17.11.2025

Der ANC hat die Südafrikaner verraten

Von Norman Lewis

Jahrzehntelange Korruption und Misswirtschaft haben Südafrika in die Verzweiflung getrieben. 30 Jahre nach Ende der Apartheid vertrauen viele Südafrikaner der Demokratie nicht mehr.

30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Apartheid ist die Demokratie Südafrikas ausgehöhlt, ihrer Sinnhaftigkeit und ihres Stolzes beraubt. Dieser dramatische Niedergang wurde vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC), der Partei Nelson Mandelas, mitverantwortet. Laut der jüngsten Afrobarometer-Umfrage, über die kürzlich in der Times berichtet wurde, würde fast die Hälfte der Südafrikaner heute eine Militärregierung der Demokratie vorziehen. Sieben von zehn sind mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Das ist ein schockierendes, aber nicht überraschendes Geständnis. Die Regierung kann weder Strom, Arbeitsplätze noch Wasser liefern, aber sie kann Korruption und Bestechung in industriellen Mengen bieten.

Der größte Verrat des ANC ist nicht materieller, sondern moralischer Natur. Er hat den Glauben zerstört, dass Demokratie für die Armen funktionieren kann, und ihn durch Zynismus, Ermüdung und nun die Sehnsucht nach starken Männern ersetzt. Die Partei, die einst das Volk befreit hat, hat es dazu erzogen, so wenig zu erwarten, dass es lieber die Macht an Soldaten abgeben würde.

Im vergangenen Monat versammelte der südafrikanische Präsident und ANC-Führer Cyril Ramaphosa 6000 ANC-Ratsmitglieder in Johannesburg, um ihnen eine öffentliche Standpauke zu halten. „Entweder es wird geliefert oder es gibt den Tod“, warnte Ramaphosa. Er donnerte, dass „die Verschleierung der Bücher heute ein Ende haben muss!“. Die Menge, die mit der ANC-Kultur bestens vertraut ist, hat die englische Formulierung „cooking the books" möglicherweise missverstanden und sie als Einladung zum Catering-Zelt aufgefasst.

„Wasserknappheit, Kriminalität, Arbeitslosigkeit und der Zusammenbruch der öffentlichen Dienste haben das tägliche Leben zu einem Überlebenskampf gemacht."

Es war eine Rede, der nur wenige der Anwesenden Beachtung schenkten, ungeachtet ihrer Leidenschaftlichkeit. Von den 257 Gemeinden Südafrikas erreichten 2024 nur 13 Prozent ein einwandfreies Prüfungsergebnis. Die übrigen – viele davon unter der Führung des ANC – versinken aufgrund von Schulden und Korruption. Ramaphosa wagte es sogar, von der Opposition geführte Gemeinden zu loben, was in den eigenen Reihen Empörung auslöste. Es scheint, dass es im heutigen ANC gleichbedeutend mit Verrat ist, Inkompetenz in den Fokus zu nehmen.

Die Wahrheit ist unausweichlich: Der ANC ist zu einer Maschine für Vetternwirtschaft statt für Fortschritt geworden. Seine viel gepriesene Politik der „Kaderbesetzung“ hat Leistung durch Loyalität ersetzt und sorgt dafür, dass oft die am wenigsten qualifizierten Personen die wichtigsten Posten besetzen. Was einst die „Nationale Demokratische Revolution” war – die erste Phase der Befreiung – hat sich zu dem entwickelt, was die Südafrikaner bitter den „lange Marsch zum Büffettisch” nennen – die endlose Prozession der „Genossen” von Protestbühnen zu Beschaffungsämtern.

Die zweite Phase der Revolution, einst als Sozialismus vorgestellt, ist nie eingetreten. Stattdessen kam es zur Vereinnahmung des Staates – nicht durch die Arbeiterklasse, sondern durch den ANC und seine Mitläufer. Das Ergebnis war die Befreiung einiger weniger auf Kosten vieler. Wie der südafrikanische Schriftsteller und Intellektuelle William Gumede beobachtet hat, befindet sich sein Land „in diesem Chaos, weil die Menschen wiederholt Personen gewählt haben, die für Inkompetenz, Versagen und Korruption bekannt sind“. Das ist das tragische Erbe der Apartheidsschrecken. Die Wahl einer anderen Partei als des ANC galt lange Zeit als undenkbar.

Das fehlgeleitete Vertrauen in den ANC zeitigt schwerwiegende Folgen, die überall sichtbar sind. Wasserknappheit, Kriminalität, Arbeitslosigkeit und der Zusammenbruch der öffentlichen Dienste haben das tägliche Leben zu einem Überlebenskampf gemacht. Probleme wie Armut und Gewalt haben sich verschärft. Der Traum von Freiheit ist zu Mutlosigkeit, Verzweiflung und Demoralisierung verkommen – drei neue Begriffe, die das ursprüngliche Versprechen der Demokratie ersetzt haben.

„Eine Regierung, die in Johannesburg kein sauberes Wasser bereitstellen kann, beansprucht moralische Autorität über den Nahen Osten.“

Für die schwarze Mehrheit in Südafrika fühlt sich Freiheit heute eher wie Verlassenheit als wie Befreiung an. Die Bürger stehen stundenlang Schlange, nicht um zu wählen, sondern um Wasser zu holen. Sie vertrauen den Wahlen nicht mehr, weil jede Regierung nur eine Fortsetzung des Niedergangs bedeutet. Die Demokratie, einst heilig, scheint heute eine Drehtür für Plünderer zu sein. Der ANC hat nicht nur versäumt, die Früchte der Demokratie zu liefern, sondern für viele auch die Idee der Demokratie selbst vergiftet.

Diese moralische Zersetzung erklärt die wachsende Besessenheit des ANC mit globalen Anliegen – insbesondere seinen Kreuzzug gegen Israel. Nachdem die Partei zu Hause ihre Legitimität verloren hat, sucht sie nun im Ausland nach Wiedergutmachung. Letztes Jahr führte sie vor dem Internationalen Gerichtshof einen Völkermordprozess gegen Israel und stellte sich dabei als Gewissen der Menschheit dar. Die Heuchelei ist unerträglich: Eine Regierung, die in Johannesburg kein sauberes Wasser bereitstellen kann, beansprucht moralische Autorität über den Nahen Osten. Während also die Straßen Südafrikas zerfallen, die Kriminalität steigt und die Menschen ohne Strom und fließendes Wasser auskommen müssen, stehen seine Führer auf internationalen Plattformen und verurteilen Israel mit theatralischer Inbrunst. Der Kontrast ist obszön. Der ANC hat seine Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk gegen performative Moral im Ausland eingetauscht.

Die Tragik dabei ist, dass der Verrat des ANC keine Rebellion, sondern Ermüdung hervorgerufen hat. Die Menschen demonstrieren nicht, sie ziehen sich schweigend zurück. Die Hälfte von ihnen sagt heute, sie würde eine Militärherrschaft akzeptieren – nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern weil sie nicht mehr an die Wirksamkeit der Demokratie glaubt. Die Befreiungsbewegung hat erreicht, was die Apartheid nicht geschafft hat: Sie hat das Vertrauen der Menschen in die Freiheit zerstört.

So endet die Revolution: nicht im Triumph, sondern in Resignation. Die Partei, die einst versprochen hatte, das Volk von der Unterdrückung zu befreien, hat es stattdessen von der Hoffnung befreit.

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