09.09.2024

Beben in der politischen Landschaft

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Sandro Halank via Wikicommons / CC BY-SA 4.0

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zeigen, dass immer mehr Bürger auf das Regierungsversagen mit der Wahl populistischer Parteien reagieren.

Ein politisches Erdbeben“. „Historisch“. „Eine massenhafte Absage an unseren demokratischen Staat“. Dies sind nur einige der Formulierungen, mit denen die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen beschrieben wurden. Dass die AfD zum ersten Mal eine Landtagswahl klar gewonnen hat, ist das eine. Nicht weniger spektakulär ist das gute Ergebnis des BSW.

Am Wahlabend fand Wolfgang Kubicki, dessen FDP faktisch in die Bedeutungslosigkeit abgestiegen ist, die richtigen Worte: „Die Ampel hat ihre Legitimation verloren […]. Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft ihr in dieser Art und Weise die Zustimmung verweigert, muss das Folgen haben. […] Die Menschen haben den Eindruck, diese Koalition schadet dem Land“ so der FDP-Vize.

Dabei war das alles keine wirkliche Überraschung. Schon Monate vorher hatten die politischen Kommentatoren die Wahlen mit großer Angst erwartet. Die Ergebnisse entsprechen ziemlich genau den Vorhersagen. Einzig die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung – weit über 70 Prozent in beiden Ländern – kam nicht ganz erwartet.

Wäre sie eine andere Partei, würde die AfD wohl jetzt in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen und in Sachsen in eine Regierungskoalition eintreten. So sieht es der demokratische Usus vor; und diese Wahlen waren – unabhängig davon, was nun behauptet wird – demokratisch. Doch kaum waren die Ergebnisse ermittelt, forderten Regierungsvertreter – allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz und andere Wahlverlierer –, die AfD von der Regierung auszuschließen. In beiden Bundesländern, so Scholz, müsse eine stabile Regierung ohne Rechtsextremisten gebildet werden. Und Bodo Ramelow forderte die CDU in Thüringen auf, mit den Sondierungsgesprächen zu beginnen – obwohl sie gute neun Prozent hinter der AfD liegt. 

 „Auch wer die AfD nicht mag, muss – wenn er prinzipientreuer Demokrat ist – ein Problem darin erkennen, eine Partei auszuschließen, die gerade eine demokratische Wahl gewonnen hat.“

Solche Taktierereien waren zu erwarten. Sie wirken aber zunehmend unhaltbar. Die Zugewinne der AfD sind kein einmaliger Ausrutscher, sondern eine Fortsetzung ihrer Erfolgsserie. Bereits bei den letzten Landtagswahlen 2019 wurde die Partei in beiden Bundesländern zweitstärkste Kraft. Auch auf Bundesebene belegte die AfD bei den EU-Wahlen im Juni dieses Jahres den zweiten Platz.

Die Behauptung, die AfD in Thüringen sei keine demokratische Partei, stützt sich auf die Einschätzungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Aber auch das scheint bei vielen Wählern keinen Eindruck mehr zu machen. Sie wird nicht als unabhängige staatliche Institution wahrgenommen – nicht zuletzt schon deswegen, weil Thomas Haldenwang, der Chef der Behörde, CDU-Mitglied ist.

Der Versuch, die AfD zu bekämpfen, indem man sie einfach als unwählbar abtut, funktioniert offensichtlich nicht. Auch wer die AfD nicht mag, muss – wenn er prinzipientreuer Demokrat ist – ein Problem darin erkennen, eine Partei auszuschließen, die gerade eine demokratische Wahl gewonnen hat.

Wie problematisch die Bildung einer Koalition ohne die AfD für die CDU wird, zeigt sich ohnehin gerade. In Thüringen müsste sich die CDU mit dem BSW und der Linken zusammentun, um eine Regierung zu bilden. Keine der etablierten Parteien scheint mehr in der Lage zu sein, klare Mehrheiten zu schaffen. Die Folge ist, dass die CDU Bündnisse mit Parteien eingeht, die eine Politik vertreten, die sie eigentlich ablehnt – so z.B. in der Asylfrage, der Energie- oder auch der Bildungspolitik. Das Gefühl vieler Wähler, die Parteien der Mitte seien alle gleich, wird so bestätigt.

„Regierungsversagen ist eine viel ehrlichere Erklärung dafür, warum die AfD trotz all ihrer Probleme und unappetitlichen Charaktere Wahlen gewinnt.“

Es gibt viele Gründe, die AfD nicht zu mögen. Björn Höcke ist zweifellos einer der unsympathischsten Politiker Deutschlands. Er liebt es, mit Anspielungen auf die Nazi-Zeit Kontroversen auszulösen. Vor kurzem wurde er zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt, weil er mit dem auch von Nazis verwendeten Slogan „Alles für Deutschland“ provoziert hatte. In einem seiner ersten großen Fernsehauftritte im Jahr 2015 bestand er darauf, die Deutschlandfahne über seinen Stuhl zu drapieren – ein lahmer Stunt, den er mit Patriotismus verwechselte. Obwohl er selbstbewusst aufzutreten versucht, wirkt er unsicher und verliert regelmäßig die Beherrschung, wenn Journalisten ihm Fragen stellen, die ihm nicht passen. Es überrascht nicht, wenn laut Umfragen nur 21 Prozent der Thüringer glauben, er sei ein guter Politiker. Interessanterweise konnte er seinen eigenen Wahlkreis nicht gewinnen. (Im Landtag wird er wegen seines Listenplatzes dennoch vertreten sein).

