13.07.2011

Frankfurt am Abgrund

Rezension von Christoph Lövenich

Czuba-Konrads Dystopie zeichnet das düstere Bild einer auseinanderdriftenden Gesellschaft, in der vor allem Raucher zunehmend an den Rand gedrängt werden. Ein wichtiges Statement gegen die aktuelle freiheitsfeindliche Raucherdiskriminierung.

Ganz Frankfurt am Main ist in drei Teile untergliedert, von denen einer von den Nichtrauchern bewohnt wird, ein weiterer von den Rauchern, und der dritte von Menschen, die man solche mit Migrationshintergrund nennt.

So wird es vielleicht nicht erst irgendwann aussehen, wenn Susanne Czuba-Konrads dystopische Geschichte „Rauchen verboten!“ Wirklichkeit wird. Im Kino und in den Fernsehnachrichten kann man der Propaganda nicht entrinnen, die die Tabakraucher zum „Gift der Gesellschaft“ und „zu Mördern in Zivil“ abstempelt und in Orwellscher Newspeak-Manier „Freiheit heißt Rauchfreiheit“ postuliert: Namen von Rauchern erscheinen in der örtlichen Tagespresse, Rauch und Tabakprodukte werden aus Filmen wegretuschiert. Nicht nur in Gaststätten, auch auf der Straße wird das Rauchen verboten, und schließlich ganz kriminalisiert, bei mehrjähriger Mindestfreiheitsstrafe für Verkauf und Erwerb von Tabakwaren. Bußgelder gegen heimliche Raucher sollen die Einnahmeverluste nach weggefallener Tabaksteuer kompensieren. Krankenkassen verdoppeln die Beiträge von Rauchern, Raucher werden aus Arbeitsverhältnissen entlassen und schließlich wird ihnen die „Raucherpauschale“ von der Stütze abgezogen. Nur langfristiger Tabakverzicht eröffnet eine Chance auf „Resozialisierung“. Illegale Raucherclubs etwa in Sachsenhausener Kellern, die letzte Alternative zur steriler gewordenen offiziellen Gastronomie, werden in Razzien ausgehoben. Die Überwachung des öffentlichen Raumes durch Video-Autos dient auch dem Zweck, Raucher ausfindig zu machen. Nur neben Mülltonnen, in Verstecken hinter dicken Stahltüren und in der eigenen Wohnung – bei zugezogenen Vorhängen – wird eine Kippe angezündet. Aber auch aus ihren Mietwohnungen werden Raucher gekündigt, und sie haben kaum Chancen, in einem „Nichtraucherviertel“ unterzukommen, wo die sogenannten besseren Kreise dem Tabakkonsum längst abgeschworen haben. Nach dem Konsum teuerster Schwarzmarktzigaretten braucht es Mundwasser, viel Parfüm, diverse Kaugummis und Erfrischungstücher, um den aufgehetzten Mitmenschen nicht gleich durch bösen Tabakgeruch aufzufallen.

Zeitgleich entfremden sich Frankfurter ohne Migrationshintergrund und solche islamischer Herkunft immer mehr voneinander, Rechtsextremismus einerseits, sowie der Rückzug in den muslimischen Fundamentalismus nehmen als Abgrenzungsverhalten zu. Wasserpfeifenkonsum in Migrantenghettos bleibt meist folgenlos, da sich die Polizei selten in solche Gegenden vorwagt.

Und inmitten all dessen versuchen Czuba-Konrads Protagonisten, ihr Leben zu meistern. Leon ist durchs Rauchen arbeitslos geworden und mit der Polizei in Konflikt geraten, nachdem er seinen „Raucherregistrationsbogen“ nicht ausgefüllt hat. Silvia, seine nichtrauchende Lebensgefährtin, lässt ihr vergleichsweise tolerantes Gebaren Gefahr laufen, den Straftatbestand der Deckung illegalen Rauchen zu erfüllen. Silvias Freundin Yasemin, die, nach dem Tod ihres Mannes zwar strenggläubig geworden ist, aber gelegentlich zur Zigarette greift. Und ihr neuer Gatte Yusuf, der seine Frau höchstens zum Besuch eines regierungsamtlich geförderten Antirauchkurses alleine aus dem Haus gehen lassen will.
Nach der Einführung der Charaktere gewinnt die Geschichte im weiteren Laufe beachtlich an Tempo: Zigarettenschmuggel, Entführungen, Vergiftungen, ein Schnellgericht, ein Todesfall und weitere turbulente Wendungen öffnen den Beteiligten die Augen über „die fragwürdige Vision einer totalitären Nichtrauchergesellschaft“ (Verlagstext).

