12.07.2013

Kalte Enteignung

Rezension von Alexander Horn

Der Ökonomieprofessor Walter Krämer zeigt in seinem neuen Buch, wie die Euro-Rettungspolitik nicht nur zu Verwerfungen zwischen Nord und Süd, sondern auch zu einer Virtualisierung des deutschen Vermögens führt. Ein empfehlenswerter Beitrag zur Demokratie.

Es ist nicht neu, dass Wirtschaftswissenschaftler dem Euro kritisch gegenüberstehen. Lange vor seiner Einführung warnten Ökonomen vor den wirtschaftlichen Zwängen und den politischen Konsequenzen, die sich in einem gemeinsamen Währungsgebiet ergeben würden. Bereits 1992 wandten sich 62 Professoren in einem Manifest an die Öffentlichkeit. Sie prophezeiten, künftig würden die „ökonomisch schwächeren europäischen Partnerländer einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt“ sein, was „wachsende Arbeitslosigkeit“ mit sich bringen wird. „Hohe Transferzahlungen im Sinne eines Finanzausgleichs werden damit notwendig.“ [1] Lange Zeit hatte es nicht danach ausgesehen. Gerade die wirtschaftlich schwächeren Länder der Eurozone erfreuten sich eines wirtschaftlichen Booms, der die Warnungen vor sinkender Wettbewerbsfähigkeit in den Hintergrund drängte. Dafür sind wir nun mehr als zehn Jahre später nur umso stärker davon betroffen, dass sich die Prognosen von damals heute mehr als bewahrheiten.

Walter Krämer, selbst Ökonomieprofessor und Unterzeichner des im vergangenen Jahr veröffentlichten „Ökonomen-Aufrufs“ zu den Risiken der Euro-Rettungspolitik, arbeitet faktenreich die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte des Euro heraus. Dabei skizziert er auch die politischen Entstehungsbedingungen, die aufs engste mit der Wiedervereinigung Deutschlands verwoben sind. Schon hier wird dem Leser klar, dass es eigentlich keine ökonomischen Beweggründe waren, die letztlich zum Euro führten. Vielmehr speiste sich die Währungsunion vorrangig aus dem national orientierten Denken der wesentlichen Partner, aber offenbar auch aus dem Bedürfnis, diese nationale Orientierung – durchaus auch aus nationalen Erwägungen heraus – zu überwinden. Die ökonomischen Warnungen vor den Folgen einer Währungsunion wurden offenbar vor allem von der deutschen Seite eher verdrängt und unterschätzt oder man glaubte, die Probleme durch entsprechende Verträge beherrschbar machen zu können. Wie Krämer unter anderem am Beitritt Griechenlands zeigt, konnte das Vertragswerk die hohen Erwartungen nicht erfüllen und wurde daher mit Tricks und Regelbrüchen so ausgehebelt, dass der im europäischen Vergleich keineswegs sonderlich hohe Wohlstand der Deutschen nunmehr auf tönernen Füßen steht.

Krämer wollte ein auch für den Laien verständliches Buch über die Euro-Krise schreiben. Er kritisiert, dass heute selbst hochgebildete Akademiker die Tragweite der wirtschaftspolitischen Entscheidungen der letzten Jahre nicht mehr wirklich verstehen, was auf den Rest der Bevölkerung wohl noch stärker zutreffen dürfte. Selbst den Politikern im Bundestag, die diese Entscheidungen treffen, attestiert er mangelnden Sachversand und eine fehlende Bereitschaft, die Problematiken offen zu thematisieren, so wie es die Wähler von ihren Volksvertretern eigentlich erwarten dürften. Mit diesem Ansatz stellt Krämer die Debatten und Entscheidungen der letzten Jahre in ein neues Licht. Selbst dem Laien erschließt sich beim Lesen, wie Geldschöpfung und letztlich die vertraglich unzulässige Staatsfinanzierung durch die EZB funktioniert. Ebenso wird erklärt, wie die Kapitalflucht aus den Südländern über die sogenannten Target2-Salden ausgeglichen wird und welches Risiko daraus für den deutschen Steuerzahler erwächst. Angesichts des gut lesbaren und lockeren Stils fragt man sich außerdem, warum diese Thematiken nicht schon längst allen Bundesbürgern sonnenklar sind und der Euro und vor allem die Rettungspolitik noch immer ein so großes Vertrauen genießen. Der Autor wollte einen Beitrag zur Demokratie leisten, indem er dem ökonomischen Laien ein verständliches und leicht lesbares Buch zur Euro-Krisenpolitik an die Hand gibt – und diesem Anspruch ist er zweifellose gerecht geworden.

