11.03.2015
Affen retten Menschenleben
Kommentar von Kirk Leech
Tierversuche gelten zunehmend als moralisch verwerflich. Gerade in Deutschland hat es die Tierrechtslobby geschafft, die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen. Medizinischer Fortschritt ist jedoch auf Tierversuche angewiesen
Im April dieses Jahres schaltete die Gruppe „Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland“ ganzseitige Anzeigen gegen Tierversuche in mehreren großen Zeitungen und Magazinen, u.a. Zeit, FAZ, Tagesspiegel und Spiegel. Darin wurde Prof. Andreas Kreiter von der Uni Bremen, der an Makaken Mittel gegen Epilepsie sowie verbesserte Steuersysteme für Prothesen erforscht, vorgeworfen, er wende in seinen „barbarischen Experimenten“ „mittelalterliche Foltermethoden“ an und manipuliere am Ende die Ergebnisse.
In den Anzeigen ist ein Foto von Kreiter neben dem eines Primaten zu sehen. Der Primat hat eine Nummer auf die Brust tätowiert und sein Kopf ist fixiert, um zu verhindern, dass er ihn während der Experimente bewegt. Diese Darstellung war ein bewusster Versuch, Kreiters Arbeit in die Nähe des Nationalsozialismus und des Holocaust zu rücken. Der Text der Anzeige beginnt mit einem Zitat des Neurologen und Tierschützers Herbert Stiller: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“
Schon seit Kreiters Dienstantritt in Bremen 1997 protestieren Aktivisten gegen seine Arbeit. Tierversuchsgegner stellten in der Bremer Innenstadt ein Plakat auf, das ihn als „Affenfolterer“ anprangerte und seine Arbeits- und Privatadressen sowie seine Telefonnummer zeigte. Es forderte dazu auf, ihn anzurufen oder ihm „einen Besuch abzustatten“. Die Kampagne gegen Kreiter beinhaltete Morddrohungen gegen ihn und seine Familie, tätliche Angriffe und die Zerstörung eines Labors. Schließlich erhielt er Polizeischutz.
Kreiter wurde mit den Aktivisten zwar fertig, er musste sich jedoch ebenfalls mit lokalen Behörden herumschlagen, die Tierversuche an Primaten beschränken wollten. Die Stadt Bremen verlängerte im Jahr 2008 seine Lizenz für die Arbeit mit den Makaken nicht. Erst 2014 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, dass das faktische Verbot von Kreiters Forschung illegal war.
„Durch die zögerliche Haltung der Befürworter von Tierversuchen können Tierrechtsgruppen die mediale Berichterstattung dominieren und falsche Vorstellungen verbreiten“
Glücklicherweise führten die Anzeigen der „Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland“ zu einer Antwort der deutschen Wissenschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (zu der u.a. die Max-Planck-Gesellschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und die Nationale Akademie der Wissenschaften gehören) gab eine Erklärung ab, in der sie die Anzeigen verurteilte und darlegte, warum Tierversuche notwendig sind. Eine solche öffentliche Unterstützung für Tierversuche ist zwar begrüßenswert, jedoch haben sich – von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen – die meisten deutschen Forschungseinrichtungen entschlossen, sich in der Sache bedeckt zu halten. Sowohl kommerzielle wie gemeinnützige Einrichtungen äußern sich meist nicht dazu, ob sie Tierversuche durchführen oder nicht.
Durch diese zögerliche Haltung der Befürworter von Tierversuchen können Tierrechtsgruppen die mediale Berichterstattung dominieren und falsche Vorstellungen verbreiten. Forschungseinrichtungen geraten dadurch in die Defensive und schotten sich ab, sodass sie den Medien, der Politik und der Öffentlichkeit verdächtig erscheinen und mitunter regelrechte Feindschaft auf sich ziehen.
Das Schweigen der Forscher hat es den Tierrechtsgruppen viel zu lange erlaubt, den öffentlichen Diskurs über Tierversuche zu bestimmen. Ihr kombinierter Ansatz aus emotionalen Botschaften und pseudo-wissenschaftlichen Behauptungen war leider sehr erfolgreich – siehe die Kreiter-Kampagne. Sie tragen ihre Argumente verstärkt in die Öffentlichkeit und zeigen dabei sowohl Gespür für Publicity als auch die Entschlossenheit, gehört zu werden. Beides fehlt weiten Teilen der Forschungsgemeinschaft leider völlig.
Als Grund für ihre Passivität geben die Forschungseinrichtungen an, eine offensive Werbung für ihre Standpunkte würde sie und ihre Angestellten zu Zielscheiben der Tierrechtsaktivisten machen. Auf den ersten Blick erscheint es vernünftig, wenn eine Institution keine Aufmerksamkeit erregen und die Sicherheit der Angestellten nicht aufs Spiel setzen will. Unglücklicherweise übersieht dieser Ansatz jedoch, dass sich der Tierrechtsaktivismus in Deutschland wie in der gesamten EU verändert hat.
