19.02.2018
Der deutsche Weinstein
Im Fall Dieter Wedel geht es nicht in erster Linie um die Person selbst und ihr Verhalten, sondern um eine mediale Moralkampagne.
Der Frage, was uns der Fall Wedel lehrt, wurde nicht nur eine „Hart aber fair“-Sendung gewidmet, sondern auch zahlreiche Zeitungskommentare. Einige wenige sprechen von einem „Tor zu Hölle“, das die deutsche Version der #metoo-Kampagen geöffnet habe, weil sie Existenzen zerstöre. Andere begrüßen, dass endlich die Kultur des Schweigens gebrochen worden sei. Bei allen Debatten schwingt auch die Frage mit, wie das Vorgehen des Zeit-Magazins, das mit seinen Berichten den Fall ins Rollen gebracht hat, zu beurteilen ist.
Zunächst einmal: Die Vorwürfe, die einige Frauen gegen Dieter Wedel vorgebracht haben wiegen schwer. Und vieles, was wir lesen und hören, spricht dafür, dass sie nicht erfunden sind. Doch, Anschuldigungen, so glaubhaft sie uns auch erscheinen mögen, reichen aus guten Gründen für eine Verurteilung nicht aus. An diesen rechtsstaatlichen Grundsatz muss erinnert werden, denn zu oft hat sich im Fall Wedel der Eindruck aufgedrängt, die Unschuldsvermutung sei nur eine lästige Pflichtübung. „Was Wedel angeht, ist nichts bewiesen. Aber es liegt nahe, dass es Fälle von sexualisiertem Machtmissbrauch auch in der deutschen Film- und Theaterbranche geben muss. Das Phänomen Weinstein beschränkt sich nicht auf Hollywood“, schreibt z.B. Karin Janker in der Süddeutschen Zeitung. Was soll das heißen? Wenn nicht Wedel, dann halt ein anderer? Wie kann, wenn nichts bewiesen ist, mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es auch in Deutschland einen Weinstein geben muss?
Fest steht, dass sich das Zeit-Magazin auf die Suche nach einem deutschen Harvey Weinstein begeben hat, nachdem #metoo immer weitere Kreise zog. Die Aufbereitung des Falles durch die Zeit geschah in einen Klima großer Moralisierung. Denn sexuelle Nötigung wird in den öffentlichen Debatten schon längst nicht mehr wie andere Verbrechen bewertet. Anders ausgedrückt: Wer beschuldigt wird, Frauen bedrängt, genötigt oder vergewaltigt zu haben, ist nicht nur ein mutmaßlicher Straftäter, sondern läuft Gefahr, zu einer Personifizierung des Bösen zu werden.
„Wedel wurde Mittel zum Zweck.“
Hinzu kommt, dass Kampagnen oder Skandale Symbole des Bösen benötigen, an denen sie ihre Glaubwürdigkeit festmachen. Angesichts der unzähligen Beteuerungen, dass #metoo auch für Deutschland wichtig sei, stellte sich die Frage „Wann geht es bei uns los?“ schon vor vielen Monaten. So prominent die beschuldigten Hollywood-Größen auch waren, sie konnten auf Dauer für das deutsche Publikum als Dunkelmänner nicht ausreichen. Nun ist also Dieter Wedel zu dem Symbol geworden, mit dem „die #metoo-Debatte in Deutschland endgültig angekommen ist“. Es ist besorgniserregend, wie schnell sich damit auch die Möglichkeit ergeben hat, sein vermeintliches (schweres) Fehlverhalten immer weiter zu recyceln – bis wir bei der Behauptung angelangt sind, in Deutschland habe es eine veritable „Kultur des Schweigens“ gegeben.
Wedel wurde Mittel zum Zweck. So steht es auch im Zeit-Magazin: „Alle drei Frauen haben sich gefragt, ob es sinnvoll ist, sich jetzt, Jahre später, zu Wort zu melden. Sie betonen, dass es ihnen nicht darum gehe, einen prominenten Mann wie Dieter Wedel nachträglich in Verruf zu bringen, sondern den Machtmissbrauch offenzulegen und damit die Mechanismen der Filmbranche zu verändern.“ Man brauchte eine Personifizierung und hat dafür Dieter Wedel gewählt. Das Ziel sei nicht gewesen, ihn „in Verruf zu bringen.“ Es ließ sich aber offenbar nicht vermeiden, denn man braucht einen Namen für das „System“. Und alle Beteiligten waren sich aufgrund der Vielzahl der Berichte und der Schwere der Vorwürfe offenbar einig, dass es schon den Richtigen treffe.
„Debatten über Sexismus hatten schon immer das Zeug zur Hysterie.“
Was aber verbirgt sich wirklich hinter dem „System Wedel“? In der Sendung „Hart aber fair“ vom 5. Februar 2018 konnten wir verfolgen, mit welcher Leichtigkeit die Verbindung zwischen einer Straftat und der bereits vorhandenen Moralkampagne hergestellt wurde. Vom Vorwurf schwerster Nötigung und Vergewaltigung kam das Gespräch wie selbstverständlich auf Spitzfindigkeiten und Klagen über plumpe Anmache, die frau gelegentlich zu erleiden hat. Ein Talkshowgast jammerte z.B. darüber, dass sie einmal von einem fremden Mann als „begehrenswerte Frau“ bezeichnet worden sei, eine andere über das „bekloppte“ Frauenbild bei James Bond. Wie kann es sein, dass eine Straftat, die einerseits so ernst genommen wird wie die sexuelle Nötigung, andererseits mit solchen Albernheiten in einen Topf geworfen wird? Sollten sich die Vorwürfe gegen Dieter Wedel erhärten, dann wäre er ein Verbrecher. Wer von seiner Schuld überzeugt ist, müsste sich davor hüten, ihn direkt oder indirekt mit Männern zu vergleichen, die Frauen einfach nur ungeschickte Komplimente machen oder sich gerne als Macho gebärden.
Es war das gute Recht des Zeit-Magazins, sich an die #metoo Debatte anzuhängen und mit einem „deutschen Weinstein“ in der Medienlandschaft aufzutrumpfen. Dem hohen Gut der Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung steht die ebenso hoch zu haltende Pressefreiheit gegenüber. Aber wer meint, es habe der Zeit bedurft, um endlich die angebliche Kultur des Schweigens zu thematisieren, der muss die Debatten der letzten Jahrzehnte verschlafen haben. Schon Mitte der 1990 Jahre beklagte sich die Schriftstellerin und Feminismus-Kritikerin Katharina Rutschky dass die „Schwestern von der Frauenbewegung“ mit nichts so ins Gespräch gekommen seien wie mit der Thematisierung sexuell konnotierter männlicher Gewalt. Dabei gehe es stets und immer darum, „endlich den Schleier zu lüften, hinter dem das Patriarchat bislang seine Untaten erfolgreich verbergen konnte“. 1 Was also können wir aus dem Fall Wedel lernen? Vielleicht, dass die Debatten über Sexismus schon immer das Zeug zur Hysterie hatten.