27.03.2025

Den Holocaust gegen Israel gewendet

Von Daniel Ben-Ami

Titelbild

Foto: rajatonvimma via Flickr / CC BY-SA 2.0

Das Buch „Die Welt nach Gaza“ von Pankaj Mishra enthält die vielleicht beschämendste Verharmlosung des 7. Oktober 2023, die je gedruckt wurde. Mishra spielt auch den Holocaust herunter.

In seinem Buch „Die Welt nach Gaza“ versucht der Essayist Pankaj Mishra, Israels Vorgehen in Gaza als „Fallstudie westlicher Straflosigkeit“ darzustellen. Das Grundproblem des Westens, so Mishra, bestehe darin, den Holocaust heiliggesprochen und andere Verbrechen von angeblich gleichem Ausmaß vorsätzlich ignoriert zu haben.

Sein Ziel ist es, den Holocaust von seinem vermeintlich unverdienten Sockel zu stoßen. Er möchte, dass wir ihn nur als eine von vielen Gräueltaten in einer modernen, von Kolonialismus und Sklaverei geprägten Welt sehen. Oder, wie Mishra es ausdrückt, er will die kollidierenden Narrative der Shoah, der Sklaverei und des Kolonialismus miteinander versöhnen. Daraus folgt, dass die Lehre aus dem Holocaust nicht „Nie wieder“, sondern „Nie wieder für alle“ lauten müsse.

Es ist ein Ansatz, der human erscheinen mag, weil er das jüdische Leiden anerkennt und gleichzeitig suggeriert, dass anderes menschliches Leben ebenso wertvoll ist. Es wird jedoch schnell klar, dass dieser Ansatz zutiefst antihumanistischen Zielen dient. Entscheidend für Mishras Ansatz ist die Delegitimierung Israels. Für ihn ist Israel eine Kolonialmacht. Er führt dieses Argument weiter und behauptet, dass Israels Umgang mit den Palästinensern im Wesentlichen dem Umgang der Nationalsozialisten mit den Juden ähnele.

Die größte Schwäche in Mishras Argumentation ist seine grobe Einseitigkeit. Er zeigt seine Vertrautheit mit jüdischen Holocaustschriftstellern wie Jean Améry, Hannah Arendt und Primo Levi. Dennoch unterlaufen ihm monumentale Fehler. Insbesondere versäumt er es, den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und dem Holocaust zu untersuchen. Er erkennt zwar das Ausmaß des Massenmordes an, versäumt es aber, die antisemitischen Motive zu erforschen. Folglich versteht er nicht, was die Besonderheit des Holocaust ausmacht.

„Besonders verblüffend ist seine Fehlinterpretation von Hannah Arendt.“

Besonders bemerkenswert ist seine Fehlinterpretation von Hannah Arendt. Er benutzt die große deutsch-jüdische politische Denkerin, um seine Argumentation für die Verharmlosung des Antisemitismus zu untermauern. Er verweist auf ihre „Leugnung der Alleinschuld des Antisemitismus an der Shoah und ihre Betonung des dem modernen bürokratischen Staat innewohnenden genozidalen Potenzials“. In Wirklichkeit war Arendt vom Gegenteil überzeugt. Sie argumentierte, dass der Antisemitismus der Schlüssel zur Entstehung der totalitären Schrecken des 20. Jahrhunderts war.

In ihrem berühmten Werk über die Ursprünge des Totalitarismus beschrieb sie den Antisemitismus als eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. Sie versuchte, die „empörende Tatsache“ zu erklären, „dass ein so kleines (und in der Weltpolitik so unwichtiges) Phänomen wie die jü­dische Frage und der Antisemitismus zum Katalysator zunächst für die Nazi-Bewegung, dann für einen Weltkrieg und schließlich für die Errichtung der Todesfabriken geworden ist“.

Für Arendt ging der Antisemitismus über den bloßen Judenhass hinaus. Es handelte sich um ein komplexes Phänomen, bei dem die Juden das vermeintliche Übel sowohl des Spekulanten-Kapitalismus als auch des Bolschewismus verkörperten. Für die Nationalsozialisten bestand die einzige Möglichkeit, sich dieses Übels zu entledigen, in der Vernichtung seiner vermeintlichen Träger.

