17.05.2021

Wollen die Grünen die ganze Welt regieren?

Von Sabine Beppler-Spahl

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Foto: richardhe51067 via Flickr / CC BY 2.0

Warum ein Änderungsantrag mehr über die Partei sagt, als viele denken.

„Deutschland. Alles ist drin”, lautet der Titel des Wahlprogramms der Grünen. Wir können davon ausgehen, dass er, wie alles in dem Programmentwurf, sorgfältig von PR-Spezialisten ausgearbeitet wurde. Und doch steckt in diesem kurzen Titel ein Wort, das im Vorfeld des Grünen-Parteitags für große Aufregung gesorgt hat: „Deutschland“. Grüne Politik solle sich an der Menschenwürde und Freiheit in einer globalisierten Welt ausrichten und nicht an Deutschland, erklärt Michael Sebastian Schneiß. Er hatte einen Änderungsantrag eingereicht, dem sich 300 weiteren Parteimitglieder angeschlossen haben und der die Streichung des Wortes fordert.

Angesichts der guten Umfragewerte der Grünen kommt dieser Streit den anderen Parteien nicht ungelegen. „Kannste dir nicht ausdenken" twitterte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der den Antrag offensichtlich als ein weiteres Beispiel für eine aus dem Ruder gelaufene Sprachzensur ansieht. In seinem Tweet listet er Gedichte und Lieder auf, aus denen das Wort „Deutschland“ ebenfalls gestrichen werden könne, wie z.B. Heinrich Heines Versepos „Deutschland. Ein Wintermärchen”. Andere, darunter der CDU-Politiker Gordon Hoffmann, sehen eine typisch linke Selbstverachtung am Werk: „Wenn sich die Grünen so für Deutschland schämen – warum wollen sie Deutschland dann regieren?”, schrieb er, ebenfalls auf Twitter.

Diese Kritik trifft nicht, was wirklich hinter der Mitglieder-Revolte steckt. Die Forderung, das Wort „Deutschland" zu entfernen, ist eher dem missionarischen Eifer der Grünen geschuldet und weniger Ausdruck einer fehlgeleiteten politischen Korrektheit. Die Grünen haben sich schon immer lieber als eine Bewegung oder Kampagne präsentiert – und weniger als eine politische Partei im klassischen Sinne. Traditionelle Parteien nehmen für sich in Anspruch, die Interessen einer Wählergruppe zu vertreten. So wurden die Sozialdemokraten zum Beispiel einst gegründet, um der deutschen Arbeiterklasse eine Stimme im Parlament zu geben. (Lang ist’s her.) Die Grünen hingegen glauben, ihre Mission sei die Rettung der Welt.

„Grüne und andere Technokraten wollen über dem Nationalstaat schweben. Sie wollen Politik frei von den Zwängen des Demos machen."

Die Anhänger der Grünen sind stolz darauf, dass ihre Partei über dem kleinlichen politischen Gezänk steht. Sie sehen sich als Teil einer Bewegung, die für all das eintritt, was richtig, gut und notwendig ist. Ihr Augenmerk gilt nicht den engen materiellen Interessen irgendeines Teils der Bevölkerung. Oder diesem Land: Deutschland. Nein! Sie stehen für „Die Wissenschaft" und „Den Planeten". Ist es da verwunderlich, dass die Mitglieder dieser Partei mit einem derart aufgeblasenen Selbstbild behaupten, sie würden Politik für mehr als nur die eigenen Staatsbürger machen? Die Themen, die die Grünen bewegen, wie der Klimawandel, respektieren schließlich keine nationalen Grenzen – und so tun es auch große Teile ihrer Mitglieder nicht. Ihre Politik orientiert sich nicht an den Interessen des Wahlvolkes eines Landes, in dem sie zufällig wohnen, sondern an „planetaren Leitplanken“.

Allerdings gibt es hier ein kleines Problem: Obwohl sich die deutschen Grünen als Retter der ganzen Welt präsentieren, müssen sie immer noch um die Stimmen der Wähler im eigenen Land werben. Wegen dieser kleinen Unannehmlichkeit ist auch der Änderungsantrag für die Parteiführung ein wenig peinlich. Sie hätte es lieber gesehen, wenn das Wahlprogramm abgenickt worden wäre, ohne allzu viele Debatten auszulösen. Die Grünen wissen, dass sie, um die Wahl zu gewinnen, Wähler jenseits ihrer üblichen Klientel überzeugen müssen. Und diese Wähler werden ein Programm, das nicht einmal den Anspruch erhebt, für sie geschrieben worden zu sein, wohl kaum übermäßig schätzen. Die meisten Menschen glauben immer noch, dass politische Parteien in einem demokratischen Staat ihre Interessen als Individuen, als Mitglieder einer bestimmten Gruppe oder auch des Landes vertreten sollten. Nur wenige wollen, dass die zur Wahl stehenden Parteien gleich die ganze Menschheit (der Zukunft) sowie die belebte und unbelebte Natur repräsentieren.

Zwar hat sich die Führung der Grünen gegen den Änderungsantrag ausgesprochen, aber deutlich geworden ist doch, wie sehr die Partei mit den technokratisch-globalpolitischen Regierungsformen verbunden ist, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Es mag zwar „inklusiv" klingen, für die Welt und nicht nur für Deutschland zu sprechen, aber in Wirklichkeit werden dadurch Demokratie und Staatsbürgerschaft in Frage gestellt. Grüne und andere Technokraten wollen über dem Nationalstaat schweben. Sie wollen Politik frei von den Zwängen des Demos machen. Das sollten die Wähler bei ihrer Stimmabgabe bedenken.

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