28.09.2021
Das Planetenretten, die Atomkraft und das liebe Geld
Von Thilo Spahl
Überlegungen zum Preis-Leistungs-Verhältnis beim Klimaschutz.
Auf Island ist eine Maschine in Betrieb gegangen, die CO2 aus der Luft abscheidet. Die Anlage der Schweizer Firma Climeworks gehört damit zu einem Industriezweig, der sich Carbon Offsetting nennt. Diese Dienstleistung gibt es, weil klar ist, dass es nicht reichen wird, CO2-Emissionen zu verringern, wenn man die sogenannten Klimaziele erreichen möchte.
Man braucht zusätzlich „Negativemissionen“, also das Zurückholen des Kohlenstoffdioxids aus der Atmosphäre. Dazu gibt es eine Reihe von Möglichkeiten. Am bekanntesten und durchaus beliebt ist das Bäumepflanzen. Am teuersten, aber irgendwie trotzdem angesagt, ist, was in Island geschieht: Direct Air Capturing (DAC). Wer in Island einkauft, um seinen CO2-Ausstoß wieder einzufangen, zahlt aktuell 1000 Dollar pro Tonne. Insgesamt 4000 Tonnen im Jahr soll die Maschine mit ihren Propellern mühsam aus der Luft holen und im Untergrund versenken. Vier von 37 Milliarden, die wir in diesem Jahr ungefähr emittieren.
Wollte man sie alle auf diese Weise zurückholen, würde das 37 Billionen Dollar kosten. Aber es wird versprochen, dass die Kosten fallen werden, wenn man erstmal im großen Stil ins Geschäft einsteigt. Wer vorne mit dabei sein will, kauft natürlich trotzdem in Island. Bill Gates zum Beispiel und Audi und Shopify, und der Rückversicherungskonzern Swiss Re, der gleich für 10 Millionen Dollar CO2 versenken lassen will. Reicht dann für 10.000 Tonnen. (Der Preis macht das Rechnen wirklich einfach.) Bei der Firma atmosfair könnte die Swiss Re für das gleiche Geld immerhin 371.103,170 Tonnen CO2 aus ihrer Bilanz verschwinden lassen (berechnet am 24.09.2021). Beim CO2-Wegschaffen ist es offenbar wie bei jedem anderen Produkt. Eine Handtasche kann man ja auch für 10 Euro kaufen, genauso wie für 10.000 Euro.
Teuer, teurer, am teuersten
Aber ist man dann wirklich ein toller Klimaschützer, wenn man für ganz viel Geld ganz wenig CO2 vermeidet oder einfängt? Naja, es gibt ja auch Leute, die geben 60.000 Euro für ein Elektroauto aus und setzen damit mehr CO2 frei als ich mit meinem kleinen Diesel für ein Fünftel des Geldes.
Es ist unfair, ein kleines Auto mit einem großen zu vergleichen?
Ist es das, wenn es ums Klimagewissen geht?
Na gut: VW rechnet uns stolz vor, wie der neue ID 3 in einem „fairen Vergleich“ dem alten Verbrenner klimamäßig überlegen ist. Der Diesel kommt bei 200.000 Kilometer Fahrleistung auf 32,1 Tonnen CO2, sein elektrisches Äquivalent auf 27,9. Macht 4,2 Tonnen Einsparung. Die kosten nach der in Deutschland 2021 eingeführten CO2-Steuer (eingezogen über den Benzinpreis) gut 100 Euro. Lohnt es sich, dafür über 10.000 Euro an Subventionen zu zahlen? Bei meinen Fahrgewohnheiten (100.000 km in 12 Jahren) beträgt der Unterschied gerade einmal eine Tonne (25 Euro). Das heißt: Als stolzer Elektroautobesitzer verringere ich den deutschen CO2-Ausstoß um ein Achtmilliardstel. Somit lässt das Elektroauto das DAC im Wettbewerb, wer für das meisten Geld das wenigste CO2 vermeidet, noch deutlich hinter sich. Oder anders gesagt: Der deutsche Steuerzahler leistet sich noch etwas mehr Luxus als Bill Gates. Einmal bei den Milliardären mit dabei sein! Man gönnt sich ja sonst nichts.
„So richtig gut läuft es ja beim Klimaschutzweltmeister Deutschland ohnehin nicht."