„Mishras Versäumnis, Antisemitismus ernst zu nehmen, geht mit seinem Versäumnis einher, die Bedrohung Israels anzuerkennen.“

Dieser Versuch, ein ganzes Volk auszurotten, ist ein Schlüsselelement, das den Holocaust einzigartig macht. Für die Nationalsozialisten mussten alle Juden systematisch vernichtet werden. Deshalb sprachen die Nazis im Protokoll der Wannseekonferenz von 1942, die einberufen worden war, um über die „Endlösung“ zu beraten, von elf Millionen Juden. Diese Zahl umfasste die jüdische Bevölkerung aller Länder, die die Nazis besetzen wollten, einschließlich Großbritanniens, Irlands und der Schweiz.

Kein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass der Holocaust der einzige Fall von Massenmord in der Neuzeit war. Wie den Holocaust gab es auch andere Fälle, die durch rassistisches Denken motiviert waren. Dennoch weist der Holocaust einzigartige Merkmale auf, die ihn von anderen historischen Tragödien unterscheiden. Diese Besonderheit nicht anzuerkennen, schmälert den einzigartigen moralischen Schrecken der Shoah.

Mishras Versäumnis, Antisemitismus ernst zu nehmen, geht mit seinem Versäumnis einher, die Bedrohung Israels anzuerkennen. In „Die Welt nach Gaza“ wird nicht anerkannt, dass der jüdische Staat über seine gesamte Geschichte hinweg mit relativ mächtigen Kräften konfrontiert ist, die seine Zerstörung anstreben. Es ist leicht, Aspekte des Verhaltens des israelischen Staates im Laufe der Jahre zu kritisieren – wie bei jedem anderen Land auch. Dass Mishra jedoch die existenziellen Bedrohungen, denen Israel ausgesetzt ist, nicht als solche anerkennt, führt zu einer sehr einseitigen Darstellung. Die palästinensische Nakba beispielsweise, die sich auf die massenhafte Vertreibung und Enteignung der Palästinenser während des arabisch-israelischen Krieges von 1948 bezieht, fand vor dem Hintergrund statt, dass die umliegenden arabischen Regime versuchten, Israel von Anfang an zu zerstören. Lässt man diesen Kontext außer Acht, werden die Handlungen des israelischen Staates unverständlich, es sei denn, sie seien Ausdruck eines tiefen, irrationalen Hasses auf die Palästinenser.

„Mishra gibt sich bei jeder Gelegenheit belesen. Und doch ist er irgendwie blind für das Übel der Hamas – einer politischen Bewegung, die offen völkermörderischen Antisemitismus propagiert.“

Wo Mishra die Existenz der islamistischen Kräfte, die Israel bedrohen, anerkennt, neigt er dazu, sie zu verharmlosen. Er scheint sie sogar für fortschrittlich zu halten. Und das, obwohl die Hamas offen erklärt hat, Israel zerstören und seine Bürger massakrieren zu wollen. Auch der Iran hat immer wieder mit der Vernichtung Israels gedroht, ebenso wie die mit ihm verbündeten Terrorgruppen in der Region. Israel hat nur überlebt, weil es erhebliche Ressourcen für seine Verteidigung aufwendet, was seinen Bürgern große Opfer abverlangt.

Die schrecklichen Folgen von Mishras nur oberflächlich humanistischer Weltsicht zeigen sich in seiner knappen Stellungnahme zum Pogrom vom 7. Oktober 2023 im Süden Israels. In einer der beschämendsten Abhandlungen zu diesem Thema (eine Bezeichnung, um die sich viele reißen) behauptet er, dass diejenigen, die über den Angriff entsetzt sind, Rassisten sein müssen. „Der Überraschungsangriff von Menschen, die man für zerquetscht hielt“, so Mishra bedeute für viele Schockierte und Entsetze aus der weißen Mehrheitsbevölkerung das zweite Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts nach dem 11. September“. Was den Westen an diesem Pogrom wirklich irritiert habe, sei die Wahrnehmung, dass die „weiße Macht“ („White power“) „öffentlich gebrochen“ worden sei.

In „Die Welt nach Gaza“ wird behauptet, es gehe um die Anerkennung unserer gemeinsamen Menschlichkeit. Tatsächlich aber wird der Massenmord an den Juden verharmlost oder entschuldigt. Mishra gibt sich bei jeder Gelegenheit belesen. Und doch ist er irgendwie blind für das Übel der Hamas – einer politischen Bewegung, die offen völkermörderischen Antisemitismus propagiert – und entschlossen, die einzigartigen Schrecken des Holocaust zu verharmlosen.

Was für ein beschämendes, moralisch abstoßendes Buch!

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!