22.08.2025
Ausgeschlossen von der Wahl
Von Niels Hipp
Zum Vorgehen gegen die AfD gehört inzwischen, dass einzelnen ihrer Bürgermeisterkandidaten das Antreten verwehrt wird. In anderen Ländern und Kontinenten geschieht Ähnliches in größerem Maßstab.
Im Rahmen der Diskussion um die Wahl der beiden Juristinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Kathrin Kaufhold zu Bundesverfassungsrichterinnen wurde viel über deren Haltung zu einem AfD-Verbot diskutiert. Ein solches wäre ein einziger, ultimativer Schachzug, um die größte Oppositionspartei Deutschlands aus dem Weg zu räumen. Deutlich weniger beachtet werden allerdings die vielen kleinen Stiche gegen die AfD, die in ihrer Gesamtheit auf ein „kleines AfD-Verbot“ hinauslaufen könnten. Dazu zählt bisher etwa, dass die AfD keinen Vizepräsidenten im Bundestag und den meisten Landtagen stellt, – im Gegensatz zur Wahlperiode 2017-21 – auch keinen Ausschussvorsitzenden, ihre parteinahe Stiftung keine staatlichen Gelder bekommt, von einer Koalition ganz zu schweigen. Hier zeigt sich, dass viele parlamentarische Praktiken, die über Jahrzehnte normal waren, eben keine verfassungsrechtlichen Ansprüche begründen.
Daneben gibt es auch Benachteiligungen für Beamte, aber auch im gesellschaftlichen Bereich, etwa bei Fußballvereinen oder – besonders lächerlich – die immer weiter ausufernde Kontaktschuld, wobei man ja eigentlich dachte, dass man die Sippenhaft überwunden hat. Weitere Ideen sind der Ausschluss von der Parteienfinanzierung oder der im Koalitionsvertrag der Merz-Regierung zu findende Passus, dass der Volksverhetzungs-Paragraph noch einmal erweitert werden soll und man bei mehrfacher Verurteilung nicht mehr für ein öffentlichen Amt – also auch nicht mehr als Bundestags- oder Landtagsabgeordneter – soll kandidieren können. Das wäre eine deutliche Erweiterung von § 45 StGB, der die Bekleidung öffentlicher Ämter bisher nur bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bei Verbrechen ausschließt. Kombiniert man letzteres dann mit einer mittlerweile oft politischen Justiz, bei der – im Gegensatz zur Weimarer Republik – linke Angeklagte eher gut wegkommen, „rechte“ Angeklagte – das können auch „Coronaleugner“ oder „Putinversteher“ sein – hingegen weniger, dann ist die Bezeichnung der geplanten Gesetzesverschärfung als „Lex AfD“ sicherlich nicht falsch.
Verfassungstreue?
Nun kommt ein neuer Stich gegen die AfD hinzu, nämlich der Ausschluss einzelner Kandidaten bei (Ober-)Bürgermeisterkandidaturen. Erstmalig wurde die Verfassungstreue bei kommunalen Wahlbeamten bezogen auf die AfD 2023 geprüft, und zwar im Zusammenhang mit Robert Sesselmann als Landrat im Landkreis Sonneberg (Thüringen). Dort war die Situation aber so, dass er bereits gewählt war und das Landesverwaltungsamt erst danach die Verfassungstreue überprüfte, diese aber immerhin bejahte. In letzter Zeit gibt es Fälle, in denen die Verfassungstreue schon vorher vom zuständigen Wahlausschuss verneint wurde, so bei Joachim Paul in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), bei Uwe Detert in Lage (NRW) und bei Haik Jäger in Neukloster (Mecklenburg-Vorpommern).
