31.03.2016

Neuer (Anti-)Feminismus auf Abwegen

Rezension von Monika Frommel

Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera wurde von Gender-Aktivisten zu Unrecht attackiert. Seine Replik „Das Gender Paradoxon“ schießt aber am Problem deutlich vorbei.

Der Lit-Verlag hat soeben ein Buch des Kasseler Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera verlegt, das vorgibt, sich umfassend mit dem „Gender-Paradoxon“ zu beschäftigen. Leider geschieht das nicht, weil der Autor sich nur für ideologische Varianten des extremen Konstruktionismus interessiert. Rezipiert und popularisiert klingt dieser Ansatz so, als spiele die Biologie überhaupt keine Rolle. Diese These wird gelegentlich noch dahingehend missverstanden, als könne Frau oder Mann oder „*Gender“ aus der Speisekarte der sexuellen Orientierungen frei auswählen. Es versteht sich von selbst, dass jene Epigonen des Konstruktionismus also weder für interdisziplinäre Studien offen sind noch für Ergebnisse der Evolutionsbiologie oder Sexualwissenschaften. Sie träumen sich die Realität so zurecht, wie es gerade modisch ist.

Der Zorn des Autors ist also verständlich. Aber das Buch selbst erzeugt auch Ärger. Es befasst sich nämlich nicht mit Gender-Theorie, sondern nur mit dem, was Kutschera „Gender-Ideologie“ nennt. Anstößig findet er – zurecht ­– die Ablehnung der Biologie, um einen Aspekt des Verhaltens von Männern und Frauen zu erklären. Aber auch er reduziert die Komplexität. Besonders auffällig wird dies, wenn er meint, „Gender-Ideologinnen“ folgten einer unsinnigen Vorstellung von einer Hermaphroditen-Geburt. Diese wird vertreten vom Erziehungswissenschaftler John Money, einem Autor, von dem in feministischen Texten nie die Rede ist. Kutschera hingegen erwähnt schon im Vorwort dessen absurde Theorie, wonach „der biblische Schöpfer“, ein Hermaphrodit, Unisex-Wesen geschaffen habe, die erst später durch „erzieherische Prägung“ zu Männern und Frauen würden. Offenbar meint Kutschera, dies sei die Quelle der feministischen Unterscheidung von Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (kulturelle Überformung und Zuschreibung). Nur dies erklärt denn auch die vom Autor konstruierte Nähe der „Gender-Ideologie“ zum Kreationismus. Denn Feministinnen mögen ignorant sein gegenüber der Soziobiologie, aber sie leugnen nicht die genetischen, hormonellen und sonstigen biologischen Unterschiede im Sinne von „Sex“. 1

Zieht man diesen Unsinn ab, dann bleibt folgendes Konzept übrig: Kutschera kritisiert eine bestimmte Frauenpolitik, insbesondere den Glauben an die unbegrenzte Veränderbarkeit der Menschen. Nur wenn man dies annimmt, kann man im Programm des Gender Mainstreaming ein – wie der Autor schon im Vorwort schreibt – „Umerziehungsprogramm“ sehen. Völlig ignoriert wird bei aller berechtigten Kritik der existenzialistische Kern jeder feministischen Theorie. 2 Auch wird das Original des sozialen Konstruktionismus, der Text von Judith Butler, die in den 1990er-Jahren ihre Gründe hatte, provokativ zu sein, nicht einmal erwähnt.

„Kutschera fügt einem unhaltbaren Modell ein noch untauglicheres hinzu“

Vermutlich kennt der Autor sich nicht aus in feministischer Theorie und hat keine Sekunde darüber nachgedacht, welchen Kontext diese Debatten nach 1945 und erneut nach 1970 hatten. Kutschera kennt nur die in der Tat öden Bekenntnisse einiger Vertreterinnen von Gender-Studies an Fachhochschulen und Universitäten und deren Anträge auf Drittmittel-Finanzierung. Nur auf diese Texte passt seine Analyse, da nur diese – angeblich für alle Feministinnen sprechende – Gruppe nicht an Freiheit, sondern im Gegenteil an maternalistischer Bevormundung interessiert ist, vermutlich aber noch mehr an der Drittmittelfinanzierung ihrer Studiengänge.

