30.01.2013

Liebe Brüderle und Schwesterle im Geiste!

Kommentar von Monika Bittl

Der #aufschrei im Land ebbt nicht ab. Die aktuelle Sexismusdebatte hat wenig mit weiblicher Emanzipation oder einem Wehren gegen sexuelle Übergriffe und Gewalt zu tun. Es geht vielmehr um die Festschreibung des weiblichen Opferstatus.

Seit einigen Stunden sitze und schwitze ich über dieser Anrede. Ist es denn politisch korrekt, zuerst die Männer und erst dann die Frauen zu nennen? Aber wenn ich es umkehre, versteht man dann durch den Titel dieses Beitrags meine Anspielung noch? Oder nehme ich damit nicht vielleicht zu viel Bezug auf die Schwaben-Debatte in unserer Hauptstadt? Oder schmeiße ich gar die Verniedlichungsform mit dem Stuttgarter Dialekt ignorant in einen Topf? Könnte es zudem nicht sein, dass ich als sozialisierte Bayerin mich zu sehr an Predigten katholischer Pfarrer anlehne? Oder führt der Titel [1] mit dem Zusatz „im Geiste“ womöglich auf eine ganz falsche Fährte jenseits der Körperlichkeit? Jetzt, wo sich Herr Brüderle auch nicht entschuldigen will ...

„Es gilt etwas ganz vehement zu verteidigen, mit allen Mitteln: Unseren weiblichen Opferstatus.“

Herrje! Ich bin verunsichert. Zwar hab ich noch nie in meinem Leben ein Dirndl getragen im Gegensatz zu all den Leuten aus aller Welt, die das in meiner unmittelbaren Nachbarschaft stattfindende Oktoberfest besuchen. Aber es geht ja auch längst nicht mehr um unmittelbare Nachbarschaft, sondern um Männer und Frauen ganz generell in einer globalisierten Welt. Und da müssen wir genau hinsehen, also beziehungsweise um genau zu sein: nur Frauen sollten genau hinsehen in Dirndlfragen. Und falls Männer doch hinsehen, dann sollten sie sich bitte nicht auch noch dazu äußeren. Wo kämen wir bitteschön hin, wenn mein Mann mir auch noch sagen würde: „Also das Dirndl steht dir gar nicht gut!“ Frau verzeihe bitte das „steht“ als Freud’sche Fehlleistung. Und alle Leser verzeihen mir bitte meine Ausschweifung. Ich bin so dermaßen verunsichert. Ich weiß gerade gar nicht mehr, was richtig und falsch ist, außer dass es natürlich eine Riesensauerei ist, wenn in Indien Frauen nach Vergewaltigungen sterben. Aber Indien ist weit weg trotz Globalisierung und wir haben hier wirklich andere Probleme direkt vor Ort, zum Beispiel an Hotelbars. Keine und keiner sollte da mehr wegsehen, sondern sich an die eigene Nase fassen und sich empören und engagieren und vor allem auch unbedingt so laut wie möglich aufschreien. Möglichst ohne Hirn einschalten, sondern aus dem Bauch heraus unmittelbar aufschreien und unseren emotionalen Intelligenzquotienten in ungeahnte Höhe treiben.

Denn es gilt etwas ganz vehement zu verteidigen, mit allen Mitteln: Unseren weiblichen Opferstatus.

Weit gefehlt, wer glaubt, diese sogenannte „Sexismus-Debatte“ hätte etwas mit weiblicher Emanzipation oder einem Wehren gegen sexuelle Übergriffe und Gewalt zu tun. Menschen und Fakten sind dabei längst instrumentalisiert für eine gesellschaftspolitische Entwicklung, die mit wirklicher Emanzipation so viel zu tun hat wie Adenauer mit Facebook. Denn das ist eben – jenseits aller Eingangsironie – das Tragische dabei: die reflexartigen Betroffenheitsreaktionen und „Outings“ bewirken genau das Gegenteil dessen, was sie glauben, zu bewirken: Eine Festschreibung auf einen Status quo des Opfers und der sittlichen Überlegenheit.

