weniger Tage wurde das größte deutsche Autorenblog vor arge finanzielle Probleme gestellt“

Vor einigen Tagen startete ein Mitarbeiter der Werbeagentur Scholz&Friends, Gerald Hensel, eine Aktion bei Twitter. Unter dem Hashtag #keingeldfuerrechts rief er aufmerksame Menschen dazu auf, Unternehmen anzuschreiben, deren Werbung auf rechten Seiten wie pi-news.net oder breitbart.com auftaucht. In zwei Beiträgen auf seinem inzwischen per Passwort geschütztem Blog nannte Hensel auch konservative und liberale Medien wie die Achse des Guten und Tichys Einblick in einer Reihe mit so vielsagenden Seiten wie rapefugees.net. Die Achse des Guten hat der Digital-Stratege der Berliner Agentur nicht explizit auf seine Liste mit Empfehlungen für den Werbeboykott gesetzt. Die Unterstützer allerdings brachten es innerhalb weniger Tage zustande, das größte deutsche Autorenblog seiner gesamten Werbekundschaft zu berauben und es vor arge finanzielle Probleme zu stellen.

Nun kann man von der Achse des Guten halten, was man will, rechtsradikal aber ist sie gewiss nicht. Durch solche Angriffe wird letztlich der öffentliche Diskursraum weiter eingeschränkt und pseudo-moralischen Regeln unterworfen. Die freie Debatte soll geknebelt werden. Was in der herben finanziellen Attacke auf das Autorenblog gipfelte, ist aber ein wunderbares Beispiel für die Macht, über die heutige ‚Linke‘ verfügen. Mit #keingeldfuerrechts haben die selbsternannten Wächter der offenen Gesellschaft nicht etwa ihre guten Absichten bewiesen, sondern ihre Privilegien gut sichtbar durch die Manege geführt. Eine kleine Minderheit mit viel sozialem und kulturellem Kapital und mit dem richtigen Standesdünkel konnte ihre persönlichen politischen Ansichten mit geringem Einsatz durchsetzen. Dass die Geschichte um #keingeldfuerrechts nicht gleichermaßen einen #aufschrei auslöste wie ein alter Mann, der einer jungen, wahrscheinlich ebenfalls privilegierten, Medienmacherin besoffen ins Dekolleté schielte, kann man als Beweis für die Existenz dieser Ungleichverteilung von Ressourcen in der Meinungsbildung nehmen.

Das Selbstbewusstsein, mit dem diese Privilegierten ihren Aktionismus betreiben, ist nur möglich, weil pragmatische Lösungen längst vom Zwang abgelöst wurden, ständig die als links geltende Haltung zu bewahren. Heute ist nicht mehr wichtig, dass eine politische Lösung vernünftig und realisierbar ist, sondern dass sie sich dem verschreibt, was eine kleine Schicht an Medienmachern, Aktivisten und Intellektuellen als das Gute verkauft. Dabei bringt oft auch die vermeintlich gute Sache Kollateralschäden mit sich, für die andere gesellschaftliche Gruppen bezahlen müssen. Dies gilt für das EEG, das faktisch eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt, ebenso wie für das leidige Migrationsthema, das sich für die privilegierte Medienelite als bunte Bereicherung, für ungelernte Menschen mit schlechten Jobaussichten aber hauptsächlich als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, darstellt.

Sich gegen diesen moralischen Eifer zu stellen, ist schwer. Viele Menschen wählen im Zweifel den für sie praktischsten Weg, übernehmen die Codes, Meinungen und Werte der modernen Linken, um nicht anzuecken und sich weiterhin Aufstiegschancen zu wahren. Kaum ein Unternehmen hielt den Unterstützern von #keingeldfuerrechts stand. Im Gegenteil: Ohne eine Prüfung der Nazivorwürfe reagierte der Großteil der Social-Media-Teams in den Unternehmen schnell und im Sinne des Initiators der Aktion. Sie ließen unliebsame Medien auf die Blacklist setzen und sich auf Twitter für ihren Beitrag zum vermeintlich Guten feiern. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die am Ende weitaus mehr Schaden anrichtet, als es Blogs wie die Achse des Guten jemals tun könnten.

„Erst kommt das Fressen, dann kommen Bio, Gender und Refugees-Welcome“

Schon im Bildungsverlauf zeichnet sich ein Spannungsfeld ab. Als ich links war, hielt ich es für ehrenwert, sich gegen diejenigen einzusetzen, die ihre Macht und Privilegien dazu nutzen, andere gesellschaftliche Gruppen zu unterdrücken. Ich brauchte einige Jahre, um zu erkennen, dass meine alten linken Weggefährten ebenfalls über Privilegien verfügten, die ich gar nicht hatte: Geld, Kontakte, Unterstützung bei der Bildung. Letztlich also alles, was ein angst- und sorgenfreies Erwachsenwerden ermöglicht. Schon hier erfolgt die Auslese zwischen denen, die später die Meinungsbildung im Sinne ihrer persönlichen Wahrheit übernehmen, und denen, die ihre Energien in ihr materielles Überleben stecken.

Wer einmal eine Maschinenbau- und eine Soziologievorlesung besucht hat, weiß, dass am Ende diejenigen Ingenieure werden, die bereits in jungen Jahren mit materiellem Mangel konfrontiert waren; diejenigen also, deren erstes Ziel es deshalb ist, das eigene Einkommen zu sichern. Andere machen „irgendwas mit Medien", besetzen später die Positionen der Meinungsbildung, die zwar eine ökonomisch unsichere Zukunft versprechen, aber Gelegenheit bieten, auf großer Bühne gesellschaftspolitische Debatten zu gestalten. Die materielle Unsicherheit, die mit einem solchen Bildungs- und Karriereweg einhergeht, muss man sich leisten können und das geht oft nur mit den entsprechenden Privilegien. Erst kommt schließlich das Fressen, dann erst kommen Bio, Gender und Refugees-Welcome.

Politisches Engagement ist wichtig und gerade die 68er haben Deutschland gezeigt, dass sich mit Buckeln nach oben keine Demokratie machen lässt. Wenn das politische Engagement aber einen großen Teil der Bevölkerung von der Meinungsbildung ausschließt, dann läuft etwas gewaltig schief. Heutige Linke, gerade diejenigen unter ihnen, die sich fast ausschließlich mit ihresgleichen umgeben, täten gut daran, sich an alte aufklärerische Prinzipien zu erinnern. Dies gilt sowohl in der Debatte als auch in der Realpolitik, wo das vermeintlich Gute oftmals mit negativen Konsequenzen für diejenigen einhergeht, die nicht über das nötige Kapital verfügen, um mit ähnlicher Energie am politischen Prozess teilzunehmen. Nicht nur der blinde Werbeboykott bei konservativen und liberalen Medien hat seinen #aufschrei verdient. Auch die Debatte um das „Pack“ sollten wir endlich ernsthaft und auf Augenhöhe führen, statt aus der Warte einer ohnehin schon privilegierten Schicht ‚linker‘ Medienmacher auf die „Modernisierungsverlierer“ herabzublicken.

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