15.03.2019

Das Böse lauert im Bushäuschen

Von Christoph Lövenich

Bald könnte das totale Werbeverbot für Tabakwaren kommen, die CDU/CSU scheint weichgekocht. Es würde weniger Freiheit im öffentlichen Raum und in der persönlichen Lebensführung bedeuten.

Als Volker Kauder im vergangenen Jahr den Vorsitz der Unions-Bundestagsfraktion verlor, frohlockten die Tabakgegner: Der namhafteste Kritiker eines totalen Tabakwerbeverbots in Deutschland hatte an Macht verloren. Und in der Tat: In den letzten Monaten haben die Anhänger dieser Freiheitseinschränkungen an Boden gewonnen. Die Übergabe einer Petition (die ihre Zielmarke übrigens nicht erreicht hatte) und Aktivitäten hinter den Kulissen erfolgten kürzlich. Die Wirtschaftspolitiker der CDU/CSU, die sich bisher gesperrt haben, scheinen niedergerungen. „Nirgends in der EU dürfen Zigarettenhersteller so ungehemmt für ihre Produkte werben wie in Deutschland“, schreibt der Spiegel, der seit Jahrzehnten Stimmung gegen den Tabak macht. Aber was bedeutet „ungehemmt“ in diesem Zusammenhang? Seit den 1970ern ist Radio- und Fernsehwerbung für den Tabak verboten, seit über 10 Jahren auch in Printmedien und Internet; Sport- und Kultursponsoring sind ebenso ausgeschlossen. Es bleiben nur noch: Außenwerbung auf Plakatwänden und in Buswartehäuschen sowie Kinospots nach 18 Uhr.

Die wenigen Möglichkeiten der ansonsten gesetzlich stummgeschalteten Hersteller, ihre Endkunden überhaupt noch zu erreichen und über neue Produkte, Preise und dergleichen zu informieren, sind der organisierten Tabakbekämpfung schon lange ein Dorn im Auge. Gegen kommerzielle Reklame richtet sich ein wachsendes Heer von Gegnern zu Felde, die nach dem Tabakvorbild inzwischen auch Werbeeinschränkungen für Alkohol, Nahrungsmittel, angeblich sexistische Motive oder aktuell etwa für Bordelle im Saarland fordern. Oder ganz „Berlin werbefrei“ machen wollen. „Die Politik hält die Reklame wohl für gefährlicher als das Produkt selbst“, diagnostiziert mein Kollege Kolja Zydatiss und bemängelt die wissenschaftlich unbelegte, aber dennoch „verbreitete Ansicht, Schlüsselreize aus der Werbung würden Menschen, die gar nicht rauchen wollen, nach Art Pawlowscher Hunde zum Tabakkonsum animieren.“

„Werbeverbote schaden kleineren Wettbewerbern und zementieren Marktanteile der Großen.“

In der Tat: Werbung soll die eigenen Produkte verkaufen und der Konkurrenz Marktanteile abjagen. Es geht um Marken. Niemand macht den Führerschein, weil er eine Autowerbung gesehen hat. Und selbst wenn dies jemand täte – weder Autofahren noch Rauchen sind Straftaten, zu denen nicht aufgerufen werden darf. Aber zu tolerieren, dass für Dinge, die man selbst ablehnt, andere Reklame machen dürfen, geht einigen zu weit. Dabei gehört es zu einer freiheitlichen Gesellschaft, dass jeder um die Gunst aller Bürger, Kunden, Menschen buhlen kann. Idealerweise zu gleichen Bedingungen. Regierungsamtliche Anti-Raucher-Spots oder Werbung für Pharma-Nikotinprodukte dürfen im Fernsehen laufen und im Internet geschaltet werden. Wo bleibt da die Fairness nach allen Seiten? Videatur et altera pars.

Niemand braucht „Schutz vor Tabakwerbung“: Den ein oder anderen Raucher mag sie interessieren, Nichtraucher haben davon einen indirekten Nutzen, indem das Kino, das sie besuchen, Einnahmen erzielt und erhalten bleibt. Und wenn sie mit dem Bus zum Kino fahren, dürfen sie sich eines überdachten Wartehäuschens erfreuen, das ohne Zigarettenreklame vielleicht gar nicht finanzierbar wäre. Denn die Tabakwerbung, da sie sich gezwungenermaßen auf solche Plakate konzentrieren muss, macht einen Großteil der Einnahmen für Werbung im öffentlichen Raum aus, von dem die Städte als Vertragspartner der Außenwerbeflächenbetreiber (z.B. Firma Ströer) profitieren. Angesichts der oft langjährigen Verträge dürfte ein drohendes Tabakwerbeverbot zu nicht unerheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen in diesem Bereich führen.

