03.12.2025

Angezählte „Kartellparteien“ gegen Auszählung

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Marco Verch via Flickr / CC BY 2.0

Der Bundestag weigert sich, auf Wunsch des BSW die Stimmen der jüngsten Bundestagswahl neu auszuzählen. Die schrumpfenden Volksparteien sichern sich so ihre Macht.

Es kam, wie es kommen musste: Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags hat die Beschwerde des BSW abgelehnt. Eine Neuauszählung der letzten Bundestagswahl sei nicht nötig, die Einsprüche unbegründet – so der Vorsitzende. Überraschend ist das nicht. Nichts fürchtet eine Regierung mehr als den Verdacht, sie könnte ihre Mehrheit womöglich nicht besitzen.

Der zentrale Punkt ist bekannt: Wäre das BSW knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gelangt, hätte Kanzler Merz zusätzlich zur SPD auch die Grünen gebraucht, um jenseits der Brandmauer zu regieren. Wer also Stabilität um jeden Preis will – und die Brandmauer um jeden Preis – unterstützt zwangsläufig das Votum des Ausschusses. „Sie brauchen 9.500 Stimmen – und das Chaos wäre perfekt“, titelte etwa Die Zeit.

Doch genau hier liegt das Problem: Die Ablehnung einer Neuauszählung bestätigt jene, die seit Jahren die Macht der „Kartellparteien“ beklagen. Der Begriff ist in der deutschen Politik zu einem Schimpfwort geworden, dem man sofort die Etiketten „extreme Rechte“ und „AfD-Sprache“ anklebt. Der Spiegel führt ihn sogar im Glossar „rechter Wörter“. Tatsächlich aber stammt er aus der Kaiserzeit: Schon damals schlossen sich Parteien – unter Bismarcks Führung – zusammen, um den Aufstieg der Sozialdemokraten zu verhindern. Die heutige Brandmauer, die sämtliche etablierten Parteien dazu bringt, gemeinsam jede Form politischer Macht der AfD zu blockieren, hat der alten Idee neues Leben eingehaucht: dass Parteien zunehmend wie Kartelle agieren – ausgestattet mit staatlichen Ressourcen, mit denen sie den demokratischen Wettbewerb beschneiden.

„Die Hinweise auf mögliche Auszählungsfehler sind nicht aus der Luft gegriffen.“

Natürlich würde eine Neuauszählung nicht automatisch bedeuten, dass das BSW in den Bundestag einzieht. Die Partei hat es nicht geschafft, an ihren anfänglichen Erfolg anzuknüpfen (vielleicht war die Fixierung auf „Friedensgespräche mit Putin“ doch weniger überzeugend, als die Parteiführung hoffte).

Aber das Argument, dass noch nie eine Partei den Einzug so knapp verpasst hat, bleibt gewichtig. Und die Hinweise auf mögliche Auszählungsfehler sind nicht aus der Luft gegriffen. Das BSW verweist darauf, dass bei einzelnen, aus anderen Gründen neu ausgezählten Urnen plötzlich zusätzliche Stimmen für die Partei auftauchten: „Hochgerechnet auf die rund 95.000 Urnen ergeben sich daraus knapp 30.000 Stimmen“, heißt es auf der parteieigenen Website.

Ist es da verwunderlich, dass die Weigerung des Parlaments, die Stimmen erneut auszuzählen, Verbitterung ausgelöst hat – weit über das BSW-Milieu hinaus? Und zeigt die Art, wie das Anliegen erst vertrödelt und nun abgebügelt wurde, nicht ziemlich deutlich, dass die etablierten Parteien lieber den Zynismus der Wähler riskieren als ihre Macht?

Selbst einige Mainstream-Kommentatoren zeigen sich irritiert. Daniel Deckers schreibt in der F.A.Z., die Abgeordneten seien „Richter in eigener Sache“ und wiesen mit eben jener Regierungsmehrheit jene Einsprüche zurück, „die ihre Handlungsmacht gefährden könnte“.

„Solange die etablierten Parteien den Anti-Populismus zur Leitideologie erheben – inklusive Ausgrenzung und Parteiverbotsdebatten –, wird sich der Begriff ‚Kartellparteien‘ halten.“

Natürlich ist die Fünf-Prozent-Hürde nichts Neues. Auch das BSW ist nicht die erste Partei, die daran scheitert – und die FDP verfehlte sie mit 4,33 Prozent ebenfalls. Doch bleibt die Sperrklausel ein technokratisches Instrument aus der Gründungsphase der Republik, das stets dazu diente, Herausforderer kleinzuhalten (ursprünglich neonazistische Parteien, später neue Bewegungen). In den 1970ern kämpften linke Gruppen und die entstehende grüne Bewegung gegen die Hürde. Ihre systemische Wirkung wurde aber erst richtig sichtbar, als die Volksparteien schrumpften – und immer größere Wählergruppen im Parlament nicht mehr vorkamen. Besonders drastisch zeigte sich das 2013: Merkel gewann die Wahl, doch über 15 Prozent der Stimmen gingen an Parteien verloren, die an der Hürde scheiterten. Gleichzeitig beweist der Aufstieg der Grünen in den 1980ern und der AfD seit 2013, dass neue Parteien selbst hohe Barrieren überwinden können – wenn die Unzufriedenheit stark genug ist.

Der Begriff „Kartellparteien“ – von manchen Politologen übrigens schon in den 1990er Jahren verwendet – mag im Establishment als Beleidigung gelten. Aber welcher Ausdruck beschreibt besser, wie Parteien ihre Macht sichern, obwohl sie seit Jahren Stimmen verlieren? Hinter Brandmauer und Fünf-Prozent-Hürde versteckt sich etwa die SPD – mit zuletzt fast zehn Prozent Verlust, in Umfragen bei 14 Prozent liegend –, die dennoch entscheidend die Politik bestimmt: Energie, Migration, Rente.

Solange die etablierten Parteien den Anti-Populismus zur Leitideologie erheben – inklusive Ausgrenzung und Parteiverbotsdebatten –, wird sich der Begriff „Kartellparteien“ halten. Und das nicht zu Unrecht.

jetzt nicht

Weihnachten rückt näher. Und Novo braucht Geld. Bitte geben Sie reichlich, gerne auch regelmäßig!
Wir danken es Ihnen, indem wir weiter gegen alle Missstände dieser Welt und insbesondere dieses Landes anschreiben.