05.03.2025

Aschermittwochskater nach der Wahl

Von Jörg Michael Neubert

Titelbild

Foto: RichardLey via Pixabay / CC0

Die Bundestagswahl hat fast gar keine echten Gewinner hervorgebracht. Union und SPD sehen sich jetzt zu einer Zusammenarbeit gezwungen, die keinen Politikwechsel bedeutet.

Nachdem die Bundestagswahl nun ein paar Tage vorbei ist und sich der erste Nebel der undurchsichtigen Worthülsen gelegt hat, kann man etwas klarer und mit ersten Erkenntnissen auf die vergangene Bundestagswahl blicken. Fangen wir zunächst mit dem Positiven an. Die Wahlbeteiligung lag mit 82,5 Prozent so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht. Die im Vorhinein von allen möglichen Seiten als Schicksalswahl geframete Abstimmung wurde womöglich von vielen Bundesbürgern auch als eine solche wahrgenommen.

Die CDU

Damit endet dann aber auch schon der positive Teil. Denn trotz der zur Schau gestellten Siegesallüren von Friedrich Merz kann die Union mit ihrem Wahlergebnis nicht wirklich zufrieden sein. In einem Wahlkampf, der von Themen wie innerer Sicherheit, Zuwanderung und Wirtschaftspolitik bestimmt war, wären 30 Prozent plus x Pflicht und nicht Kür gewesen. Dass Herr Merz trotzdem eine Chance auf seine Wunschkoalition „Schwarz-Rot“ (inzwischen keine große Koalition mehr) hat, liegt nicht an seiner eigenen oder der Stärke der SPD, sondern an der Schwäche von FDP und BSW, die beide nicht in den Bundestag einziehen. Mancher mag als positiven Punkt vermerken, dass Deutschland damit eine „Kenia-Koalition“ erspart geblieben ist, aber das kann nur ein sehr schwacher Trost sein.

Was machte Friedrich Merz also nun aus seinem „Sieg“. Nun, auch wenn ihm viele das übelnehmen (erwartungsgemäß aus dem linken Lager), warf er Fragen auf, die für den Wähler interessant sein könnten. So bemängelte er, dass Kandidaten, die eine Erstimmen-Mehrheit in ihrem Wahlkreisen geholt haben (zumeist von der Union), aufgrund der Wahlrechtsreform nicht in den Bundestag einziehen werden. Nun könnte man das als beleidigtes Getue abtun.

Und so sehr der Stopp der Aufblähung des Bundestags zu begrüßen ist (auch wenn da noch deutlich mehr ginge), so zeigt sich hier doch ein Problem. Die Begrenzung des Bundestags erfolgt nämlich nicht über die Listenplätze, sondern eben über die Direktmandate. Warum aber ein direkt gewählter Kandidat ‚weniger wert‘ ist als ein Parteiapartschick, der auf einem günstigen Listenplatz sitzt, ist zumindest für den Laien schwer nachzuvollziehen. Nur böse Zungen würden vermuten, dass direkt gewählte Abgeordnete sich evtl. ein wenig mehr den Wünschen ihrer Wähler als einer Parteiräson verantwortlich fühlen würden. Die Parteien sollen den Willen des Volkes vertreten, aber wenn ein klares Wählervotum für eine Person derartig missachtet wird, drängt sich leider der Gedanke auf, dass es weniger um den Willen des Volkes als etwas anders geht. Ob Herr Merz wirklich diesen Umstand adressieren wollte, darf zumindest bezweifelt werden, aber die Diskussion ist mehr als fällig.

„Mit dem schlechtesten Ergebnis seit ihrem Bestehen unter diesem Namen bleiben für die SPD eigentlich nur noch Nieten in der Lostrommel.“

Glaubt man dem linken Lager, ist das allerdings keine Gefahr für die Demokratie. Die lauert nämlich an ganz anderer Stelle. Nachdem es zu Protesten gegen die CDU gekommen war, hatte diese eine Kleine Anfrage (mit über 500 Punkten, man mag sich daher gar nicht ausmalen, wie eine Große aussähe…) gestellt, welche NGOs eigentlich vom Staat wie bezuschusst werden. Eine legitime Frage in Zeiten klammer Kassen, möchte man meinen. Doch das linke Establishment sieht das wohl ein wenig anders.

Die SPD

Womit wir bei der (Noch-) Kanzlerpartei SPD wären. Diese übte sich zusammen mit den Grünen im Zwergenaufstand. Lars Klingbeil drohte sogar mit dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen, sollte sich die CDU nicht für diese Anfrage entschuldigen. Im Ernst? Man mag über die Union denken was man will, aber wenn eine Vielzahl von nicht-staatlichen Organisationen (NGOs) vom Staat bezahlt werden, nur um dann gegen Teile des politischen Spektrums (in Gestalt der konservativen Parteien) zu protestieren, dann darf die Sinn- und Geldfrage durchaus gestellt werden. Diesen ganz normalen parlamentarischen Vorgang als Angriff auf die Demokratie zu framen zeugt von einer gewissen Dreistigkeit und vielleicht auch der Angst, dass die eigene herrschende Stellung im Meinungsdiskurs sich auf dem absteigenden Ast befinden könnte.

