28.08.2015
Tabak und Gesellschaft
Rezension von Günter Ropohl
Tabak und Gesellschaft stehen seit Jahrhunderten in einem manchmal spannungsreichen Wechselspiel. Im gleichnamigen Sammelband mit vor allem historischen Beiträgen aus unterschiedlichen Ländern wird sich gegen eine tabaklose Zukunft gewandt.
Der Tabakgenuss ist seit einigen Jahren allenthalben in Verruf geraten. Umso mutiger und bemerkenswerter ist das Buch Tabak und Gesellschaft: Vom braunen Gold zum sozialen Stigma, das Beiträge zur Kulturgeschichte dieser umstrittenen Pflanze versammelt. Die Herausgeber Frank Jacob und Gerrit Dworok, Historiker an der City University of New York und an der Universität Würzburg, haben selbstverständlich Recht: Was die Menschen 500 Jahre lang teils gehasst und teils geliebt haben, kann keine „politische Korrektheit“ von heute auf morgen aus dem kollektiven Gedächtnis verbannen – zumal es noch keineswegs gewiss ist, ob den Tabakbekämpfern der beabsichtigte Sieg im „Endgame“ 1 gelingt.
In etlichen Beiträgen werden Einzelaspekte der Tabakherstellung und des Tabakgebrauchs in verschiedenen Regionen Europas, in einem Artikel aber auch in Taiwan dargestellt. Da problematisiert Han-Hsiu Chen eine Würdigung des Tabakanbaus als „kulturelles Erbe“ in Taiwan, wobei die Gefahren des Tabakkonsums nicht erwähnt werden; in der Einschätzung dieser Gefahren schlägt sich der Artikel auf die Seite der Anti-Tabak-Bewegung und zieht zum Vergleich auch den vermeintlich unkritischen Umgang mit der Geschichte der Tabakkultur in Nordgriechenland heran.
Einen anderen Blick wirft der griechische Stadtplaner Konstantinos Lalenis auf die Baugeschichte von Kavala, einst Zentrum der makedonischen Tabakverarbeitung, wo das Stadtbild lange Zeit von traditionellen Manufaktur- und Lagerhäusern geprägt war, die teilweise der Modernisierung weichen mussten und teilweise nur unzureichend konserviert wurden. Anders als Han-Hsiu Chen erwartet dieser Autor keine Merktafeln an den erhaltenen Gebäuden, die auf die Risiken des Tabaks aufmerksam machen würden.
„Gesundheitskampagnen gegen die ‚Rauchwaren‘, meist unter der Ägide nichtrauchender Machthaber eingeleitet, fanden nur geringe Resonanz“
Maria Aggeli schreibt über eine andere griechische Region, das Gebiet um Agrinio im Südwesten des Festlandes und schildert anhand eigener Untersuchungen die mühselige Arbeit auf den Tabakplantagen und in den Tabakfabriken, betont aber auch, dass dabei erstmals Frauen in größerem Umfang einer Erwerbsarbeit nachgehen und dadurch gewisse Schritte zur Selbständigkeit und Anerkennung machen konnten. Christos Bakalis schließlich gibt einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der Tabakproduktion in Griechenland. Noch vor 20 Jahren nahm der Tabak eine Spitzenstellung im Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse ein, dies teilweise auch deshalb, weil manche griechischen Pflanzer von den traditionellen „Orient“-Tabaken zu „Virginia“-Arten übergingen, die unter dem Einfluss des US-amerikanischen Geschmacks auf dem Weltmarkt größere Absatzchancen haben. 2
Ebenfalls aus dem Südosten Europas stammt der Beitrag von Emine Tutku Vardağlı, der politische Hintergründe des Tabakumgangs in der Türkei vom 17. bis zum 20. Jahrhundert behandelt. Aus Osteuropa schließlich berichtet Alexander Friedman über den Tabakkonsum in der früheren Sowjetunion. Das Rauchen war dort unter Männern sehr verbreitet, rauchende Frauen dagegen erregten moralischen Anstoß. Der Autor erwähnt die Vorliebe für kaum erhältliche amerikanische Zigaretten, die sich erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem Vordringen amerikanischer Konzerne verbreiteten, schildert die Beliebtheit von Markennamen, in denen sich die Weltraumbegeisterung der russischen Bevölkerung widerspiegelt, und zeigt, dass Gesundheitskampagnen gegen die „Rauchwaren“, meist unter der Ägide nichtrauchender Machthaber eingeleitet, nur geringe Resonanz fanden.
