11.12.2015

Der Mensch ist Spieler

Rezension von Christoph Lövenich

Ob Fußball, World of Warcraft oder ‚Einarmiger Bandit‘: Das Spiel macht den Menschen aus. Der Philosoph und Medienprofessor Nobert Bolz hat dazu ein Buch verfasst, das den Mahnungen der Neopuritaner und Paternalisten vor dem (Glücks-)Spiel ein positives Bild entgegensetzt.

Die modische Regulierung des Glücksspiels hüllt sich gern ins Gewand der Suchtbekämpfung. Entweder aus der Neigung heraus, den Rest der Menschheit als zu therapierende Patienten zu betrachten, oder um die wirtschaftliche Vorherrschaft des Staates in diesem Bereich mit vermeintlichem „Spielerschutz“ begründen zu können. Suchtbekämpfung als Vorwand für Freiheitseinschränkungen gehört längst zum Standardrepertoire der Volkserzieher. Schön, dass es auch Gegenstimmen gibt: „Das, was die Paternalisten als Sucht und Sünde bekämpfen, ist für einen echten Liberalen Geschmackssache und Konsumgewohnheit.“

So die Worte von Norbert Bolz, Philosoph und Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin, der sich mit pointierten Positionen auch in der praktischen Medienwelt einen Namen gemacht hat. Bolz, manchmal vorschnell als Konservativer eingeordnet, zeigt sich in seinem Buch Wer nicht spielt, ist krank. Warum Fußball, Glücksspiel und Social Games lebenswichtig für uns sind als liberaler Humanist und kluger Analytiker.

Der Blick durch die Suchtbrille geht an der weiten Verbreitung des Spiels völlig vorbei: Die Hälfte der Deutschen betreibt das Spielen in irgendeiner Form, schreibt Bolz, aber nur bei 0,5 Prozent der Erwachsenen wird Spielsucht diagnostiziert. Er stellt fest, dass Sucht nicht vom Objekt der Begierde ausgeht – ob nun Arbeit, Alkohol, Tabak oder Glücksspiel –, sondern von anderen Faktoren im persönlichen Leben der Betroffenen; er nennt Unglück, Stress und Gruppenzwang.

„Der Alarmbegriff Sucht verstellt den Blick: Der wahre Spieler spielt leidenschaftlich“

Mit der Weltsicht und der Sprache von Suchtpräventionsfunktionären kann Bolz generell nichts anfangen, „der Alarmbegriff Sucht verstellt hier den Blick auf den entscheidenden Sachverhalt: Der wahre Spieler spielt leidenschaftlich“, ist nicht abhängig, sondern erliegt einer der Liebesleidenschaft nicht unähnlichen „Verführungskraft des guten Spiels“. Im Belohnungssystem der menschlichen Psyche sieht der Autor „eine Art natürliche[n] Suchtmechanismus“. Die Stigmatisierung von Handlungen als Sucht erfolge ohnehin nicht nach suchtmedizinischen Prinzipien, sondern habe vor allem mit gesellschaftlicher Akzeptanz und finanziellen Möglichkeiten zu tun. Hier denke man den Casinobesucher im Smoking einerseits und den arbeitslosen Migranten in der Spielhalle andererseits.

Zwischen diesen beiden besteht noch ein weiterer Unterschied, der damit zu tun hat, dass die klassischen Spielcasinos in Deutschland größtenteils von den Bundesländern betrieben werden. Ein Unterschied, der jeden kritischen Betrachter der aktuellen Glücksspielpolitik – und selbstverständlich auch dem Intellektuellen Bolz – ins Auge stechen muss: Die Angebote der privaten Unternehmen „sollen die gefährlichen und die in der staatlichen Spielbank sollen die weniger gefährlichen sein“. Das tatsächliche Risikoprofil fällt für ihn gegenteilig aus: Die private Spielautomatenwirtschaft wird überreguliert, während man im staatlichen Casino noch arm werden kann. Nichts als „Heuchelei“.

In diesem Zusammenhang greift er einer Stelle zu kurz: Lotterien würden von Paternalisten als (im Gegensatz zu manchen anderen Formen) gutes Glücksspiel klassifiziert. Hier übersieht er, dass der staatliche Lotto-Toto-Block den Soziallotterien, deren Erlöse gemeinnützigen Zwecken zugutekommen, durch Vorschriften das Leben erschwert, da sie ihm lästige Konkurrenz machen. Von der Gängelung privater Lotterievermittler einmal ganz zu schweigen.