So gesehen versteht man auch, wieso sein Literaturverzeichnis mehr als notleidend und insgesamt gesehen das Buch antifeministisch geraten ist, und zwar in einem altbackenen Sinne, da Kutschera nun – im Gegenzug – ausschließlich auf die Biologie verweisen möchte. Eine solche Reduktion komplexer Zusammenhänge hat fatale Traditionen. Schon vor über hundert Jahren waren die Reden über das „biologische Wesen der Frau“ reaktionär und stemmten sich gegen die aufziehende Moderne. Bereits damals prägte Hedwig Dohm den Begriff „Antifeminismus“(1902). Hedwig Dohm war die Großmutter von Katia Mann, Teil einer liberalen Elite und widmete sich seit den 1870-er Jahren  drängenden Themen: etwa dem Frauenwahlrecht und einem Familienrecht, das Ehefrauen als Rechtssubjekte anerkennt.

Heute sind die Ziele einer Hedwig Dohm weitgehend erreicht. Das Recht billigt Frauen gleiche Rechte zu. Wieso es dennoch eine sehr unterschiedliche Verteilung in der faktischen Nutzung dieser Rechte gibt, kann nicht einfach mit dem Wort „Patriarchat“ erklärt werden. Es bedarf hierzu interdisziplinärer Studien, die aber insbesondere auch von den aktuellen Vertreterinnen der Gender-Studies nicht ernsthaft betrieben werden. Zu schnell führen sie Differenzen auf zu vermutende Strukturen der Macht zurück statt das Konzept der Unterscheidung von Sex (biologisch) und Gender (kulturell) zu verfeinern. Dass dies nicht geschieht, ist sicher ein Mangel. Aber diesem Mangel hilft Kutschera nicht ab, sondern verschärft ihn, da er einem unhaltbaren Modell ein noch untauglicheres – der Reduktion komplexer Zusammenhänge auf die Biologie – hinzufügt.

„Die zurzeit kursierende Vorstellung von der ‚freien Wahl‘ unter vielen Geschlechtsidentitäten ist mehr als nur schlecht konstruiert“

Heute klingen Grenzüberschreitungen von Soziobiologen in die Kulturwissenschaften nur noch sonderbar. Was soll damit bezweckt werden? Schließlich ging es schon um 1900 – modern gesprochen – um die „Dekonstruktion der konventionellen Strukturen der Identität als entweder biologisch nötig oder kulturell erwünscht“ 3. Den mutigen Frauen im Kaiserreich ging es um Gleichberechtigung verschiedener Lebensentwürfe und um gleiche Chancen. Sie rebellierten gegen biologistische Denk-Schablonen, die damals noch unhinterfragt Geltung beanspruchten. Heute erleben diese untotenGedanken insbesondere bei amerikanischen Evolutionsbiologen einen eigenartigen Wiederbelebungsversuch, die nicht über ihren fachlichen Tellerrand schauen wollen, aber sich anmaßen, die Welt erklären zu können. Dieser ist schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt.

Der Evolutionsbiologe ist in seiner Hochschule in Kassel heftig angegriffen worden, weil er die üblichen Programme der Gender-Studies für unwissenschaftlich (kreationistisch) hält. Sie widersprächen dem gesicherten biologischen Wissen seines Faches. Was damit gemeint ist, bleibt unklar, da alle feministischen Theorien – vom extremen Konstruktionismus einmal abgesehen (s.o.) – davon ausgehen, dass es eine biologische Geschlechter-Differenz gibt, die sozial und kulturell überformt wird. Da ihnen die sozialen Zuschreibungen nicht gefallen, wollen sie diese, nicht also biologische Gegebenheiten, dekonstruieren. Die Kategorie „Gender“ hat den sozialen Sinn, Zuschreibungen zu analysieren. Es geht nicht um messbare biologische und hormonelle Tatsachen.

