21.07.2021

Sag deine Meinung – solange es die richtige ist!

Rezension von Jörg Michael Neubert

Titelbild

Foto: Hpeterswald via WikiCommons / CC BY-SA 4.0

Meinungsvielfalt ade? Cancel Culture und andere Formen der Diskursverengung nehmen erkennbar zu, die Demokratie bröckelt. Der neue Novo-Band „Sag was du denkst!“ nimmt sich diesen Missstand vor.

Achtung! Warnung! Diese Rezension behandelt ein Buch über Meinungsfreiheit, und der Autor derselben hat ausgiebig Gebrauch von ihr gemacht. Sie gibt daher ausdrücklich seine persönliche Meinung wieder und er hat keinerlei Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen genommen, die sich dadurch gestört fühlen könnten.

Kommt ihnen diese Warnung seltsam vor? Nun, wie Ihnen wahrscheinlich aufgefallen ist, wird in letzter Zeit über wenig so viel gestritten wie über Meinungsfreiheit und manche sehen diese auch durch derartige „Trigger-Warnungen“ ernsthaft gefährdet. Der Journallist Thilo Spahl hat dazu eine Textsammlung mit dem passenden Namen: „Sag was du denkst!“ (Edition Novo) herausgebracht, in der sich verschiedene Autoren mit dem Phänomen der Meinungsfreiheit bzw. deren Gefährdung auseinandersetzen.

Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil verteidigen mehrere Autoren die Meinungsfreiheit an sich. Meinungsfreiheit wird dabei als ein grundlegendes Recht verstanden, das für eine Demokratie unerlässlich ist. So spricht sich der britische Journalist Mike Hume etwa wortgewaltig für das Recht auf freie Meinungsäußerung von Querulanten und Andersdenkenden aus. Gerade diese Häretiker waren es, so argumentiert er, die Gesellschaften vorangebracht haben, da sie den Status quo in Frage stellten. Alexander Horn geißelt die Versuche der Politik und sozialer Medien, „falsche Meinungen“ einzuschränken oder zu verbieten, als Angriff auf die Mündigkeit der Bürger. Diese Maßnahmen dienen seiner Meinung nach nicht dem Schutz der Demokratie, sondern höhlen Sie aus.

Im zweiten Teil konzentrieren sich die Autoren dann auf die Meinungsvielfalt. Es geht also weniger darum, überhaupt eine Meinung zu äußern, als dass möglichst vielfältige im allgemeinen Diskurs aufeinander stoßen. Dass hier ein Problem vorliegt, zeigt sich sehr schön an dem Beitrag von Sebastian Lüning und Fritz Vahrenholt. Diese haben zwei Bücher über den Klimawandel publiziert, in denen sie mit viel wissenschaftlicher Akribie Katastrophen-Szenarien kritisieren, ohne die grundlegende Problematik abzustreiten. Mit kurzen Strichen zeichnen sie in ihrem Artikel nach, wie man sie nach dem ersten Buch verketzert hat und die Mainstream-Medien das zweite Buch fast völlig verschwiegen. Ein wissenschaftlicher Dialog wurde von Anfang an verweigert. Wissenschaft lebt aber nun mal von Meinungsstreit. Das scheinen aber einige nicht verstanden zu haben.

„Ein insgesamt sehr lesenswerter Sammelband, die die Diskussion um die Meinungsfreiheit von verschiedenen Punkten aus aufgreift und damit bereichert.“

Dieses Phänomen ist offensichtlich nicht auf die Klimadebatte beschränkt. So berichtet der Lehrer Robert Benkens in seinem lesenswerten Artikel davon, wie es bei Debatten in Schulen immer weniger um argumentative Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen geht, als darum, eine von vornherein als „korrekt“ bezeichnete zu verteidigen. Benkens fordert daher konsequent im Sinn der Aufklärung, dass Schule ihrem Bildungsauftrag nur nachkommen kann, wenn sie ein derartiges Lagerdenken herausfordert.

Im dritten Teil behandeln mehre Autoren den Prozess der Meinungsbildung. Hier zeigt z.B. der Autor Karim Dabbouz auf, dass der für die Meinungsbildung elementare Vorgang der Debatte heute immer weniger stattfindet. Vielmehr kommt es zu einer haltungsgeleiteten Ordnung von Debatten. Es zählt also mehr der vermutete (Hinter-) Gedanke als das Argument. Das damit aber das Ergebnis quasi schon feststeht, ist evident. Auch die mittlerweile immer beliebteren Faktenchecker werden einer kritischen Analyse unterzogen. Ganz nach dem Motto: „Quis custodiet ipsos custodes?“ hält Novo-Redakteur Christoph Lövenich eben jenen Faktencheckern vor, dass sie eher eine einheitliche Meinung fördern, als eingefahrene Denkmuster aufzubrechen.

Im letzten Teil des Buches wird dann noch dem Phänomen der Cancel Culture nachgespürt, dass untrennbar mit der Diskussion um Meinungsfreiheit verbunden ist. Neben interessanten Interviews ist in diesem Teil insbesondere die Verteidigung der Kunstfreiheit durch Ilka Bühner zu nennen. An vielen Beispielen und mit guten Argumenten macht sie deutlich, dass es nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe von Kabarett und Satire ist, Grenzen auszuloten und die Gesellschaft auf ihre heiligen Kühe aufmerksam zu machen. Selbstverständlich, in dem sie diese mit Humor angreifen.

Fazit: Ein insgesamt sehr lesenswerter Sammelband, die die Diskussion um die Meinungsfreiheit von verschiedenen Punkten aus aufgreift und damit bereichert. Besonders erfreulich ist, dass die Autoren in ihren Artikeln nie in ein tumbes „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ abgleiten, sondern ihre Meinung immer gut und konsequent begründen. Nicht jedem wird jeder Artikel gefallen, aber genau darum geht es ja. Wenn dieses Werk dazu beitragen kann, dass die Debatte um die Meinungsfreiheit in Zukunft etwas sachlicher, aber auch grundsätzlicher geführt wird, wäre viel erreicht.

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