„Da die herrschenden Parteien ihre Politik nicht ändern möchten, reagieren sie mit Repression.“
Die angeblich mangelnde Verfassungstreue wirkt dabei vorgeschoben. Es ist vielmehr die Angst der anderen Parteien, der AfD-Kandidat könne siegen. In Ludwigshafen z.B. war die AfD bei der Kommunalwahl 2024 mit 19,9 Prozent drittstärkste Kraft, bei der Bundestagswahl 2025 erzielte die AfD in Lage die meisten Zweistimmen, in Neukloster holte die AfD bei der Bundestagswahl 2025 gar über 43 Prozent der gültigen Zweitstimmen. Der mögliche Sieg eines AfD-Kandidaten ist aber aus Sicht der den Elitenkonsens bildenden Parteien („Quasi-Blockparteien“) inakzeptabel. Da inhaltliche Abweichungen vom Elitenkonsens nicht toleriert werden, erfolgt ein solcher Ausschluss nicht nur aus formalen Gründen, sondern (zumindest auch) aus materiellen. Der ist in einer Demokratie aber inakzeptabel und selbst in Deutschland nur unter strengen Bedingungen im Rahmen des Procederes des Parteiverbots vor dem Bundesverfassungsgericht möglich oder – bezogen auf einen einzelnen Kandidaten – im Falle des genannten § 45 StGB. Man muss daher feststellen, dass die kommunalen Wahlgremien hier wie der iranische Wächterrat agiert haben: Letzterer kontrolliert nicht nur Parlamentsentscheidungen, sondern bestimmt bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Islamischen Republik Iran, welcher Kandidat aus Sicht seiner zwölf Mitglieder in ideologischer Konformität zum System steht, also einer Islamauslegung der dortigen schiitischen Mullahs.
Das kleine Verbot – so fasst Tichys Einblick zurecht zusammen – läuft „darauf hinaus, die Partei zwar in einem formell legalen Status zu belassen, ihr aber nach und nach systematisch die politischen Wirkungsmöglichkeiten zu beschneiden: durch Nichtzulassung ihrer Kandidaten, Geldentzug und die Verweigerung parlamentarischer Rechte.“ Diese Schritte geschehen, weil man Angst hat, mit einem Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht doch keinen Erfolg zu haben.
Elitenkonsens
Was steckt dahinter, warum wird die AfD so stark bekämpft? Schon seit längerem, verstärkt aber seit ca. 2010 hat sich ein Elitenkonsens herausgebildet. Dieser wird von CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke und FDP getragen. Sie stimmen in vielen wesentlichen Fragen überein, Abweichungen gibt es eher in Details. Man denke dabei etwa an Fragen der Migration, der Energie- und Klimapolitik, der Sozialpolitik, der Europapolitik, seinerzeit auch der Corona- oder Eurorettungspolitik. Die inhaltlich dominante Partei sind seit längerer Zeit die Grünen, an denen sich auch die Union orientiert, bei einigen aus Angst vor der Kritik, als „rechts“ zu gelten oder Probleme mit militanten Antifanten zu bekommen, bei vielen – wie den Landesregierungschefs Wegner, Günther oder Wüst – aber auch aus Überzeugung.
Mit diesem System, das man – vielleicht überspitzt – als Quasi-Blockparteiensystem bezeichnen könnte, ist Opposition im Sinne eines auch materiell ganz anderen Politikangebots nicht vorgesehen. Wer dieses trotzdem vertritt und beim Wähler Erfolg hat, wird mit allen möglichen Schikanen ausgegrenzt. Da die herrschenden Parteien ihre Politik nicht ändern möchten, reagieren sie mit Repression. Dies ist auch aus ihrer Sicht nötig, da die von den Eliten gesteuerte Politik von oben unschöne Ergebnisse produziert: Die Migrationspolitik der offenen Grenzen bei hohen Sozialleistungen führt zur Einwanderung Geringqualifizierter, die oft von staatlichen Transfers abhängig sind. Die Klimapolitik, oft euphemistisch „Transformation“ genannt – auch noch unter Ablehnung der Atomkraft ohne topographische Gegebenheiten wie in Norwegen –, führt zur Deindustrialisierung, die zu Unzufriedenheit führt, die sich dann verstärkt in der AfD-Wahl niederschlägt. Das gilt verstärkt in Ostdeutschland, wo viele noch den wirtschaftlichen Niedergang und jahrelange Arbeitslosigkeit bei der „Transformation zur Marktwirtschaft“ nach 1990 erlebt haben, die politisch sehr schlecht bewerkstelligt wurde.