Ein aktueller Bericht hat aufgedeckt, dass der europäische Tierrechtsaktivismus immer seltener zu kriminellen Methoden greift und verstärkt auf Protestaktionen, Lobbyarbeit und Kampagnen setzt, die das Ansehen von Forschern und Institutionen beschädigen sollen. Diese Kampagnen bedienen sich häufig sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter. Europäische Tierrechtsgruppen nehmen vermehrt Abstand von Kriminalität. In Deutschland wurde 2013 keine einzige Straftat gegen kommerzielle Organisationen, die Tierversuche durchführen, gemeldet.
Zudem bedeutet die defensive Informationspolitik nicht, dass Tierrechtsaktivisten nicht herausfinden können, wo Tierversuche stattfinden. Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Datenbanken und die Internetauftritte der Institutionen selbst geben die gewünschten Informationen preis. Tatsächlich wird über die meisten großen deutschen Forschungseinrichtungen mit Tierversuchen auf Tierrechts-Websites diskutiert.
„Das Zögern deutscher Wissenschaftler, Tierversuche öffentlich zu verteidigen, hat die ohnehin schwierige Lage noch verschlimmert“
Einrichtungen werden selbst dann Ziel der Aktivisten, wenn sie sich um Diskretion bemühen. Aus einer langen Liste bekannter Tierversuchszentren können sie einfach ein Ziel auswählen. Das Zögern deutscher Wissenschaftler, Tierversuche öffentlich zu verteidigen, hat die ohnehin schwierige Lage noch verschlimmert. Als Beleg können die fortwährenden Kampagnen zur Beendigung des Transports von Labortieren, insbesondere nichtmenschlicher Primaten angeführt werden. Die meisten dieser Kampagnen finden in Deutschland statt. Sie wollen Fluggesellschaften dazu bringen, keine Tiere mehr zu transportieren, die für biomedizinische Forschungseinrichtungen bestimmt sind. Ein solcher Transportstopp hätte womöglich zur Folge, dass grundlegende Forschung zu neuen Behandlungsmethoden Jahrzehnte zurückgeworfen wird.
Momentan wird an Primaten hauptsächlich im Bereich der Infektionskrankheiten geforscht, um beispielsweise Impfstoffe oder Heilmittel für HIV/Aids oder Malaria zu entwickeln. Weitere Forschungsbereiche sind die Neurowissenschaften mit dem Ziel, das Gehirn besser zu verstehen und diverse Leiden wie Alzheimer oder Schizophrenie behandeln zu können, sowie die Reproduktionsmedizin und die Embryonenforschung. Primaten werden außerdem eingesetzt, um neue Medikamente und Impfstoffe auf deren Sicherheit zu überprüfen.
Mittlerweile ist mit Air France nur noch eine einzige kommerzielle Fluggesellschaft bereit, Primaten zu transportieren. In vielen deutschen Städten und an vielen Flughäfen finden täglich Proteste vor Air France-Büros statt. Wissenschaftler und Vereinigungen von Patienten, die aufgrund ihrer spezifischen Krankheiten auf Versuche an Primaten angewiesen sind, äußern sich zu diesen Protesten so gut wie nie. Das Fehlen eines positiven Narrativs, warum biomedizinische Forschung an Primaten und anderen Tieren notwendig ist, verleiht den Argumenten der Aktivisten zusätzliche Glaubwürdigkeit.
„Die Versuche an Primaten haben entscheidend zur Entwicklung von Behandlungsmethoden vom Parkinson-Syndrom beigetragen, die das Leben der Betroffenen deutlich verbessern können“
Stellen wir uns doch einmal vor, dass die Proteste und Kampagnen gegen den Transport von Versuchstieren vor 30 Jahren stattgefunden und ihr Ziel vollständig erreicht hätten. Welche wissenschaftlichen Entdeckungen und Erkenntnisse, die in den letzten 30 Jahren aus der Forschung an Primaten gewonnen wurden, hätten wird dann heute nicht?
Nehmen wir das Parkinson-Syndrom. Morbus Parkinson ist eine degenerative Störung des zentralen Nervensystems. Die Versuche an Primaten haben entscheidend zur Entwicklung von Behandlungsmethoden beigetragen, die das Leben der Betroffenen deutlich verbessern können. Dopaminerge Therapien, Tiefe Hirnstimulation zur Verminderung des charakteristischen Zitterns und die sogenannte Einschränkungsinduzierte Bewegungstherapie [1] sind allesamt Ergebnisse von Versuchen an Primaten.
Wenn alle Fluglinien in den 1980er Jahren die Entscheidung gefällt hätten, die die Tierrechtsaktivisten Air France nun aufzwingen wollen, wäre unser Verständnis von Infektionen und Krankheiten, die mit physiologischen Prozessen wie Altern, Fortpflanzung, dem Hormonsystem, dem Stoffwechsel und dem Nervensystem zusammenhängen, um Jahrzehnte zurückgeworfen worden.
Sollten die Tierrechtler mit ihrer Kampagne Erfolg haben, werden sie sich kaum zurückziehen und die Füße hochlegen. Von ihrem Triumph ermutigt werden sie vielmehr versuchen, den Transport sämtlicher in Tierversuchen verwendeten Arten zu verhindern. Die weltweite biomedizinische Forschung ist auf den Transport von Versuchstieren auf dem Luftweg angewiesen. Wir können es nicht zulassen, dass Forschung, die Leben verbessern und Leben retten kann, von Tierrechtsaktivisten blockiert wird.