Aber kehren wir zum Wahlergebnis der SPD zurück. Mit dem schlechtesten Ergebnis seit ihrem Bestehen unter diesem Namen (und das ist schon eine ganze Weile), bleiben für die SPD eigentlich nur noch Nieten in der Lostrommel. Eigentlich müsste sie sich mit frischem Personal in der Opposition neu aufstellen, um z.B. wieder für ihre frühere Kernklientel der Arbeiter (die gehen mittlerweile zur AfD) attraktiv zu werden. Stattdessen müsste sie letztlich in eine Regierung mit der Union gehen, denn Neuwahlen könnten sie weiter schwächen oder den Weg für das Einreißen der Brandmauer zur AfD ebnen.

„Das schlechte Abschneiden der SPD führte nicht zu einem personellen Neuanfang. Im Gegenteil.“

Allerdings führte das schlechte Abschneiden der SPD nicht zu einem personellen Neuanfang. Im Gegenteil. Lars Klingbeil ließ sich für diesen grandiosen Erfolg zum Fraktionsvorsitzenden befördern und Saskia Esken (der jemand in der SPD schon Auftrittsverbot im Wahlkampf geben wollte) will auch weiter oben mitmischen. Leider gibt Minus mal Minus nur in der Mathematik Plus und daher wird hier nichts Gutes zu erwarten sein.

Die AfD

Kommen wir zur (vermeintlichen) Wahlgewinnerin AfD. Die ist mittlerweile zweitstärkste Kraft im neuen Bundestag, doch davon kann sie sich – salopp gesagt – nichts kaufen. Friedrich Merz hat in seiner ersten Pressekonferenz klar gemacht, dass er nur mit der SPD reden will, womit zumindest zunächst jegliche Regierungsbeteiligung der AfD ausgeschlossen scheint. Aus demokratischer Sicht wäre es anständig, mit dem ‚zweiten Siege‘“ zumindest zu sprechen, zumal man mit dessen Ansichten ja offenbar nicht vollkommen über Kreuz liegt. Noch hält die Brandmauer, die aber inzwischen nicht nur die Stimme von einem Fünftel der Wahlberechtigten ausschließt, sondern auch eine Regierung ohne ‚linke‘ Beteiligung verunmöglicht. Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum gerade SPD und Grüne so auf die Brandmauer pochen. Um hier nicht missverstanden zu werden. Es gibt in der AfD einige Kräfte, die man nur als inakzeptabel bezeichnen kann, aber das ändert nichts daran, dass die Partei offenbar Themen adressiert, die dem Volk wichtig sind. Zumindest die Möglichkeit auszuloten, ob eine gemeinsame Politik möglich wäre, würde der demokratische Anstand gebieten.

Die Grünen

Wie sieht es bei den  Grünen aus? Ihre Kernklientel bleibt ihr trotz schwachen Wirtschaftswachstums, Gelbhaar-Affäre und – nennen wir es mal höflich – interessanter Außenpolitik treu. Robert Habeck hat kurz nach der Wahl bekannt gegeben, dass er sich aus der Politik zurückziehen will, da die Wahl nicht so ausgegangen ist, wie er sich das vorgestellt hat. Ob er damit Unzufrieden darüber ausdrückte, dass er nicht Kanzler werden kann, blieb unklar. Überhaupt nicht unklar blieb dagegen, wer schuld an der ganzen Misere war: „Die Anderen“. Kein Wort der Selbstkritik oder ähnliches war zu vernehmen. Weder über das vermurkste Heizungsgesetz, die verfehlte Subventionspolitik oder was sonst noch so im Wirtschaftsministerium schief lief. Das jemand, der sich gerne auch als eine Art Philosoph und Schöngeist darstellt, ist dieser Mangel an Einsichtsfähigkeit doppelt beklagenswert.

„Man mag sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Herr Habeck auf ‚The Donald‘ oder Mr. Vance getroffen wäre.“

Ursprünglich stand auch mal im Raum, dass er sein Bundestagsmandat niederlegt, doch das ist jetzt wohl vom Tisch, nachdem eine Petition mit mehreren hunderttausend Unterstützern ihn zum Bleiben bewegen will. Man kann nur mutmaßen, dass Habek diesen Ego-Boost gebraucht oder sogar provoziert hat. Aber auch hier gilt, dass man auf einen Spitzenpolitiker, der in eindeutig satirischem Kontext als „Schwachkopf“ bezeichnet wird und es daraufhin fertigbringt, eine Hausdurchsuchung bei einem vermeintlichen „Täter“ zu initiieren, eher verzichten könnte. Man mag sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Herr Habeck auf „The Donald“ oder Mr. Vance getroffen wäre.