Weiter geht es mit den Rechenübungen: Was kostet uns das Abschalten der deutschen Kernkraftwerke? Nehmen wir mal nur die letzten sechs, die im nächsten Jahr vom Netz gehen sollen und betrachten wir nur das CO2. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 500 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt, 12 Prozent davon kam von Kernkraftwerken. Ich rechne mal mit 400 Gramm CO2 pro Kilowattstunde im Strommix, was viel zu wenig ist (2019 lag Deutschland bei 408, der Atomstrom wird aber erstmal durch fossilen ersetzt). Ergebnis der groben Überschlagsrechnung: 24 Mio Tonnen CO2 pro Jahr können wir addieren, wenn die nukleare Erzeugung auf Null gefahren wird. (Andere Schätzungen kommen auf 50-70 Mio). Da ich mit „meinem“ Elektrogolf ungefähr 100 Kilogramm im Jahr einsparen kann, wenn ich ihn 12 Jahre fahre, braucht es also ab nächstem Jahr nur 240 Mio. Elektroautos, um den Atomausstieg zu kompensieren. Sollte machbar sei, oder? Jedes mit 10.000 Euro subventioniert, kostete uns der Spaß 2400 Milliarden Euro (in 12 Jahren). Zugegeben, kein Schnäppchen. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.
Es geht natürlich auch billiger. Aktuell liegt der staatlich festgelegte CO2-Preis in Deutschland bei 25 Euro. Die Grünen wollen ihn 2023 schon auf 60 erhöhen und dann soll es schnell weitergehen Richtung 100 und darüber hinaus. Dann sind wir also schon mit ein paar lausigen Milliarden im Jahr dabei. Peanuts.
Statt zu kompensieren, könnten wir natürlich den wegfallenden Atomstrom auch durch Sonne und Wind ersetzen. Die machten 2020 ja immerhin schon 37 Prozent der Elektrizitätserzeugung in Deutschland aus. Allerdings zahlen wir dafür ja auch schon ein paar Euro drauf. Die Einnahmen aus der Vermarktung des Ökostroms beliefen sich in 2020 auf rund 1,1 Mrd. Euro, die Ausgaben lagen bei 30,9 Mrd. Das kleine Defizit wird Jahr für Jahr durch die EEG-Umlage ausgeglichen.
So richtig gut läuft es ja beim Klimaschutzweltmeister Deutschland ohnehin nicht. Unser diesjähriger Ausstoß an Treibhausgasen wird laut Prognose der Denkfabrik Agora Energiewende voraussichtlich rund 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente höher ausfallen als im Vorjahr (dem Coronajahr). Damit stünde die Bundesrepublik vor dem größten Anstieg seit 1990, dem Referenzjahr, an dem der internationale Klimaschutz gemessen wird. Die Stromerzeugung aus Kohle wird 2021 um fast fünf Prozent, 2022 um weitere drei Prozent zunehmen.
Unterdessen in China
Kommen wir zu den guten Nachrichten. In der Wüste Gobi ist eine Maschine in den Testbetrieb gegangen, die auf den Namen TMSR-LF1 hört. Es ist der erste Thorium-Flüssigsalzreaktor der Welt. Peter Heller bezeichnet ihn in einem sehr informativen Artikel als „die wohl eleganteste jemals gebaute Maschine“. Er stellt in Aussicht: „Falls die Erprobung in der Wüste Gobi erfolgreich verläuft, verfügt China über ein Gerät mit dem Potential, die Energieproduktion ähnlich zu revolutionieren wie es von der Kernfusion schon immer erwartet wird. Was auch einen Hoffnungsschimmer für uns enthält. In Europa und Nordamerika laufen immerhin einige Dutzend vielversprechende Projekte von größeren Unternehmen und jungen Startups, die sich mit der Entwicklung von flüssigsalz-, metall- oder gasgekühlten, inhärent sicheren und hocheffizienten Kernreaktoren einer neuen Generation befassen.“
„Für die Zukunft des Planeten und der Menschheit ist es ziemlich egal, ob wir mit Elektroautos oder Verbrenner fahren, Strohhalme verbieten oder Plastiktüten recyclen."
Für die Zukunft des Planeten und der Menschheit ist es ziemlich egal, ob wir mit Elektroautos oder Verbrenner fahren, ob wir unsere E-Mails ausdrucken, vegane Currywurst essen oder Schweinebraten, Strohhalme verbieten oder Plastiktüten recyclen, unsere Reisen nach Neuseeland mit Carbon-Offset-Ausgleichszahlungen reinwaschen oder nicht. Wichtig für unsere Zukunft ist, was in der Wüste Gobi passiert.
Außerdem sollte man im Auge behalten, was in Decatur/Illinois, Southern Ute Indian Reservation/Colorado, und in Teesside/England, vor sich geht. Dazu ein andermal mehr.
Unterdessen in Berlin
Wie es einem ergehen kann, wenn man sich auf einer Klima-Demo für Kernenergie einsetzt, sieht man auf diesem Video.