31.10.2019

Abnehmen nach der Uhr

Von Uwe Knop

In den letzten Jahren wird oft das sogenannte Intervallfasten angepriesen. Wissenschaftlich gesehen ist es weder besonders gesund noch macht es schlanker als andere Ernährung.

Diäten gibt es wie Sand am Meer. Schätzungen gehen von mehr als 500 verschiedenen Abspeckvarianten aus. Ganz neu im Fettwegkarussell: Die Candida-, Haferflocken-, TLC-, KFZ-, PFC-, Thermogenese-, GOLO- und Max-Planck-Diät. Kennen Sie nicht? Egal, die Halbwertzeit dieses frei erfundenen Kilokillerquatsches ist so kurz wie die eines Regenbogens an einem gewittrig-heißen Hochsommertag.

Zwei Diätformen aber sind inzwischen bekannt wie ein bunter Hund – daher stehen sie auch aktuell unangefochten auf der „Abspeckbeliebtheitsskala“ ganz oben: Zum einen Low-Carb, eine sehr alte und seit Jahrzehnten propagierte „Eliminationskost“, bei der der primäre Energielieferant des Menschen mehr oder weniger stark weggelassen wird: Kohlenhydrate wie Brot, Pasta, Zucker und Weizenmehl, die inzwischen das Brandmal des „schä(n)dlichen ungesunden Dickmachers“ tragen, müssen vom Teller weichen. Die zweite des Diätduetts heißt: Intervallfasten – hier hingegen lässt man keine speziellen Lebensmittel weg, sondern man lässt nur wesentlich größere Pausen zwischen den Mahlzeiten, man isst also dann ausschließlich in diesen „Ess-Intervallen“. Nichtsdestotrotz haben beide Diäthypes aller guten Dinge, nämlich derer drei, gemeinsam:

1. Weder für Low-Carb (LC) noch für Intervallfasten (IF) liegen offizielle, standardisierte Definitionen vor.

2. Beide Kostformen „glänzen“ durch Abwesenheit wissenschaftlicher Belege, dass Menschen mit diesen Ernährungsformen besser abnehmen als mit irgendeiner anderen banalen hypokalorischen Diät (die allesamt nach dem gleichen Universalwirkprinzip kurzfristig zu Erfolg führen: In der Zwangshungerzeit sorgt die negative Energiebilanz – weniger Energie aufnehmen als verbrauchen – für ein Abschmelzen von Fett, Wasser und Muskeln).

3. Auch für die Form der abspeck-unabhängigen Dauerernährung, die von zahlreichen Menschen praktiziert wird, existieren keinerlei Langzeitstudien und Evidenzen, dass LC oder IF die Gesundheit fördert, vor Krankheiten schützt oder das Leben verlängert, geschweige denn „gezielt als beste Ernährungstherapie“ eingesetzt werden kann.

Diäten heißen wie Spielergebnisse

Da IF derzeit noch dominanter im Sinne von „medial präsenter und Promi-promotet“ in Erscheinung tritt und jüngst wieder eine Studie den Hype befeuerte (sieh eunten), fühlen wir der „Hirschhausen-Diät“ (die es zum „Abnehmen mit Intervallfasten […] jetzt auch als App“ gibt), wie IF gerne auch genannt wird, doch mal auf den hohlen Zahn. Genauso wenig wie bei LC eine eindeutige offizielle Definition existiert, genauso können alle Anbieter diverser, allesamt frei erfundener IF-Konzepte ihre ganz persönliche „Eigenkreation“ als „Best-of-IF“ positionieren. So findet man die Tages-IF-Kreationen wie 5:2 oder 6:1, was bedeutet, dass man immer die erstgenannte Zahl an Tagen essen darf, wann, was und wieviel man will und die zweite Zahl an Tagen „fastet“ (mehr oder weniger streng). Die 6:1-Variante hat es „sogar“ in die Top-5 der „Promi-Diäten, die man 2017 meiden sollte“ geschafft, die jährlich von der British Dietetic Association „gekürt“ werden – 5:2 hätten sie gleich mit dazu nehmen können …