Die Linke

Die Linke hat (und das darf man neidlos zugeben) ein fulminantes Comeback hingelegt und zieht mit 8,77 Prozent in den Bundestag ein. Insbesondere bei den jungen Wählern holte die Linke Stimmen; hier war sie mit 26 Prozent sogar stärkste Kraft, knapp gefolgt von der AfD mit 21 Prozent. Warum junge Menschen fast die Hälfte ihrer Stimmen Parteien geben, die sich am politischen Rand befinden und eine teilweise schon ans Anbiedernde grenzende Putin-Freundlichkeit zeigen, stimmt zumindest nachdenklich. Möglicherweise ist die Erklärung, dass AfD und Linke (oder genauer gesagt Heidi Reichinnek) den Umgang mit sozialen Medien deutlich besser als andere Parteien beherrschen, nicht so falsch und damit gleichermaßen erschreckend. Wenn einfache Parolen wie „keine Milliardäre“ oder sinngemäß „Ausländer raus“ verfangen, darf man sich schon Gedanken um die politische Bildung der Jugend machen. Kapitalismuskritik mag bei einigen Jungen en Vogue sein, aber deshalb eine auf die SED zurückgehende Partei zu wählen, die zumindest gezeigt hat, dass die Alternative Sozialismus noch viel schlimmer ist, erscheint zumindest fragwürdig. Spiegelbildliches gilt für viele Äußerungen der AfD.

BSW und FDP

Bleiben BSW und FDP, die beide nicht mehr dem Bundestag angehören werden. Das BSW ist noch neu, aber die Zugkraft von Frau Wagenknecht war doch geringer als gedacht. Dieses Mal hat das BSW den Einzug knapp verpasst, die Zeit wird zeigen, ob die Partei  eine Zukunft hat. Wobei Frau Wagenknecht immer noch erwägt, gegen den Wahlausgang zu klagen. Begründet wird diese Absicht u.a. damit, dass manche Auslandsdeutsche nicht rechtzeitig wählen konnten. Es ist zwar korrekt, dass dem BSW nur wenige Stimmen gefehlt haben, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, doch die Auslandswähler hätten das nur geändert, wenn ein deutlich höherer Anteil von ihnen das BSW gewählt hätte als im Bundesdurchschnitt.

„Merz hat zwar einen klaren Kurswechsel angekündigt. Wie er das mit der angezählten SPD schaffen will, bleibt unklar.“

Apropos Zukunft. Die scheint für die FDP aktuell nicht zu haben. Sie war immer ein Fremdkörper in der Ampel und nachdem es die SPD und Grüne es geschafft hatten, fast die ganze Schuld für das Ampel-Aus bei der FDP abzuladen, blieb nicht mehr viel. Die Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz der CDU offenbarte nochmal deutlich, welcher Riss durch die Partei geht. Für die in den Umfragen sowieso schon zur Zwergengröße geschrumpfte Partei war das dann zu viel. Ob man sie ein wenig vermissen wird?

Wie geht es weiter?

Was bleibt also von der Wahl übrig? Vermutlich werden wir eine schwarz-rote Regierung bekommen, in der die SPD verzweifelt versuchen wird, so viele „SPD-pur“-Inhalte (oder was sie dafür hält) durchzusetzen. Erste Ansätze davon zeigen sich bereits beim Spitzenpersonal und der komplett lächerlichen Forderung an die Union, sich für ihre kleine Anfrage zu entschuldigen. Die Hamburg-Wahl wird von der SPD jetzt gerne noch als warmer Rückenwind wahrgenommen, aber auch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sozis hier ganz im Sinne des Bundestrends verloren haben, während Union, AfD und Linke Zuwächse verzeichnen können. Friedrich Merz mag das ganz recht sein, weil die SPD hier zumindest gefühlt Ihre Wunden lecken konnte und sich etwas zahmer in den Verhandlungen aufführen wird. Trotzdem bleibt viel Erpressungspotential, da Merz sich alle anderen Optionen bereits im Vorfeld verbaut hat.

Merz hat zwar einen klaren Kurswechsel angekündigt. Wie er das mit der angezählten SPD schaffen will, bleibt unklar. Dabei wäre die Abkehr von Ideologie und Hinwendung zu einer pragmatischen Politik bitter nötig, wenn Deutschland sowohl für sich selbst als auch international weiter eine Rolle spielen will. „Man darf ja wohl noch träumen“, sagt der Volksmund, aber aktuell sieht es leider danach aus, als wäre selbst das nicht mehr möglich. Nichts würde den Autor mehr erfreuen, als wenn er sich irrte.

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