Susanne Czuba-Konrad, promovierte Germanistin, arbeitet als Dozentin und engagiert sich in der Frankfurter SPD. Neben Sachliteratur hat sie bisher vor allem kürzere Erzählungen verfasst. Auch „Rauchen verboten!“ zeichnet sich durch eine hohe Dichte von Anspruch und Inhalt bei überschaubarem Umfang aus.

Manche der beschriebenen Entwicklungen schließen eng an die jetzige Realität und die aktuell erhobenen Forderungen der Anti-Tabak-Lobby an, andere projizieren eine etwas fernere Zukunft, die aber heraufzuziehen droht, wenn der Durchmarsch der Tabakkontrolle wie bisher voranschreitet. Was diese „Denormalisierung“ nennt, nämlich die schleichende Abwertung des Tabakkonsums in weiten Teilen der Bevölkerung, hat nach Jahrzehnten schleichender Entwicklung in den letzten Jahren weiter Fahrt aufgenommen. So wirken Czuba-Konrads Schilderungen der Antiraucherpropaganda kaum übertrieben angesichts dessen, was an offiziellen Kampagnen und erst recht auf einschlägigen Internetseiten stattfindet.

Während im Buch die „Gesellschaft für Gesundheit der Nation“ eine wichtige Lobbygruppe bildet, gelingt es in der Praxis Organisationen und Initiativen des medizinisch-industriellen Komplexes zunehmend, ihr Welt- und Menschenbild der Gesellschaft aufzuoktroyieren (?). In der Geschichte taucht ein zur Rauchentwöhnung genutztes Medikament mit lebensgefährlichen Nebenwirkungen auf, in der ‚wahren‘ Welt wurde vor einigen Jahren Champix/Chantix zu diesem Zweck auf den Markt gebracht. Das Präparat scheint zu Selbsttötungen zu führen und seine Einnahme wurde US-amerikanischen Piloten von der Flugaufsicht untersagt. Für die Tabakkontrolle jedoch kein moralisches Problem, da sich in ihren AugenRaucher sowieso dem Tode geweiht haben. In der Geschichte ereignen sich noch weitere Verbrechen „im Dienste der Gesundheit“, etwa die unfreiwillige Einweisung in Entwöhnungslager. Noch ist dies Fiktion, aber vielleicht wird es in wenigen Jahrzehnten Realität. Auch am totalen Verkaufsverbot von Tabakwaren wird hinter den Kulissen bereits gebastelt. Und während bei Czuba-Konrad einer Protagonistin empfohlen wird, ihren rauchenden Lebensgefährten schnellstens gegen einen Nichtraucher einzutauschen, hat die EU vor Jahren schon das an Jugendliche gerichtete Online-Computerspiel „Don’t kiss a smoker“ erstellen lassen – von einer deutschen Agentur.

Die Autorin spricht außerdem die Unterdrückung missliebiger wissenschaftlicher Ansätze beim Zusammenhang von Rauchen und Gesundheit an. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang gerät dabei schief: Sie erwähnt ein „Nikotinkompensat“ als Option zur Verringerung von Gesundheitsgefahren. Doch selbst die meisten Antiraucher schreiben dem Nikotin keine problematische Rolle zu, stattdessen geht es um andere Erzeugnisse des Verbrennungsprozesses.

Ferner gleitet die Autorin tendenziell in eine Sichtweise auf Rauchern ab, die diese als bemitleidenswerte Süchtige stigmatisiert. Genuss und selbstbestimmte Entscheidung für den eigenen Lebensstil treten dabei zurück.  Ihr sozialdemokratischer Hintergrund vermag vielleicht mehrere Bemerkungen zur wirtschaftlichen Situation von Tabakbauern in Entwicklungsländern zu erklären. Deren Existenz bedrohen jedoch nicht ausbeuterische Konzerne, sondern der Versuch der Tabakkontrolle, den Tabakanbau zu minimieren.

Czuba-Konrads Buch verknüpft Gesellschaftskritik, bezogen auf Raucherdiskriminierung, aber auf auch die Segregation von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, mit den berührenden Einzelschicksalen einzelner betroffener Charaktere und einem spannenden Handlungsverlauf. Nicht zuletzt in ihrer Partei sind dem Werk viele Leser zu wünschen, und gerade angesichts des Umstandes, dass der Verlag auch Antiraucherliteratur für Kinder und Jugendliche vertreibt, sei „Rauchen Verboten!“ als Lektüre an Schulen empfohlen.

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