„Letztlich entscheidet nur ein Faktor über unser Gewicht: die Energiebilanz.“

Die 6:1-Diät ist dabei in etwa die softere Version der 5:2-Diät, die beide natürlich – welch´ Überraschung – gleichermaßen Abnehmerfolge und Gesundheit versprechen. Die Grundidee ist dabei stets dieselbe: Durch den Nahrungsverzicht soll der IF-er an den „Fastentagen“ einen ordentlichen Anteil der Wochenkalorien einsparen und dadurch schön abnehmen. Das aber ist eine Milchmädchenrechnung: Denn am Ende des Tages – oder besser der Woche ­– entscheidet nur ein Faktor über unser Gewicht: die Energiebilanz. Der Körper nimmt ab, wenn man ihm weniger Kalorien zuführt, als er verbraucht (negative Energiebilanz). Und genau da liegt der „Haken-Hase im Pfeffer“. Wer an den anderen Tagen mehr isst als an den Fastentagen eingespart wird, der wird sicher nicht schlank. Vielleicht nimmt man sogar zu. Und entwickelt „ontop“ noch eine kleine, aber feine Essstörung aufgrund der permanenten Entkopplung des Essens vom natürlichen Hungergefühl an den „Fastentagen“.

Wem ein oder zwei Tage Fasten zu „Hardcore“ sind, für den haben die Diätgurus natürlich auch eine adäquate IF-Lösung parat: Einfach längere Essenspausen in den Tagesablauf einbauen. Bei der 8:16 oder 10:14-Methode stehen die Zahlen nicht für Tage, sondern für Stunden. So wird in der Regel einfach auf eine Mahlzeit am Tag verzichtet, damit man 16 respektive 14 Stunden am Stück nichts essen muss. In den restlichen acht oder zehn Stunden darf man essen. Naja, ist auch noch lange genug Zeit zu essen. Nicht so beim allerneusten Extrem-IF-Trend aus den USA: Die OMAD-Diät (One Meal A Day) gilt als die Hardcore-Variante des intermittierenden Fastens – hier dominiert das 23:1-Stunden-Prinzip. Da muss man zwangsläufig verhungern …

Weiche Worte statt harter Fakten

Spaß beiseite: Auch beim IF fehlen – natürlich, wie gewohnt – Langzeitdaten und Evidenzen, dass diese Form des „Spezialessens“ besser abnehmen lässt, gesünder ist oder gar zu weniger „harten Endpunkten“ (dem wissenschaftlichen Parameter schlechthin) wie weniger Herzinfarkte, Schlaganfälle oder verminderte Sterblichkeit führt. Und genauso wie es einige Studien mit positiven Resultaten hinsichtlich verbesserter Surrogatparameterchen (Ersatzangaben statt harter Endpunkte, z.B. diverse Blutwerte) gibt, so liegen auch kritische Paper und Statements vor:

„Es gibt so viele gesunde Ernährungen, wie es Menschen gibt.“

Dieses Datendefizits nahmen sich Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Universitätsklinikums Heidelberg an und führten ihre HELENA-Studie durch, die bislang größte Untersuchung (RCT, randomisiert kontrollierte Studie) zum Intervallfasten–- mit folgenden Ergebnissen, die im November 2018 in einer Pressemeldung kommuniziert wurden: Intervallfasten zeigt keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen Reduktionsdiäten. „‚Bei den Probanden beider Gruppen verringerte sich mit dem Körpergewicht das viszerale Fett, also das ungesunde Bauchfett, ebenso die Fettablagerungen in der Leber.‘ […] Auch bei sämtlichen anderen analysierten Stoffwechselwerten sowie bei allen untersuchten Biomarkern und Genaktivitäten machten die Wissenschaftler keinen Unterschied zwischen beiden Diätformen aus. Zwar untermauert die HELENA-Studie die euphorischen Erwartungen an das Intervallfasten nicht. Doch sie zeigt auch, dass diese Methode nicht schlechter ist als eine herkömmliche Diät.“ Prof. Tilman Kühn, leitender Wissenschaftler der Studie, „interpretiert die Studienergebnisse so, dass es nicht vorrangig auf die Diätform ankomme, sondern vielmehr darauf, sich für eine Methode zu entscheiden und diese dann durchzuziehen. ‚Darauf deutet auch eine aktuelle Studie hin, die Low-Carb- und Low-Fat-Diäten miteinander vergleicht, also ein Reduzieren der Kohlenhydrate versus einer Fettreduktion bei ansonsten ausgewogener Ernährung‘, so Kühn. Auch hier hatten die Probanden mit beiden Methoden vergleichbare Effekte erzielt.“ (Dieser Vergleich bezieht sich auf eine große aktuelle Low-Carb-Vergleichsstudie namens DIETFITS).