„Der Krieg gegen die Glücksspiele wird scheitern, wie auch der Krieg gegen die Drogen gescheitert ist“

Die Behauptung aus dem Glücksspielstaatsvertrag, staatliche Regulierung diene der Kanalisierung des Geschehens in geordnete Bahnen, betrachtet Bolz – und mit ihm viele Kritiker – nur als Ausrede für das staatliche Glücksspielmonopol. Stattdessen fordert er einen freien Wettbewerb, in dessen Rahmen durch Konkurrenz höhere Gewinnausschüttungen möglich werden, was den Interessen der Spieler deutlich näher komme als die derzeitige Verbotspolitik. Staatliche Restriktionen führen im Übrigen nicht zu weniger Glücksspiel, sondern nur zum Ausweichen auf andere Angebote, etwa im Internet, dem „globalisierte[n] Las Vegas im Cyberspace“ – dem weltfremden Verbot des Online-Glücksspiels in Deutschland zum Trotz.

„Von ihrer moralistischen Vortrefflichkeit überwältigt, übersehen die Prohibitionisten, dass sie zwar Spielzeuge und Spielgelegenheiten, nicht aber die Lust am Spielen mit dem Zufall verbieten können.“ Denn Politik gegen Glücksspiel kann „weder das Glück befördern noch die Langeweile bekämpfen“, führt er weiter aus, „[d]er Krieg gegen die Glücksspiele wird deshalb scheitern, wie auch der Krieg gegen die Drogen gescheitert ist.“

Ohnehin fehlt ihr die Legitimation, da der Nutzen des Glücksspiels, der wirtschaftliche wie der immaterielle, die sozialen Kosten (etwa Suchtbehandlungen) weit übertrifft. Wer ständig von suchtgefährdeter Jugend redet, gehört für Bolz sowieso in die Kategorie der „Warner und Mahner“, die in puritanischer Tradition Lustfeindlichkeit verbreiten. Er stellt den „Spielverderbern aus Politik und Wissenschaft“ mit diesem Werk eine „fröhliche Wissenschaft des Spiels“ gegenüber. Spielen hat mit Lustgewinn, Optimismus und Hoffnung zu tun, ganz im Gegensatz zum verbreiteten Pessimismus „als Krankheit eines Zeitalters, das nicht mehr an den Fortschritt zu glauben wagt.“

„Der eigentliche politische Gegensatz besteht heute zwischen Regulierern und Liberalen“

Nicht nur um das Glücksspiel als für ihn reinste Spielform drehen sich seine philosophischen und soziologischen Gedanken, bei denen er gerne Nietzsche, Luhmann, Freud, Dostojewski und Schiller sowie den fiktiven Hochstapler Felix Krull zitiert. Er behandelt auch den Sport – und zwar explizit nicht als puritanische „Gesundheitsförderung“ ­–, das Fernsehen – nicht so verblödend wie von „der alteuropäischen […] Kulturkritik“ dargestellt –, zu Unrecht geschmähte Computerspiele und ihre Verzahnung mit der Wirklichkeit.

Anhand der Haltung zum Spiel, aber weit darüber hinausgehend, attackiert Bolz den grassierenden Paternalismus. „Jeder Paternalismus behandelt Menschen als Material“ und mündet in die „Herrschaft der Betreuer“. Das Nudging als modische, vermeintlich liberalere Spielart des Paternalismus, kanzelt er als „Sozialvormundschaft im Namen der Mündigkeit“ ab, in der Politik zum „Glückszwangsangebot“ degeneriere. Messerscharf erkennt er: „Der eigentliche politische Gegensatz besteht heute nicht mehr zwischen Linken und Rechten, sondern zwischen Regulierern und Liberalen.“

Bolz bezieht erfrischend klar Position. Er schreibt in Soundbites und Aphorismen, die das Lesevergnügen steigern. Er erweckt mehr Verständnis für das Phänomen des Spielens, kritisiert die „für fast jedes Verbot aufgeschlossenen haupt- und ehrenamtlichen Gutmenschen“, liefert zahlreiche Denkanstöße und schafft Zitate wie dieses: „Der spielende Mensch ist der Hauptgewinn in der Lotterie der Evolution.“

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