30.04.2014

Angst essen Genuss auf

Rezension von Christoph Lövenich

Der Wert von Freiheit und Selbstentfaltung wird zunehmend von Ängsten abgelöst, die sich um Sicherheit, Umwelt und Gesundheit ranken, analysiert Günter Ropohl in seinem neuen Buch. Die Gefahren einer von Sorge geleiteten Gesellschaft treten beim Thema Tabak besonders hervor

An Gesellschaftsdiagnosen herrschte in den vergangenen Jahrzehnten kein Mangel. In der deutschen Sozialwissenschaft machten etwa die Risikogesellschaft, die Erlebnisgesellschaft und die Single-Gesellschaft die Runde. Der Technikphilosoph und -soziologe Günter Ropohl hat sich nun ebenfalls auf dieses Feld gewagt und präsentiert die Besorgnis als neues, das Zusammenleben prägendes Zeitbild.

Der Untertitel seines Werkes schickt voraus, dass hierbei speziell die Hintergründe der Tabakbekämpfung im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Daraus ergeben sich zwei verschiedene Ansprüche an das Buch, die der Autor eng miteinander verzahnt: Die Verteufelung des Tabakgenusses hätte ohne den Einfluss der „Besorglichkeiten“ nie eine solche Fahrt aufnehmen können, umgekehrt exemplifiziert der Feldzug gegen das „braune Gold“ bestimmte Mechanismen besonders eindrücklich.

„‘Bewachen, behüten und bewahren‘ sind ab den 1990er-Jahren zu Leitmotiven des Zeitgeistes avanciert“

Ropohl, Jahrgang 1939, sieht seine Generation geprägt vom Kampf um mehr Freiheit und Selbstbestimmung in jüngeren Jahren - Errungenschaften, die ein neuer Wertewandel zur Disposition stellt: „Bewachen, behüten und bewahren“ sind ab den 1990er-Jahren zu Leitmotiven des Zeitgeistes avanciert, Sicherheit, Umwelt und Gesundheit die höchsten Güter, denen „Persönlichkeitsentfaltung, freudiger Genuss, schöpferische Gestaltung und selbstbewusste Zuversicht […] geopfert“ wurde. Der Sekuritarismus, also der Sicherheitswahn, geprägt von subjektiven Befürchtungen statt von der objektive Bedrohungslage, verfährt nach dem Motto „Sicherheit statt Lebensfreude“; er äußert sich etwa in Diskussionen um eine Helmpflicht für Fahrradfahrer. Der Ökologismus betrachtet die Natur als Selbstzweck, statt als Möglichkeitsraum, den sich der Mensch selbstbewusst zu Nutze machen sollte. Die Verhinderung sinnvoller Bauprojekte wegen des angeblichen Auftretens irgendeiner bedrohten, unbekannten Tierart gehört zu dieser Spielart der Besorgnisgesellschaft.

Schließlich spielt der Sanitarismus eine große Rolle, und diesem Thema widmet sich der Autor am Eingehendsten. Diesem Begriff einer gesundheitsfundamentalistischen Ideologie hatte vor wenigen Jahren Walter Wippersberg noch entgegengehalten, man solle lieber von einer Gesundheitsreligion sprechen. [1] Ropohl stellt – ohne ausdrücklichen Bezug – nun klar, dass beide Vorstellungen in keinem Widerspruch zueinander stehen, indem er den Sanitarismus als säkularisierte „Ersatzreligion“ beschreibt. [2]  Hierbei geht es um drei Entwicklungen, die sich im Namen der Gesundheit ausbreiten:

  • Die Medikalisierung der Gesellschaft, die möglichst viel normales menschliches Verhalten pathologisiert, auch den – nach Maßstäben des ‚gesunden‘ Menschenverstandes – gar nicht Kranken als Patienten begreift und in uferlose Vorsorgebestrebungen ausartet.
  • Den Tendenzen des Transhumanismus und des Human Enhancement, die den Menschen durch künstliche Veränderungen aller Art auf eine neue Entwicklungsstufe heben wollen, und die Ropohl als ganz und gar nicht humanistisch betrachtet, da sie seiner Auffassung nach auf dem Verständnis des Menschen als Mängelwesen beruhen, dessen Defizite ausgeglichen werden müssten.
  • Die Public-Health-Bewegung (die man heute nicht mehr beim Namen Volksgesundheit nennen darf) mit ihrem Anspruch, im Namen eines kollektiven Heils diverse Eingriffe in den Lauf des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nehmen zu können, ob nun beim Alkohol oder beim Körpergewicht.