Je mehr Erfolg die AfD hat, desto mehr wird das Establishment betonen, Thüringen und Sachsen seien von rechten Wählern durchdrungen, die von Leuten wie Höcke hinters Licht geführt würden. Nur so können sei den Ausschluss der AfD von der Regierung rechtfertigen, oder, mit ihren Worten, die „Brandmauer“ aufrechterhalten.

Es ist viel darüber geredet worden, dass Thüringen der Ort war, and dem die NSDAP schon in der Weimarer Zeit ihre ersten Erfolge erzielte. Aber solche Vergleiche sind völlig ahistorisch. Genauso gut könnte man behaupten, Thüringen sei links, weil es im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Hochburg der Sozialdemokraten war. Immerhin wurde in Thüringens Landeshauptstadt 1891 das berühmte Erfurter Programm der SPD verabschiedet.

Regierungsversagen ist eine viel ehrlichere Erklärung dafür, warum die AfD trotz all ihrer Probleme und unappetitlichen Charaktere Wahlen gewinnt. Die Umfragen zeigen glasklar, welche Themen den Wählern am wichtigsten sind: Steigende Kriminalitätsraten, ungeregelte Migration, ein sinkender Lebensstandard und der wachsende Einfluss des radikalen Islam. Dies sind alles reale, rationale Sorgen. Die Zunahme von Straftaten von gefährlicher Körperverletzung bis zu tödlichen Messerangriffen sollte jeden beunruhigen. Die Bedrohung durch den Islamismus ist nach wie vor ungebrochen, wie die Serie von Terroranschlägen in den letzten Monaten – und zuletzt auch der vermutlich vereitelte Anschlag in München – zeigt.

„Viele Menschen glauben nicht mehr daran, dass die etablierten Parteien die vielen Probleme des Landes in den Griff bekommen werden. Warum sollten sie auch?“

Die Hinwendung zum Populismus macht deutlich: Viele Menschen glauben nicht mehr daran, dass die etablierten Parteien die vielen Probleme des Landes in den Griff bekommen werden. Warum sollten sie auch? Nach dem Anschlag in Solingen sagte SPD-Chefin Saskia Esken, aus dem Vorfall nichts lernen zu können. Zwar hat sie die Aussage zwischenzeitlich bedauert – aber wirklich überzeugend ist das nicht. Und im Juli prophezeite der Kanzler einen „Wachstumsturbo“ für die deutsche Wirtschaft, angetrieben vom Umstieg auf erneuerbare Energien. In Wirklichkeit ist die Wirtschaft weiter eingebrochen. Nur wenige Tage nach Scholz' Rede wurde bekannt, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal 2024 um 0,1 Prozent geschrumpft ist.

Die Wähler wenden sich der AfD zu, weil sie seit einiger Zeit die einzige Partei ist, die bereit ist, sich ihrer Sorgen anzunehmen. Aber das könnte sich jetzt ändern. Das linkspopulistische BSW spricht viele der gleichen Themen an wie die AfD. Das BSW hat versprochen, gegen unkontrollierte Einwanderung zu kämpfen. Es wendet sich gegen die extreme Transgender-Ideologie und die Ideologie des Multikulturalismus. Ihr Wirtschaftsprogramm setzt stark auf Umverteilung, im Gegensatz zur eher wirtschaftskonservativen AfD.

Zum Leidwesen des Establishments ist es viel schwieriger, das BSW als rechtsextrem abzutun. Und das nicht nur, weil Wagenknecht früher der Linkspartei angehörte. Im BSW gibt es eine größere Anzahl von Politikern mit Migrationshintergrund als in anderen Parteien. So z.B. Amira Mohamed Ali, die Parteivize, die Tochter eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter ist. Einer der Spitzenkandidaten der Partei bei den letzten Europawahlen war der Ökonom Fabio De Masi, Sohn eines italienischen Gewerkschafters. Das BSW hat sich sorgfältig von den Rechtspopulisten distanziert und eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Sie prüft genau, wer der Partei beitreten will. Trampel wie Höcke würden sicher nicht geduldet werden.

Der Aufstieg des BSW zeigt, wie schnell sich die populistische Szene verändert und wächst. Die Hoffnung der Mainstream-Kommentatoren war es, dass das BSW die AfD schwächen würde. Dies hat sich offensichtlich als Illusion erwiesen. Der Populismus hat in Deutschland über diese „historischen“ Wahlen hinaus noch viel Spielraum.

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