Allerdings hat sich mittlerweile die konstruktionistische Debatte erweitert. Trans-Gender-Theorien strapazieren wenige Einzelfälle, die darüber klagen, dass ihr prekäres Verhältnis von körperlichem Geschlecht und abweichender sozialer Identität nicht angemessen akzeptiert würde. Hier hätte der Autor reichlich Material gefunden, sogar seine Metapher gegen die Kreationisten hätte hier vielfach gepasst. Denn die zurzeit kursierende Vorstellung von der „freien Wahl“ unter vielen mit einem * zu kennzeichnenden Geschlechtsidentitäten ist mehr als nur schlecht konstruiert. Sie ist ein Tummelplatz abstruser Ideologien. Praktiziert von Eltern kann das zum Problem werden und sollte von den Jugendämtern unterbunden werden. Aber offenbar ist Kutschera ein klassischer Biologe, der leider zu wenig weiß über die Nöte der modernen Sexualwissenschaften. 4

„Nach deutschem Recht gibt es nur eine Mutter, und das ist die Frau, die das Kind zur Welt bringt“

Wieso also benutzt Kutschera die abwertende Metapher „Kreationismus“ für alle Feministinnen und meint, er könne deren komplexe Themen als fundamentalistischen Irrglauben entsorgen? Absurd ist insbesondere seine Annahme, dass ausgerechnet die Biologie über kontroverse Annahmen der Kulturwissenschaften entscheiden können soll. Er beantwortet eine Ideologie mit einer weiteren.

Nicht minder anmaßend ist sein Glaube, dass sich Gesetze an biologische Gesetzmäßigkeiten zu halten hätten. Besonders deutlich wird dies beim Personenstandsrecht, wenn die genetische, biologische und soziale/rechtliche Elternschaft auseinander fallen, was mittlerweile häufiger geschieht, als Kindern lieb ist. Gewiss, soweit vor Gericht Sachverhalte rekonstruiert werden, müssen die jeweiligen Fachdisziplinen gutachterlich zu Rate gezogen werden. Aber ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im „Vor-Darwinistischen Mittelalter“ 5 stecken geblieben, nur weil sie sich am Bürgerlichen Gesetzbuch und nicht an genetischen Annahmen orientiert? Im BGB wird die Mutterschaft nicht genetisch, sondern biologisch über die Geburt eines Kindes definiert. Das Recht geht also nicht naturwissenschaftlich, sondern normativ und unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der Interessen einer schwangeren Frau vor und definiert deshalb die Gebärende als Mutter. Modifikationen können gleichwohl je nach Einzelfall vorgenommen werden, weil es auch eine rechtliche Elternschaft gibt.

Rechtliche Maßstäbe können bewusst von genetischen oder biologischen Konventionen abweichen, was sich etwa bei einer Entscheidung des für Personenstandsrecht zuständigen Zivilsenats des BGH vom 10. Dezember 2014 gezeigt hat. Dort ging es um die Frage der Elternschaft nach deutschem Recht. Zwei homosexuelle Männer begehrten, beide als „Väter“ eingetragen zur werden, obgleich nur einer der beiden der genetische Vater des Kindes ist. Die Mutterschaft spielte in diesem Verfahren keine Rolle. Nach deutschem Strafrecht ist sowohl die Eizellspende als auch die Leihmutterschaft verboten. Zivilrechtlich ist nach deutschem Recht die Eizellspenderin nicht „Mutter“. Denn es gibt normativ gesehen keine „genetische Mutter“. Es gibt auch keine gespaltene Mutterschaft, sondern nur eine Mutter, und das ist die Frau, die das Kind zur Welt bringt. Diese aber war in diesem Fall – und er steht für das unlösbare Dilemma jeder Leihmutterschaft – an diesem Kind nicht interessiert.

„Es gibt eine bedenklich politisierte Drittmittel-Forschung der Gender-Studies“

Der Zivilsenat wies daher aus Gründen des Kindeswohls das kalifornische Retortenbaby diesen beiden Männern zu und ordnete an, dass das Standesamt beide als Eltern einträgt. Zwar widerspreche derartiges dem deutschen Recht, aber es war nun einmal von einem kalifornischen Gericht nach dortigem Recht vor der Geburt dieses Kindes als legal bestätigt worden. Deutschland könne nicht pauschal fremde Rechtsordnungen als „Unrechts-Staaten“ einordnen. Gegen diese bescheidene Ansicht ist nichts einzuwenden. Schon gar nicht kann man sie als ignorant und „mittelalterlich“ einordnen.