In diesem Kontext spielt sich Tobacco Control (dt. Tabakbekämpfung) ab, ein mit missionarischem Eifer verfolgtes Projekt der Entnormalisierung des Tabakkonsums, das heute in Form von Rauchverboten, Warnhinweisen und Steuern das Leben mitbestimmt. Günter Ropohl, der seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts hierzu vielfältig publiziert hat, beleuchtet dabei die historische Entwicklung der organisierten Strukturen im letzten halben Jahrhundert, mit der Weltgesundheitsorganisation als Spinne im Netz, von einschlägigen WHO-Konferenzen über internationale Verträge bis zu konkreten Gesetzgebungsmaßnahmen in einzelnen Staaten.

„Er entlarvt die Legende des gesundheitsschädlichen Umgebungsrauchs in allen wissenschaftlichen Punkten“

Er entlarvt die Legende des gesundheitsschädlichen Umgebungsrauchs in allen wissenschaftlichen Punkten, und nimmt auch das gängige Mantra vom tödlichen Tabakrauchen unter die Lupe. Bei wem in welchem Maße der Tabakgenuss als ursächlich für einen früheren Tod oder ein bestimmtes Leiden betrachtet werden kann, steht nach strengen wissenschaftlichen Kriterien zumeist in den Sternen, zumal Aggregatdaten zu wenig über den Einzelfall aussagen, als dass sie hier dem Individuum einen genauen Lebensweg leuchten könnten. Der Autor enttarnt dabei einige der textlichen Warnungen auf den Tabakpackungen als bewusst manipulative Propagandaprosa, „von der Halbwahrheit über die Irreführung bis zur eindeutigen Lüge“.

Die Mär von der schwarzen Raucherlunge, die unseriöse Konstruktion der „Sucht“ des Tabakkonsumenten und die angreifbare Gesundheitsdefinition der WHO kommen genauso zur Sprache wie die problematischen Folgen der Anti-Tabak-Maßnahmen, z.B. der Niedergang der Kneipen. Hierin sieht Ropohl, wie von ihm schon früher notiert [3], einen „neue[n] Klassenkampf, ein[en] Klassenkampf von oben“, bei dem eine Mittel- und Oberschicht die Gewohnheiten, die sie sich selbst, als Träger der Besorgnisgesellschaft, versagt hat (schon aus Gründen des Zeitgeistes) systematisch einer „Unterschicht“ aus u.a. LKW-Fahrern und Verkäuferinnen missgönnt, die einen anderen Lebensstil pflegt. Dass der Autor selbst, wiewohl emeritierter Professor der Allgemeinen Technologie an der Universität Frankfurt, offenbar ein gutes Glas Wein dem Besuch eines Fitnessstudios vorzieht, legt allerdings nahe, dass hier soziale Milieus eine Rolle spielen, und keine stringente Stratifizierung der Gesellschaft nach Bildungs- oder Kontostand. Ein solches Milieu definiert er ansatzweise als „neue Gartenlaubengeneration in dumpfer Selbstgenügsamkeit [suhlend], wenn sie sich behütet, naturnah und gesund wähnt“. Als politische Partei bilden primär die Grünen „Sammelbecken eines betulichen Kleinbürgertums“, wobei der SPD ein Verrat an ihrer früheren Klientel anzulasten ist.

„Ropohl warnt eindringlich vor einer Gesundheitsdiktatur“

Ropohl warnt eindringlich vor einer Gesundheitsdiktatur, die sich aus folgenden Quellen speist: dem Sanitarismus, der Besorgnisgesellschaft, und der Unterstützung durch Profiteure wie einigen pharmazeutischen Konzernen, die Mittel zum Tabakverzicht bereitstellen, darunter das nicht namentlich erwähnte Champix (Chantix), welches in den USA als so gefährlich eingestuft wird, dass es z.B. Piloten regierungsamtlich verboten wurde. [4]

Mit seinem Werk gelingt es dem Autor, einen Bogen von der Kritik des gesellschaftlichen Zeitgeistes zu konkreten Fragen der Anti-Tabak-Bewegung zu spannen. Den zweiten Punkt erfasst er in seiner ganzen Breite. Das meinungsfreudige Buch zeichnet sich durch gute Lesbarkeit aus, die durch seine Kürze und sein handliches Format weitere Unterstützung erfährt. Demgegenüber steht jedoch, dass die empirische Unterbauung seiner These von der Besorgnisgesellschaft etwas knapp und bruchstückhaft ausfällt, was zu weiteren Untersuchungen anregen sollte. Insgesamt lohnt sich die Lektüre der Besorgnisgesellschaft für alle, die am Zustand unserer Gesellschaft interessiert sind.

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