29.10.2012

Wissenschaftler regulierungstrunken

Kurzkommentar von Christoph Lövenich

Eine Studie kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass Alkoholiker früher sterben als der Durchschnitt. Als Konsequenz fordern die federführenden Wissenschaftler weitreichende Alkoholverbote. Christoph Lövenich über unseriöse Meinungsmache unter dem Deckmäntelchen der Forschung

Wie über eine Agenturmeldung vor Kurzem groß in den Massenmedien verbreitet, sterben sogenannte Alkoholabhängige 20 Jahre früher als die Durchschnittsdeutschen. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls eine Studie unter Federführung des Greifswalder Epidemiologen Ulrich John, die dazu Daten von gut 150 Lübeckern ausgewertet hatten. Die Forschergruppe koppelte die Publikation der Studienergebnisse mit Forderungen nach Verbotsmaßnahmen. Man denke da an „eine Preiserhöhung, ein Verkaufsverbot an Tankstellen sowie ein striktes Alkoholverbot am Steuer“.

Aus der Untersuchung selbst ergeben sich freilich keinerlei solche Forderungen. Überhaupt ergibt sich wenig Neues, schließlich kann eine niedrigere Lebenserwartung bei extremem Konsum nicht sonderlich überraschen. Wie niedrig diese tatsächlich anzusiedeln ist, bleibt ohnehin offen, da sich der Messzeitraum über nur 14 Jahre erstreckt und die überlebenden Starktrinker ein im Mittel höheres Alter erreichen könnten. Zudem räumen die Autoren selbst ein, dass die Beschränkung auf eine Region und die niedrige Zahl der ermittelten Todesfälle (28) eine Generalisierbarkeit der Resultate einschränken. Übrigens liegen keinerlei Daten zu den Todesursachen vor, so dass auch nüchterne Verkehrstote oder Opfer von Gewaltverbrechen als Alkoholismustote durchgehen können.

Im Fachzeitschrifts-Artikel finden sich ferner einige, in Epidemiologenkreisen offenbar unvermeidliche, Hinweise auf mögliche Einwirkungen des Tabakkonsums, ein Zusammenhang mit kürzerer Lebenserwartung bei den Betroffenen kann aber anhand der harten Zahlen nicht hergestellt werden. Bei den „Pack Years“, einer Maßeinheit für bisherigen Zigarettenkonsum vergaloppieren sich die Wissenschaftler mehrfach: Erstens rechnen sie im Ergebnis den höchsten Tageskonsum auf das ganz (Raucher-)Leben hoch, was zu Verzerrungen führt, und zweitens geben sie im Text auch noch eine offenkundig falsche Formel zur Berechnung an.

Als interessanten Fund können wir allenfalls verbuchen, dass sich die stationäre Therapie (von reiner Entgiftung abgesehen) nicht lebensverlängert auswirkt. Zwar erlaubt die Studie selbst keine große Verallgemeinerung, kritische Stimmen wie der amerikanische Abhängigkeitsexperte Stanton Peele weisen aber schon lange darauf hin, dass erfolgreiche Entwöhnungen meist abseits der offiziellen Therapien erfolgen, was die Heilsversprechungen der mächtigen Therapieindustrie Lügen straft.

Was hat nun all dies mit den Verbotsforderungen zu tun, die der Greifswalder Epidemiologe Ulrich John durch die Medien jagt? Im Grunde sehr wenig, denn es bezieht sich nur auf die kleine Minderheit der als alkoholabhängig Eingestuften, während die gesetzlichen Einschränkungen alle Konsumenten alkoholhaltiger Getränke treffen würden. Die Probleme von zwei Prozent der Bevölkerung sollen also dafür herhalten, dass den normalen Genießern, also der breiten Mehrheit der Menschen, ihr bisheriger Konsument erschwert wird und sie dafür tiefer ins Portemonnaie greifen müssen. Bei John handelt es sich offenbar um einen prohibitionstisch eingestellten Rufer, der sich an einer von ihm so wahrgenommenen „extreme[n] Alkoholfreundlichkeit“ in Deutschland stört und die Gelegenheit der Studie ausnutzt, um in dieser Hinsicht Stimmung zu erzeugen. Der eben erwähnte Peele stellt mit Verweis auf die Forschung jedoch fest, dass gerade in „alkoholfreundlicheren“ Ländern, etwa im südlichen Europa, die kulturellen Akzeptanzmuster von Kindheit an zu einem kompetenteren und weniger gesundheitsgefährdenden Umgang mit alkoholischen Getränken führen. Preiserhöhungen führen denn auch nicht zu weniger Alkoholismus, vielmehr hatten Preissenkungen in skandinavischen Ländern weniger Probleme zur Folge. Die Dämonisierung des Alkohols, so sein Fazit, schadet mehr als sie (vermeintlichen) Nutzen bringt.

Umgekehrt werden die positiven Wirkungen des Konsums unter den Tisch gekehrt und sollen in der Wahrnehmung möglichst überschattet werden vom Randphänomen des Alkoholismus, um dadurch der Alkoholbekämpfung Auftrieb zu verleihen. Immerhin wird an der Nennung des Beispiels eines totalen Alkoholverbots für Kraftfahrzeugführer deutlich, dass Sinn der Maßnahme nicht die Verkehrssicherheit sein soll, sondern das Vergällen des Trinkens. Gleiches gilt für das (in Baden-Württemberg bereits nächtlich bestehende) Verkaufsverbot an Tankstellen, das gerade nicht auf Reisende abstellt, sondern Menschen aus der Umgebung den spontanen Kauf verleiden will. Die Tendenz zur schleichenden Trockenlegung besteht aus vielen Mosaiksteinen.

Teil des gängigen sanitaristischen Auftretens sind wie im vorliegenden Fall Wissenschaftler, die sich als weltliche Moralprediger aufspielen und unter dem Deckmäntelchen der Forschung unseriöse Meinungsmache betreiben. Einen weiteren Teil bilden die Massenmedien, die solche Meldungen allzu oft ungeprüft und unkritisch (re-)produzieren, ohne sich selbst näher mit den genannten Studien oder gar den Hintergründen zu beschäftigen. Von einem Hinterfragen der sich als Mainstream herausbildenden Auffassungen ganz zu schweigen.

Wer Gesundheit und Langlebigkeit anstrebt, sollte übrigens den Griff zur Flasche nicht scheuen, denn Totalabstinenzler sterben jünger.

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