02.11.2018

Das Ende der Alternativlosigkeit?

Von Johannes Richardt

Merkels angekündigter Abschied von der Macht ist ein Gewinn für die Demokratie. Endet damit auch die Ära technokratischer Politikansätze? Leider nicht...

Am Montag verkündete Bundeskanzlerin Merkel ihren baldigen Rücktritt vom CDU-Parteivorsitz. Damit hat sie auch das Ende ihrer Kanzlerschaft eingeleitet. Für unsere Demokratie ist das eine gute Nachricht. Merkel ist vor allem eine Meisterin darin, Debatten aus dem Weg zu gehen. Mit ihrem Mantra der „Alternativlosigkeit“ verkörpert sie wie kaum ein zweiter Politiker den vorherrschenden technokratischen Politikstil der letzten Jahrzehnte.

Von inhaltlichen Überzeugungen weitestgehend befreit, sieht sich das politische Führungspersonal mehr als Manager des Status Quo und weniger als Gestalter einer besseren Zukunft. Stimmungen und Demoskopie ersetzen ambitionierte Programme und Visionen. Diese Entpolitisierung hat sich als schleichendes Gift für die Demokratie erwiesen. Mit der Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“ – also dem Aufgreifen wichtiger rotgrüner Themen vom Atomausstieg über den Mindestlohn bis zur Ehe für Alle – konnte sich die Merkel-Union zwar lange an der Macht halten und mit den Sozialdemokraten ihren stärksten Konkurrenten dauerhaft schwächen.

Gleichzeitig wurde aber versäumt, wichtige gesellschaftliche Debatten zu führen. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist eine Folge dieses antidemokratischen Ansatzes. Auch ihre vom humanitären Standpunkt zu begrüßende Entscheidung, die deutsche Grenze für Flüchtlinge zu öffnen, hat sich als Bärendienst für alle erwiesen, die an eine offene Gesellschaft und liberale Einwanderungspolitik glauben. Durch die ad hoc am Parlament vorbei getroffene Entscheidung und die Strategie jeglichen kritischen Diskurs über das Thema zu ersticken, steht Einwanderung heute für viele synonym mit demokratischem Kontrollverlust.

„Die Erosion der etablierten politischen Ordnung wird weiter voranschreiten – mit offenem Ausgang.“

Wirtschaftlich hat sich Deutschland in den letzten Jahren nicht wegen, sondern trotz Merkel relativ gut entwickelt. Dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur – etwa für Straße, Schiene oder Digitalisierung – wurden auf die lange Bank geschoben. Die von ihr vorangetriebene Energiewende hat zwar nichts zur CO2-Reduktion beigetragen, dafür Deutschland aber die höchsten Strompreise weltweit beschert. Inwieweit sich das bis heute anhaltende Herumlavieren in der Eurokrise noch rächt, wird sich zeigen. Die staatliche Einmischung in die private Lebensführung der Bürger hat gerade in den Jahren der großen Koalition enorm zugenommen. Kurzum: Es gibt viele Gründe, Merkels Abschied von der Macht zu begrüßen. Nur leider ist eine echte politische Wechselstimmung nicht in Sicht. Der als aussichtsreichster Nachfolger für CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft gehypte Friedrich Merz mag wohl einen offeneren und robusteren Debattenstil pflegen, aber für neue Politik steht er nicht, ebenso wenig wie die anderen Kandidaten.

Der Niedergang der SPD ist wohl unumkehrbar – worüber man nicht traurig sein muss. Mit ihrer ergrünten und gentrifizierten Funktionärskaste ist keine Politik für die „kleinen Leute“ mehr machbar. Die Grünen machen der Union zunehmend den Rang als zeitgeistkonforme Mittelschichtpartei streitig. Die AfD bietet zwar Heimat für viel diffusen Politikverdruss und Ressentiments, aber kaum zukunftsweisende Alternativen. Die Erosion der etablierten politischen Ordnung wird weiter voranschreiten – mit offenem Ausgang. Eine politische Kraft, die mutig genug ist, die Ideale von Freiheit und Demokratie konsequent miteinander zu verbinden, fehlt schmerzlich. Noch?

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