„Das virtuelle Vermögen könnte sich nämlich als das herausstellen, was es ist, als rein virtuell und nicht in Wahrheit existent.“

Krämer ist kein Freund des Euro – jedenfalls nicht in der gegenwärtigen Zusammensetzung der Eurozone. Die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer ist seit der Euro-Einführung immer schlechter geworden. Die lange Zeit verfügbaren billigen Kredite wurden nicht genutzt, um die hohen Staatsschulden zu reduzieren. Vielmehr machten sie den Staatsapparat vieler Länder nur „noch schlampiger, aufgeblähter und ineffizienter“. Vernichtende Kritik übt er an der Euro-Rettungspolitik, denn kaum kreditwürdigen Schuldnern wird letztlich immer noch mehr Geld zur Verfügung gestellt, wodurch die Schuldenspirale weiter eskaliert. Das ist für Krämer der entscheidende Punkt. Schon lange finanzieren die nördlichen Länder der Eurozone die Kredite der Südländer, die aufgrund von deren gesunkener Wettbewerbsfähigkeit und den daraus resultierenden Leistungsbilanzdefiziten immer weiter ausufern. So stehen realen Leistungen, etwa dem in Deutschland produzierten und nach Südeuropa gelieferten Auto, in großem Umfang nur Geldforderungen gegenüber. Ob dieses Papiergeld aber jemals wieder zurückgezahlt werden kann, bezweifelt Krämer. Wenn also Sparer, Rentner und Pensionäre „in 10 oder 20 Jahren ihre Ersparnisse auflösen, das heißt ihre Forderungen eintreiben wollen, um damit ihren Lebensabend zu gestalten, könnten sie eine böse Überraschung erleben: Dieses virtuelle Vermögen könnte sich dann nämlich als das herausstellen, was es ist, als rein virtuell und nicht in Wahrheit existent.“ [2] Letztlich dehnt die Euro-Rettungspolitik dieses Band immer weiter aus, und damit wird ein ständig wachsender Anteil des deutschen Vermögens zu Papiergeld, also bloß virtuell.

Bei der Euro-Rettungspolitik mag der deutsche Normalbürger ja letztlich der Dumme sein, aber insgesamt könnte Deutschland beim Euro dennoch als Gewinner dastehen. Auch hier liefert Krämer jedoch Fakten und Argumente, die das Gegenteil nahelegen. Zunächst verweist er darauf, dass die Bundesbankgewinne nun faktisch bei der EZB anfallen und diese auf die europäischen Zentralbanken aufgeteilt werden. Krämers Argumentation beruht vor allem auf der Exportstatistik. Demzufolge ist der Anteil der deutschen Exporte in die Eurozone seit Mitte der neunziger Jahre, also im Vergleich zu der Zeit vor der Euro-Einführung, deutlich zurückgegangen. Laut Krämer zeigt der gestiegene Anteil der Exporte außerhalb der Eurozone, dass die Exporte gerade in solchen Ländern boomen, die keinen festen Wechselkurs im Verhältnis zu Deutschland haben. Warum aber verteidigt die deutsche Politik den Euro dann so vehement? Warum gibt es so etwas wie „Europhorie“ gerade in Deutschland?

„Aufgrund der fehlenden politischen Einheit Europas führt der Euro zu ökonomischen und sozialen Verwerfungen und ist damit geradezu der ‚Spaltpilz‘ Europas.“

Die Ursachen hierfür sieht Krämer vor allem in der Vorstellung, die gemeinsame Währung könne als „Friedensstifter“ einer gemeinsamen goldenen Zukunft dienen. Das sah schon Helmut Kohl so, der meinte, der Euro stärke die „EU als Garanten für Frieden und Freiheit“ [3]. Dieser Wunsch nach Frieden und Freiheit wird mit Bezug auf den Euro auch heute immer wieder bemüht. So verständlich dieser Wunsch angesichts der Geschichte des Kontinents auch sein mag, inzwischen zeigt sich mehr als deutlich, dass der Euro aufgrund der fehlenden politischen Einheit Europas zu ökonomischen und sozialen Verwerfungen führt und damit geradezu der „Spaltpilz“ Europas ist.

Was also sind die Perspektiven? Krämer sieht die für alle Seiten beste Lösung wohl im Euro-Austritt einiger Länder, auch wenn das letztlich vor allem den deutschen Steuerzahler viel Geld kosten würde. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Für wahrscheinlicher hält er allerdings die „kalte Enteignung“ der Sparer und Rentner durch eine Abwertung innerhalb der Eurozone. Der wahrscheinlichste Weg sei nicht die Abwertung in den Südländern, sondern die Inflation in den Nordländern der Eurozone. Als drittes Szenario sieht Krämer die „heiße Enteignung“, der zufolge die Südländer durch dauerhafte Transferzahlungen am Tropf der zahlungskräftigen Partner hängen – also die sogenannte „Transferunion“.

So ganz will offenbar auch Krämer die Hoffnung auf eine konstruktive Lösung der Krise nicht aufgeben – auch wenn der von ihm nachgezeichnete Weg des Euro eine andere Sprache spricht. „In einer Kombination von interner Abwertung in den Krisenländern, mäßiger Inflation in den Kernländern, einer Rückbesinnung der Europäischen Zentralbank auf ihr Kerngeschäft der Preisstabilität, einer aus den Klauen der Interessengruppen befreiten lokalen Wirtschaft in Spanien, Frankreich und Italien, verbunden mit einem kräftigen Inkasso bei milliardenschweren Bankengläubigern und Steuerhinterziehern aber auch der offenen Akzeptanz der beträchtlichen Vermögensverluste seitens der Kernländer der EU kann wieder ein langfristig tragbares Gleichgewicht entstehen.“ [4] Es könnte jedoch alles noch ganz anders kommen. Das wäre sozusagen eine fünfte Möglichkeit, die Krämer allerdings nicht diskutiert: Vielleicht kommt es, wie manche Ökonomen befürchten, doch noch zu einem großen Knall und die Eurozone bricht unkontrolliert auseinander.

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