„Der Wahlausschuss Rumäniens agierte wie der Wächterrat im Iran, was in einer Demokratie inakzeptabel ist.“
Allerdings ist die Ausgrenzung unliebsamer Konkurrenz kein deutsches Spezifikum. In vielen Ländern des Westens steht die Demokratie unter Druck bzw. wurde schon (teilweise) abgeschafft. In Frankreich wurde Marine Le Pen im März 2025 in einem Betrugsprozess für schuldig befunden und sie darf die nächsten 5 Jahre – also bei der Präsidentschaftswahl 2027 – nicht antreten. Dabei hätte sie gute Chancen, Präsidentin zu werden. Auch dort ist die Unzufriedenheit groß: Deindustrialisierung ist weniger ein Thema, auch weil der Industriesektor viel kleiner ist als in Deutschland und man dort weiterhin Atomenergie nutzt. Aber das Pariser Establishment gilt als abgehoben, Steuer- und Abgabenquote sind enorm, durch die Fokussierung auf Paris fehlt es auf dem Land oft an Perspektiven. Und Frankreich ist seit 1789 oft irgendwie revolutionär, da brodelt es immer, eine Protestkultur ist sehr ausgeprägt.
Sehr weitgehend waren die Maßnahmen auch in Rumänien: Im November 2024 trat der parteilose, als „rechts“ oder „rechtsextrem“ bezeichnete Kandidat Calin Georgescu in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen an. Im ersten Wahlgang erreichte er die relative Mehrheit der Stimmen. Das versetzte das politische Establishment in Panik: Am 6. Dezember 2024 annullierte das Verfassungsgericht die Wahl wegen angeblicher russischer Einflussnahme, Manipulation der Wähler über TikTok sowie Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung. Mittlerweile ist der Vorwurf russischer Propaganda eine Allzweckwaffe gegen politische Gegner, auch bei uns. Auch die angebliche Einflussnahme von außen ist als Argument vorgeschoben, denn sie wird nur dann benutzt, wenn es den Gegner betrifft. Zum neu festgesetzten Präsidentschaftswahltermin am 4. Mai 2025 (erster Wahlgang) wurde er dann vom Wahlausschuss gar nicht erst zugelassen, da er u.a. gegen die Mitgliedschaft Rumäniens in EU und Nato war; sein gegen den Ausschluss gerichteter Antrag beim Verfassungsgericht war erfolglos. Die Ablehnung erfolgt gerade nicht aus formalen Gründen, sondern aus inhaltlichen. Auch der Wahlausschuss Rumäniens agierte wie der Wächterrat im Iran, was in einer Demokratie inakzeptabel ist.
Ausschluss außerhalb Europas
Solche repressiven politischen Maßnahmen kannte man bisher eher aus anderen Teilen der Welt, z.B. aus Tunesien, wo es im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 2024 nicht nur zu Diffamierungskampagnen gegen potenzielle Gegenkandidaten von Präsident Kais Saied kam, sondern auch zu strafrechtlichen Verurteilungen, und dabei in mehreren Fällen zu Haftstrafen kam. Als Gegenkandidaten ließ die Wahlbehörde dann auch nur zwei zu, von denen einer ebenfalls festgenommen wurde. Auch nicht gerade für eine mustergültige Demokratie sprechen die Vorgänge in Pakistan: Im August 2023 wurde Ex-Premier Imran Khan zu drei Jahren Haft verurteilt, einen Monat später aber freigelassen. Ende Januar 2024 wurde er, gut eine Woche vor der Parlamentswahl, erneut zu Gefängnisstrafen verurteilt, und zwar zu 10 Jahren wegen angeblicher Weitergabe vertraulicher diplomatischer Informationen und zu 14 Jahren wegen Korruption. Die zeitliche Nähe zu den Parlamentswahlen und die hohen Strafen erlauben keinen Zweifel daran, dass er als charismatische Persönlichkeit – und mit ihm die Opposition – deutlich geschwächt werden sollte. Einen vom Volk gewünschten Politikwechsel darf es auch in Pakistan nicht geben.