Gerne wird bei solchen Verbotsforderungen (siehe auch im Ernährungsbereich) auf Minderjährigen herumgeritten, die vor dem Kontakt mit dem Bösen, das sie zu angeblich schlimmen Handlungen verführe, abgeschirmt werden müssten. Früher lauerte die Schlange im Paradies, heute am Bushäuschen. Es gilt als Gebot der Stunde, dem Nachwuchs die Augen zuzuhalten. Weiter östlich in Europa nutzt man das selbe Argument, wenn gegen „homosexuelle Propaganda“ vorgegangen werden soll. Auf den Tabak bezogen schreibt die Frankfurter Rundschau: „Die große Mehrheit ihrer Neukunden rekrutieren die Hersteller unter Jugendlichen.“ Ohne Zweifel. Das liegt am Alter, in dem man beginnt, sich für derlei zu interessieren. Daran hat auch das Tabakverkaufsverbot an 16-/17jährige seit 2007 (und früher mal unter den Nazis) nichts verändert. Nach einem totalen Bann von Kinospots und Reklamepostern werden die Neuraucher, so viel sei prophezeit, nach wie vor dieser Altersgruppe entspringen und nicht etwa den 60 bis 70jährigen.

„Wirtschafts- und Kulturzensur sind nicht zu trennen.“

Werbeverbote schaden kleineren Wettbewerbern und zementieren Marktanteile der Großen. Und die Informationswege des Bürgers als Verbraucher werden weiter beschnitten. Aber weder Marktwirtschaft noch Genuss stehen nun einmal hoch im Kurs derer, die solche Repressionen propagieren. Antiraucherorganisationen, das Kampagnen-Moralunternehmen SumOfUs, das die oben genannte Petition betreibt, Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU), Bundesdrogenbeauftragte Mortler (CSU) und Teile ihrer Fraktion, SPD, Linkspartei und Grüne sowieso, sie alle bilden dabei eine Einheitsfront. Unter dem beständigen Trommelfeuer ihres Vorwurfs, wer gegen das absolute Reklameverbot sei, müsse Knecht der Tabaklobby sein, knicken die verbliebenen wackeren Recken ein.

Dabei ist es doch völlig legitim, wenn ein Wirtschaftszweig seine letzten Werbenischen verteidigen möchte. Es sind die Lobbyisten dieser Werbevernichtung, die wir fragen müssen, woher sie das Recht beziehen, anderen ihre Handlungsspielräume zu nehmen und den öffentlichen Raum von dem zu säubern, was ihnen nicht in den Kram passt. Wie bei anderen Formen der Tabakbekämpfung wird auch hier das Ende der Fahnenstange nie erreicht sein. Einer ihrer „Experten“, Rainer Hanewinkel, der im Dezember bei einer Bundestagsanhörung mit anderen üblichen Gesichtern das Werbeverbot angepriesen hat und auch sonst dafür das große Wort führt, sieht Verführung zum Rauchen nicht nur durch Reklame gegeben, sondern ebenfalls durch Filme, in denen geraucht wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drängt bereits auf einschlägige gesetzliche Vorgaben. An Inspiration für neue Regulierung besteht kein Mangel, Wirtschafts- und Kulturzensur sind nicht zu trennen.

Als Totschlagargument für den totalen Werbebann wird schließlich zu Felde geführt, dass alle übrigen Länder Europas ihn schon haben. Muss man in die gleiche Richtung laufen wie die anderen? Dazu meint ein kritischer Geist wie der britische Lifestyle-Ökonom Christopher Snowdon: „Deutschland erscheint mir in vielen Dingen recht liberal. Es ist einer der wenigen Orte in Europa, wo zum Beispiel kein komplettes Verbot von Tabakwerbung oder von Rauchen in Innenräumen besteht. Das könnte eine Lehre aus der Geschichte sein, genau wie in den Ländern Osteuropas, wo es liberaler zugeht, nachdem sie so lange unterdrückt wurden.“

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