Chacun à son goût

Letztlich muss man auch hier wieder ernährungsliberal-pragmatisch argumentieren, angelehnt an die wesentliche Botschaft: „Es gibt so viele gesunde Ernährungen, wie es Menschen gibt, denn: Jeder Mensch is(s)t anders.“ Wer also mit IF super klar kommt, kann, darf und soll seine Ernährung in Intervalle aufteilen. Wer in 5:2, 6:1 oder X:X-IF seinen ‚kulinarischen Goldstandard‘ gefunden hat, wunderbar. Wer aber weder ein Stunden- noch Tage-Fastenfreund ist, der muss keine Angst haben, er ernähre sich jetzt „ungesünder.“ Da ist nichts mehr als: Pure Propaganda.

Denn – und jetzt kommen wir zur neuen IF-Studie ­– die folgenden Statements unabhängiger Wissenschaftler, die mit IF keine müde Mark verdienen (im Gegensatz zu manch anderen prominenten Promotern) sind so eindeutig wie das Intervall zwischen zwei Fußballhalbzeiten:
„Es gibt bis jetzt keine Hinweise darauf, dass Intervallfasten Vorteile gegenüber der herkömmlichen, täglichen Kalorienreduktion hat", konstatiert Dr. Tilman Kühn, Leiter der Arbeitsgruppe der Ernährungsepidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Ob alternierendes Fasten (AF) für therapeutische Zwecke eingesetzt werden könnte? „Dazu fehlen belastbare Studien. […] Eine exzellente, randomisierte und tatsächlich kontrollierte Studie aus den USA über ein Jahr zeigte, dass AF für Übergewichtige auf mittlere Sicht mehrheitlich nicht durchzuhalten ist."

„Es fehlen sowohl offizielle Definitionen als auch Langzeitbelege zu harten Endpunkten und  wissenschaftliche Beweise.“

Für Prof. Jürgen König, Leiter des Departments für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien, „kann alternierendes Fasten für therapeutische Zwecke nicht positiv oder negativ bewertet werden, lediglich eine Kalorienreduktion kann aufgrund der vorliegenden Ergebnisse als positiv bewertet werden, wobei diese Erkenntnisse allerdings nicht besonders überraschend sind. […] Daher gibt es meiner Ansicht nach derzeit keine allgemeine Empfehlung für eine bestimmte Form des Fastens beziehungsweise der Energiereduktion.“

Und Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Abteilung Klinische Ernährung am Außenstandort Berlin des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE), ergänzt: „Zu Varianten des Intervallfastens (IF) gibt es bereits mehr als zehn RCT, alle relativ klein, vorwiegend weibliche Kohorten, die in der Gesamtheit keinen Vorteil für IF zeigen – weder bei der Gewichtsentwicklung noch bei metabolischen Parametern. Vergleichsgruppe ist dort immer kontinuierliche Kalorienreduktion. […] Es gibt gegenwärtig keinen überzeugenden Beleg des medizinischen Nutzens von IF oder ADF beim Menschen. […] Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, ADF oder andere Varianten des IF zu empfehlen. Nach aktuellem Wissensstand sind sie – soweit untersucht – beim Menschen gleichwertig bis unterlegen im Vergleich zu normaler kontinuierlicher Kalorienreduktion."

Diese mehr als deutlichen Aussagen von drei Wissenschaftlern stammen aus dem Beitrag „Intervallfasten im Langzeittest", in dem die neue IF-Studie fachlich versiert seziert wurde. Prädikat: Sehr lesenswert.

Vermutlich sind sowohl Low Carb als auch IF so populär, weil beide „Besser-Esser-Hypes“ sehr einfach umzusetzen sind, da es keine komplizierten Regeln oder aufwändige Rechnereien gibt. „Es funktioniert deshalb ganz gut, weil es wahrscheinlich für viele einfacher ist komplett auf etwas zu verzichten als immer gut auf die Ernährung zu achten. Erfahrungsgemäß ist für die Menschen schwarz-weiß einfacher als grau", erklärte Dr. Gert Bischoff, Ernährungsmediziner aus München 2018 im BR den „Erfolg“ des IF.

Fazit: LC und IF haben vieles gemeinsam: Es fehlen sowohl offizielle Definitionen als auch Langzeitbelege zu harten Endpunkten und Evidenzen (wissenschaftliche Beweise), dass diese besonderen Arten des Essens gesünder sind oder schlanker machen als irgendeine andere x-beliebige Ernährungsweise. Wem es gefällt, wunderbar, wem nicht: Keinen Kopf machen!

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