„Die Raucherfrage ist fast immer und überall auch eine Geschlechterfrage gewesen“
Wie in Russland ist die Raucherfrage fast immer und überall auch eine Geschlechterfrage gewesen. Otto Ulbricht geht der Frage nach, wie sehr rauchende Frauen im Deutschland vor 1800 verbreitet waren. Trotz magerer Quellenlage kommt er zu differenzierten Schlussfolgerungen und meint, unter den älteren Frauen sowohl der Ober- wie auch der Unterschicht habe es durchaus den Konsum von Schnupf- und Pfeifentabak gegeben – über unterschiedliche Varianten des Schnupftabaks im protestantischen Norden und katholischen Süden unterrichtet übrigens Jörg Pannier –, während wohl im Bürgertum, zumindest nach diesbezüglichen Schriften, die patriarchale Unterdrückung solch „unweiblichen“ Verhaltens vorgeherrscht habe. „Die deutsche Frau raucht nicht“, haben bekanntlich noch die Nazis postuliert, und erst heute sorgen sich die Tabakbekämpfer(-innen) um die allgemeine Gleichstellung, indem sie allen Menschen, Frauen wie Männern, das Rauchen verbieten wollen.
Bei der Herstellung der Tabakerzeugnisse hat man allerdings die Frauen immer gebraucht, denen das, wie im griechischen Beispiel, manchmal durchaus zugutekam. Andererseits berichten Elisabeth Schöggl-Ernst und Manuela-Claire Warscher aus der österreichisch-ungarischen Monarchie sowie Bernd Hüttner aus Bremen von den sozialen Problemen, denen die Tabakarbeiterinnen meist ausgesetzt waren. Gegen unzumutbare Benachteiligungen haben auch weibliche Arbeitskräfte, keineswegs immer so gefügig, wie es das Geschlechterstereotyp wissen will, hin und wieder aufbegehrt.
Zwei Beiträge befassen sich mit der ästhetischen Seite der Tabakkultur. Die Beiträge des Buches, in Stil, Methode und Niveau durchaus unterschiedlich, sind lesenswerte Mosaiksteine zu einem soziokulturellen Gesamtbild der Tabakgeschichte, die in der Anordnung des Abdrucks keiner nachvollziehbaren Systematik folgen (und darum hier in abweichender Reihenfolge besprochen wurden). Wenn sich freilich jene Tendenzen fortsetzen, die Christoph Lövenich zur Tabakregulierung in Deutschland kenntnisreich und kritisch darstellt, dann könnte die Geschichte der Tabakkultur bald zu Ende sein.
„Der Tabakgebrauch hat beträchtlichen Teilen der Gesellschaft sein Signum aufgeprägt“
Eine aggressive Koalition von Gesundheitsfunktionären und hysterischen Tabakgegnern hat mit Hilfe des Gesetzgebers schon jetzt den Rauchgenuss aus weiten Teilen der Öffentlichkeit verbannt und zwingt die rauchenden Menschen zu schwerwiegenden Einschränkungen ihres Lebensstils, die den Grundsätzen einer liberalen Gesellschaft völlig widersprechen. Ob die gegenwärtige Tabakprohibition, wie so manche anderen in früheren Zeiten, wieder nur eine Episode bleiben wird, steht dahin.
Jedenfalls betonen die Herausgeber in ihrer Einleitung und Hans-Jörg Schmidt in einem grundlegenden Beitrag, dass Tabak weit über seine physischen Effekte hinaus immer auch als „Medium des Sozialen“ fungiert hat. Sei es, dass er als Distinktionsmerkmal dieser oder jener Schicht gegolten hat, seien es die Verständigungsrituale unter Fremden oder Freunden, die zudem eine hundertjährige Filmgeschichte unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat, oder sei es der antiautoritäre Gestus, den anpassungsresistente Menschen damit immer wieder inszeniert haben – der Tabakgebrauch hat beträchtlichen Teilen der Gesellschaft sein Signum aufgeprägt. In einer tabaklosen Gesellschaft würde mithin nicht nur der Tabak fehlen, sondern auch vieles andere, was zuvor das menschliche Zusammenleben geprägt hat. Zwischen den Zeilen erinnert dieses Buch an die gesellschaftlichen Weiterungen einer Tabakbekämpfung, die über der Gesundheitsbesorgnis alle anderen Werte ignoriert.
Allen wissbegierigen und nachdenklichen Menschen empfehle ich dieses vielschichtige Buch. Wem der stattliche Preis – allerdings bloß der Gegenwert von 15 Päckchen Zigaretten – missfällt, wird, da nicht nur das Papier, sondern auch der Inhalt alterungsbeständig ist, wohl auf die späteren Sonderangebote im Modernen Antiquariat warten müssen.