„Politische Justiz bestraft Menschen nicht wegen konkreter Straftaten, sondern wegen ihrer Gesinnung.“
In Argentinien kam es nach dem Sturz Juan Peróns 1955 zur Situation, dass das Militär bei den nachfolgenden Wahlen jeweils entschied, ob die Peronisten antreten durften oder nicht. Aber in der „Neuen Welt“ gibt es auch aktuell beunruhigende Entwicklungen: In Brasilien, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Südamerikas, befindet sich der ehemalige konservative Präsident Jair Bolsonaro (Amtszeit 2019-2022) im Hausarrest, angeordnet vom Obersten Gerichtshof in Brasilia unter Richter Alexandre de Moraes. Bolsanaro wird eines Putsches beschuldigt, für den es aber keinerlei Beweise gibt. Der eigentliche Prozess dauert noch an, aber schon jetzt ist er bis 2030 von allen politischen Ämtern ausgeschlossen. Hier haben wir wieder einen Fall politischer Justiz: Sie bestraft Menschen nicht wegen konkreter Straftaten, sondern wegen ihrer Gesinnung. Zudem hat Bolsanaro viele Anhänger, das macht ihn gefährlich. Politische Opposition wird mit Strafrecht bekämpft, Straftaten der eigenen Gesinnungsleute werden kaschiert. Auch seine Nähe zu Donald Trump dürfte ihm zum Verhängnis geworden sein. In Brasilien gibt es aber schon länger Probleme: Moraes hatte 2024 die Abschaltung von X durchgesetzt, nachdem es Ärger zwischen Elon Musk, dem X mittlerweile gehört, und der brasilianischen Regierung unter dem Sozialisten Lula da Silva gab, die Musk die Verbreitung von Falschinformation und illegalen Inhalten vorwarf. In Wirklichkeit geht es bei solchen Fragen um für die Regierung unliebsame Informationen, wie beim Digital Services Act der EU. Die Regierenden haben Angst vor den Regierten.
Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf Venezuela: Am 28. Juli 2024 fanden dort Präsidentschaftswahlen statt, und zwar zwischen dem Amtsinhaber Nicolas Maduro und seinem Herausforderer Edmundo González. Die Wahlbehörde erklärte Maduro mit 51 Prozent der Stimmen zum Sieger, obwohl die Ergebnisse der Opposition, die eher auf 30 Prozent schließen lassen, viel plausibler sind. Das offizielle Ergebnis wurde dann aber vom regierungsnahen Verfassungsgericht bestätigt. Dass viele Venezolaner kein Vertrauen mehr in Maduro hatten, ist naheliegend: Das einst reichste Land Südamerikas, das erdölreichste Land der Welt, ist heute das ärmste Südamerikas. Jahrzehntelange Misswirtschaft, angefangen 1999 mit dem 2013 verstorbenen Hugo Chávez und dann seinem Nachfolger Maduro, führten ins Chaos: Zwischendurch über 1 Million Prozent Inflation, Armut, Hunger, über acht Millionen Menschen sind geflohen – in ganz Mittel- und Südamerika trifft man häufig auf ausgewanderte Venezolaner. Da Maduro seine Politik nicht ändern wollte, setzte er einerseits auf Repressionen gegen die Bevölkerung, andererseits aber wurde die Demokratie faktisch abgeschafft, so dass nicht nur alternative Politikerpersönlichkeiten, sondern auch andere inhaltliche Politikangebote keine Chancen haben.
Venezuela sollte uns in Deutschland, gerade heute, eine Warnung sein, so zurecht der Historiker Rainer Zitelmann: „Auch wohlhabende demokratische Länder sind nicht dagegen gefeit, binnen weniger Jahre ihren Wohlstand und ihre Freiheit zu verlieren. Freiheit, wirtschaftliche wie politische, ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder neu erkämpft werden.“