Kutschera ist jedoch davon überzeugt, dass nur sein Fach legitimiert sei, über die Zuschreibung „weiblich“, „männlich“ und über „Verwandtschaft“ zu entscheiden. Man möge ihm Meinungsfreiheit zubilligen. Aber das, was der Autor mit diesem Buch präsentiert, hat nicht einmal mit einer populär-wissenschaftlichen Debatte zu tun. Entweder unterfordert er das Publikum mit harmlosen Geschichten aus seinem Fach oder aber er schreibt mit Schaum vor dem Mund. Zu einer fairen Debatte zwischen zwei anspruchsvollen Fächern, den kontroversen Annahmen innerhalb der Soziobiologie und den nicht minder kontroversen Debatten innerhalb der Gender-Theorien, ist er nicht in der Lage. Freilich: Es gibt auch eine bedenklich politisierte Drittmittel-Forschung der Gender-Studies, die nicht debattiert, sondern sich an den politischen Vorgaben der transnationalen Gremien der EU orientiert und die dann mit dem Konzept „Gender Mainstreaming“ auch noch die Curricula der Gender-Studies an Universitäten politisiert, also in die Freiheit der Wissenschaften eingreift. Das sind Ärgernisse. Aber über diesen Missstand lässt sich debattieren.

Auch ich sehe einige zum Dogma verkommene Prinzipien, wonach „Gender“ und „Sex“ kategorial strikt zu trennen seien, als wenig hilfreich an. 6 Zumal viele empirische Studien mittlerweile sehr schematisch und quantitativ vorgehen und die Gruppe der Frauen pauschal mit der Gruppe der Männer vergleichen, um zu testen, wo eine fiktiv angenommene „Ergebnisgleichheit“ verletzt wird, was nun einmal vorhersehbar so gut wie immer der Fall ist. Wenn etwa bei Einkommensunterschieden ignoriert wird, dass reiche Länder es sich leisten können, Teilzeitarbeit so zu organisieren, dass sie auch für Männer und Frauen attraktiv wird, dann ist die notorische Klage wenig hilfreich, dass nur Frauen dieses Angebot nutzen. Wenn viele Frauen mit Kindern und fast keine Väter sich so entscheiden, dann kann diese Wahl „frei“ oder „unfrei“ sein. Aber niemand wird dazu gezwungen und auch Frauenpolitik darf nicht maternalistisch vorgeben, was „gut“ ist.

„Kontroverse Interpretationen werden unterdrückt, da das Programm Gendergleichheit lautet und nicht Entscheidungsfreiheit“

Auch besagt das Ergebnis im Ranking der doppelt Vollzeit arbeitenden Partner wenig. Wir wissen nun, dass Deutschland „schlechter“ abschneidet als Ungarn. Was aber besagt dies? Sehr viele ungarische Eltern müssen beide Vollzeit arbeiten, weil sie sonst die Familie nicht ernähren können. Sie wählen nicht, sondern unterliegen ökonomischen Zwängen. Das reiche Deutschland hingegen könnte in ihren Augen Vorteile bieten. Eltern in anderen Ländern könnten uns ob dieser Modelle beneiden.

Man sieht an diesen Beispielen, dass schon das Design vieler Studien, die „Ungleichheiten“ beklagen, statt zu fragen, welche soziale Dynamik dahinter steht, unangemessen ist. Oft sind die Ergebnisse nicht einmal interpretierbar. Fast immer bleibt offen, ob Frauen andere Karrierewege wählen, weil sie das so wollen oder weil sie ökonomisch oder sozial in Stereotype gedrängt oder gar gezwungen werden. Völlig verschwiegen wird, wie es mit der Selbstbestimmung von Männern bestellt ist. Fast alle mit Drittmitteln finanzierten Studien münden in Rankings der Ungleichheiten zwischen den europäischen Ländern und spekulieren dann, dass patriarchale Muster in den Ländern walten, die unten in der Skala angesiedelt sind. Kontroverse Interpretationen werden unterdrückt, da das Programm latent oder manifest Gendergleichheit lautet und nicht Entscheidungsfreiheit. Aber die Dogmen von Kutschera erreichen dieses triste Ergebnis ebenfalls. Extreme berühren sich nun einmal. Der moderne Antifeminismus ist sicher auch keine Lösung. Die Gesellschaft ist längst weiter 7, aber im ideologischen Streit wird das nur zu gern übersehen.

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