Um es kurz mal klarzustellen: Jede Frau weiß genau, wo Grenzen überschritten werden und kann normalerweise als vernunftbegabtes Wesen unterscheiden, was welcher Mann zu welcher Tages- oder Nachtzeit und in welcher Situation von sich gibt. Wenn ich abends um 22 Uhr auf das Oktoberfest („Wiesn“) gehe, erwarte ich keine intellektuelle Auseinandersetzung dort, sondern nehme einfach in Kauf, dass Betrunkene wohl mal eine Bemerkung zu meinem Äußeren fallen lassen. Besuche ich hingegen die Stern-Redaktion tagsüber wäre ich doch etwas „konsterniert“, wenn mir der Chefredakteur dort aus heiterem Himmel erklärte, ich hätte meine Dirndlfigur erreicht oder wahlweise nicht erreicht.

„Lassen wir uns zu einem unverkrampfteren Verhältnis der Geschlechter zurückkommen, zu einem aufklärerischen Zustand, der ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander betont. Zu einer Aufklärung, die nicht in ihr inhärentes Gegenteil umschlägt, in den Mythos der ‚besseren Frau‘“

Franz Geiger war ein großer Münchner Drehbuch- und Theaterautor, der den ewigen Stenz [2] Monaco-Franze erfand. Den Süddeutschen ist der Monaco-Franze (Helmut Fischer) noch heute der Inbegriff des charmanten tragikomischen Hallodris [3], über den Frauen und Männer gleicherweise lachten und weinten. Das Alte Ego des Monaco-Franze, Franz Geiger, begrüßte mich als mein Mentor stets mit väterlichen, zärtlichen Berührungen. Der inkarnierte Stenz Franz Geiger war einfach ein haptischer Mensch, der doch stets genau wusste, wo er „erobert“ oder Grenzen überschreitet. Nie im Leben wäre er auf die Idee gekommen, mich, seine Schülerin, „anzumachen“ oder Macht statt Charme spielen zu lassen. Eine „Beischlaferschleichung“ (noch in den 50-er Jahren des 20. Jahrhunderts Straftatbestand und bei Franz Geigers Jahrgang 1921 noch präsent) mit einem Kompliment zu verwechseln. Doch genau das verwechseln manche Damen, pardon Frauen, heute. Und bitte komme mir jetzt niemand damit, diese sei meiner unsensiblen, latent antifeministischen Wahrnehmung geschuldet. Mädels, ich bin Emmaerprobt, belegte feministische Kurse in Sozialpsychologie und schrieb meine Magisterarbeit über Weiblichkeitszuschreibungen!

Die Wahrheit liegt ganz woanders begraben und wir führen ein Scheingefecht, wenn wir uns darüber empören, ob Männer unser „Holz vor der Hütte“ [4] bemerken oder kommentieren dürfen. Wir Frauen haben Jahrhundertelang für unsere Rechte gekämpft, bis wir wählen oder uns problemlos scheiden lassen durften. Der Weg war schwer und steinig. Aber er hat sich gelohnt. Wenn wir jetzt aber fordern: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“ (steht so wortwörtlich im SPD-Parteiprogramm) schaden wir uns letztlich selbst und erheben unsere Körper zu intoleranten Tugendwächtern über die andere Hälfte der Menschheit. Wir bringen uns selbst um das Vergnügen des Flirtens, wenn wir Männer weiter verunsichern. Wir verlieren globale und deutsche politische Missstände (siehe Indien und geringerer Durchschnittslohn für Frauen) aus den Augen, wenn wir die falschen Schlachtfelder belegen. Wir verbauen unseren Söhnen die Zukunft, wenn wir statt Gleichberechtigung moralische Höherstellung fordern und zeitgleich unseren Opferstatus festschreiben.

Lassen wir doch die Männer wieder Komplimente und Handküsse machen – und uns darüber freuen, dass wir jedes Arschloch, das uns wirklich blöd anmacht, belästigt oder gar noch Schlimmeres tut, vor Gericht stellen können im Gegensatz zu vielen Frauen in anderen Ländern. Lassen wir uns zu einem unverkrampfteren Verhältnis der Geschlechter zurückkommen, zu einem aufklärerischen Zustand, der ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander betont. Zu einer Aufklärung, die nicht in ihr inhärentes Gegenteil umschlägt, in den Mythos der „besseren Frau“.

Denn wie predigte unser bayerischer Pfarrer gern? „Selig die Armen im Geiste, ihnen gehört das Himmelreich!“ Ein Schelm, wer dabei einen grammatikalischen Artikel austauschen will.

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