04.11.2016

Über die deutsche Verbotsneigung

Interview mit Ulrike Ackermann

Titelbild

Foto: Ronile via Pixabay (CC0)

Die Leiterin des John Stuart Mill-Instituts, Ulrike Ackermann, präsentiert die Ergebnisse des diesjährigen Freiheitsindexes und analysiert den Wunsch nach Verboten in der Gesellschaft.

Novo: Ende September wurde der aktuelle Freiheitsindex vorgestellt. Seit 2011 untersuchen Sie mit dieser Studie, wie es die Deutschen mit der Freiheit halten. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse in diesem Jahr?

Ulrike Ackermann: Erfreulicherweise ist der Index in diesem Jahr leicht im Plus. In der repräsentativen Bevölkerungsumfrage konnten wir einen deutlichen Anstieg des subjektiven Freiheitsgefühls der Menschen feststellen. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren hat sich – als unmittelbarer Effekt der Attentate in Paris – auch die Medieninhaltsanalyse im freiheitlichen Sinne entwickelt. Das ist für uns auch deshalb interessant, weil der diesjährige Freiheitsindex das Schwerpunktthema „Westliche Lebensstile unter Druck“ behandelt, in Fortsetzung des letztjährigen Themas „Westliche Werte unter Druck“, übrigens. Eine wichtige Erkenntnis dieser Untersuchung ist erst einmal, dass 64 Prozent der Befragten ausdrücklich von einem besonderen westlichen Lebensstil ausgehen. Auf die Frage, wodurch sich dieser auszeichnet, wird an erster Stelle die Gleichberechtigung der Geschlechter genannt, gefolgt von der Meinungs-, Presse und Redefreiheit und den Freiheitsrechten im Allgemeinen, und dann – sehr wichtig! – die Freiheit der individuellen Lebensgestaltung. Die Bevölkerung setzt sich also sehr wohl damit auseinander, was hierzulande los ist.

Wie halten es die Deutschen mit Verboten?

Die Frage nach Verboten behandeln wir seit unserem ersten Freiheitsindex 2011. Wir können hier also von langfristigen Trends sprechen. 2011 war der Ruf nach Verboten mit 44,1 Prozent wesentlich stärker als heute, er sank dann, schwankte etwas und lag 2014 bei 37,5 Prozent, 2015 bei 37,4 Prozent. In diesem Jahr ist er wieder leicht gestiegen und liegt bei 38,9 Prozent. Am lautesten ist der Ruf nach Verboten bei harten Drogen wie Heroin oder Kokain, aber auch das Klonen von Menschen oder rechtsradikale Parteien will eine große Mehrheit der Menschen verbieten. Immerhin 56 Prozent sprechen sich für ein Verbot „ungesunder Lebensmittel“ aus. 52 Prozent möchten gewalttätige Filme sowie Video- und Computerspiele verbieten, danach folgen weiche Drogen wie Haschisch und Marihuana. Jeder vierte Befragte möchte das Glücksspiel verbieten, 17 Prozent der Bevölkerung wünschen ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und 16 Prozent würden gerne hochprozentigen Alkohol verbieten.

Abb. 1: Durchschnittlicher Anteil derjenigen, die bei 16 Listenpunkten ein Verbot fordern, in Prozent. (Basis: Bevölkerung ab 16 Jahre. Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen)

Wie hat sich die Verbotsneigung der Bevölkerung in den letzten Jahren verändert?

Die Verbotsneigung schwankt. Mal ist sie stärker, dann schwächer, aktuell ist sie wieder ein bisschen stärker geworden: Eine klare Tendenz kann man aus den Zahlen nicht ableiten. Wir haben bei unserer Umfrage aber auch die Frage nach dem Zeitgeist gestellt: „Was ist in?“, „Was ist out?“ – ein übliches Vorgehen in der Meinungsforschung, um Trends zu erkennen. Hier ist ein klarer Trend zu „grün und gesund“ erkennbar. Gesunde Ernährung, Bioprodukte, Fitness etc. sind eindeutig „in“, obwohl interessanterweise der reale Anteil von Biolebensmitteln am Umsatz der Lebensmittelwirtschaft nur vier Prozent beträgt. Mit diesem Trend beschäftigen wir uns übrigens auch in einem aktuellen Forschungsprojekt unter dem Titel „Genuss – Askese – Moral. Über die Paternalisierung des guten Lebens“. Ein gleichlautender Sammelband mit zahlreichen renommierten Autoren und Autorinnen ist vor kurzem erschienen.

Abb. 2: „Einmal unabhängig davon, ob das tatsächlich verboten ist oder nicht: Was meinen Sie, was sollte der Staat in jedem Fall verbieten, wo muss der Staat die Menschen vor sich selber schützen? Was von dieser Liste würden Sie nennen?“ (Basis: Bevölkerung ab 16 Jahre. Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen)

Sehen Sie generell einen Wunsch zu mehr Verboten und Regeln in der Gesellschaft?

Wir beobachten mit unserem Freiheitsindex schon länger, dass das Bild vom fürsorglichen Staat bei der Bevölkerung sehr beliebt ist. In Deutschland sind die Abwehrneigungen gegen paternalistische Übergriffe des Staates nicht besonders ausgeprägt. Stattdessen ist die Vorstellung eines Staates, der sich sozusagen als Vater für- und versorgend um seine Bürger kümmert, in der Bevölkerung weit verbreitet.

Was können freiheitsliebende Bürger gegen diese Haltung tun?

Naja, an erster Stelle, kann man Verantwortung für sich selbst übernehmen, indem man sich beispielsweise selbst um seine Gesundheit, seine Ernährung und so weiter kümmert und nicht den Staat als fürsorglichen Vater in Anspruch nimmt. Das ist Freiheit in Verantwortung: für sein Leben selbst Sorge tragen. Damit einher geht eine größere Wahlfreiheit für den Einzelnen, aber auch das individuelle Urteilsvermögen kann wachsen. Wenn man dagegen immer versorgt und wie ein kleines Kind behandelt wird, dann bleibt man eben auch unerwachsen und kann sein Leben nicht selbst in die Hand nehmen.

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