11.11.2012

Fußballeliten

Rezension von Stefan Chatrath

Von der DDR lernen, heißt Siegen lernen – zumindest im Fußball.Über das jüngst erschienene Buch „Ballack, Sammer und Co. Wie Fußballdeutschland von der Wiedervereinigung profitierte“, das die Entwicklung des ostdeutschen Fußballs seit der Wende nachzeichnet.

Was haben Jens Jeremies, Michael Ballack und Marcel Schmelzer alle drei gemeinsam? Sie gehör(t)en hierzulande zum Kreis der besten Fußballer – klar. Aber nicht nur das: Die drei sind in Ostdeutschland aufgewachsen und kamen daher schon jungen Jahren in den Genuss eines Fördersystems, das noch aus der Zeit der DDR stammte. Jens Jeremies z.B. ging schon mit 12 Jahren auf die Dresdner Kinder- und Jugendsportschule (KJS). So konnte er sich, im Gegensatz zu vielen Spielern, die zeitgleich in Westdeutschland aufwuchsen, optimal entfalten.

Die Entwicklung der ostdeutschen Spieler nach der Wende zeichnet Michael Peter in seinem Buch Ballack, Sammer und Co. Wie Fußballdeutschland von der Wiedervereinigung profitierte akribisch nach. Alphabetisch sortiert, porträtiert er jeden, der seit 1990 zumindest ein Bundesligaspiel absolviert hat: Von A wie Adler, René bis Z wie Zickler, Alexander, beide im Übrigen Nationalspieler und beide selbstverständlich an einer Sportschule ausgebildet. Peter beleuchtet außerdem eingehend die (wandelnde) Bedeutung der ostdeutschen Spieler für Nationalmannschaft und Bundesliga. Dabei wird deutlich, dass der Höhepunkt schon ein paar Jahre zurückliegt. 2002, bei der erfolgreichen WM in Japan und Südkorea zählten vier in Ostdeutschland Ausgebildete zum Stamm, mehr als jemals zuvor und danach: Neben Michael Ballack waren es Carsten Jancker, Thomas Linke und Bernd Schneider, die regelmäßig von Anfang an aufliefen. In der Bundesliga spielten in der Saison 1997/98 die meisten Ostdeutschen, nämlich 54. Das ist umso bemerkenswerter, da zu dieser Zeit das Bosmanurteil schon seine volle Wirkung entfaltete. Der Anteil der deutschen Spieler wurde von Saison zu Saison kleiner. Er lag 1997/98 nur noch bei 63 Prozent und damit 20 Prozentpunkte unter dem Niveau von 1995/96, also der Zeit vor Bosman.

Wieso verloren gerade die in Westdeutschland ausgebildeten Fußballer den Anschluss? Die Antwort ist ganz einfach: Bis 2001 gab es in Westdeutschland keine moderne Talentsichtung und -förderung. Junge, viel versprechende Spieler, wie z.B. ein Moritz Volz, entschieden sich daher, ins Ausland zu gehen. Er beschreibt die damalige Situation wie folgt: „Es war 1999, in Deutschland gingen talentierte Fußballer zur Schule oder machten eine Lehre und trainierten dann abends in ihrer Freizeit in den Jugendteams der Bundesligavereine drei-, viermal die Woche. (…) Fußball war doch nur die schönste Nebensache der Welt.“ In England, bei Arsenal, wo es den Siegener Volz hinzog, trainierten sie das Doppelte, ähnlich wie an den KJS in Ostdeutschland.

Erst mit der schlechten EM im Jahre 2000, beschloss der Deutsche Fußballbund (DFB) eine grundlegende Reform der Eliteförderung. Das System der DDR sollte nun auch auf „alte“ Bundesrepublik ausgedehnt werden. 10 Jahre lang hatte der DFB hier geschlafen: Egidius Braun, DFB-Präsident von 1992 bis 2001, legte den Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, das soziale Engagement des DFB auszubauen. So begründete er z.B. die Hilfe des DFB für „Kinder in Not“, bei der Kinder, die in Osteuropa in schwierigen Verhältnisse aufwachsen, z.B. im Waisenhaus, finanziell unterstützt werden. Gegen eine solche Hilfe ist natürlich nichts einzuwenden, nur darf so etwas, wie beim DFB, nicht zu einer Vernachlässigung der eigentlichen Aufgabe führen – der Förderung und Weiterentwicklung des Spiels an sich.

Auf Initiative vom Braun folgenden DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder sind die Vereine der 1. und 2. Fußballbundesliga seit 2001 dazu verpflichtet, bei sich vor Ort sog. Leistungszentren einzurichten. Talentierte Jugendliche sollen durch die frühe Aufnahme in ein solches Leistungszentrum gezielt an den Profifußball herangeführt werden. Mehr als 500 Millionen Euro sind von Seiten der Vereine seitdem in den Aufbau geflossen.

Der große Erfolg der Reform zeigt sich heute: Über die Hälfte der aktuellen Bundesligaspieler sind in den Leistungszentren ausgebildet worden. Die deutsche Nationalmannschaft, die 60 Minuten gegen Schweden brillierte, bestand gar zu 100% aus solchen Spielern. Für die „neuen“ Bundesländer hingegen läutete die Reform das Ende des Booms ein: Heute sind in der Bundesliga nur noch 18 Spieler tätig, die ihren Geburtsort in Ostdeutschland haben, so Peter (s. S. 15). Das ist natürlich kein Zufall: Der große Wettbewerbsvorteil ostdeutscher Spieler, die vergleichsweise solide Grundausbildung, besteht nun Dank einer bundesweiten Elitenförderung nicht mehr. Westdeutsche Erstligisten besetzen die Plätze für junge Spieler dementsprechend immer häufiger durch Talente aus der Region. Denn: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah?

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