24.04.2017

Wie Technik die Natur befreit (Teil 2/4)

Analyse von Jesse Ausubel

Titelbild

Foto: Pexels via Pixabay / CC0

Durch technologische Fortschritte in Forst- und Landwirtschaft sowie veränderte Produktions- und Konsummuster geht die Nutzung von wichtigen Ressourcen wie Holz, Wasser und Mineralstoffen zurück.

Das ist der zweite Teil eines Artikels zur Effizienz der Landnutzung:

Teil 1: Wie Technik die Natur befreit (1/4)

Forest Transition

Forstwirte sprechen von einer „Forest Transition“, wenn eine Nation wieder mehr Waldflächen gewinnt als verliert. Frankreich verzeichnete 1830 die erste Forest Transition. Seitdem hat sich dort nicht nur die Bevölkerung verdoppelt, sondern auch die Größe der Wälder. Anders gesagt: Der Waldverlust hat sich von der Bevölkerungsentwicklung entkoppelt. Legt man die Anzahl der Bäume zugrunde, erlebte Amerika schon 1950 seine Forest Transition, flächenmäßig schließlich dann im Jahr 1990. Die Forest Transition begann bereits im Jahr 1900, als Connecticut und Dutzende andere Staaten beinahe keine Waldflächen mehr besaßen. Teddy Roosevelt würde das satte Grün in New England, Pennsylvania und New York heute kaum mehr wiedererkennen. Er kannte die Staaten als Weizenfelder, Weideflächen für Schafe und nackte Berghänge, die Holzfällern zum Opfer gefallen waren.

Genauso wie das Erreichen des Scheitelpunkts in der Ackerlandnutzung fordert die Forest Transition Anstrengungen von der Nachfrage- und der Angebotsseite. Forstwirte können das Holzangebot durch die Verbesserung von Ernte und Anpflanzungen optimieren. Alleine schon bevorzugt Holz in warm gelegenen, schnell- wachsenden Wäldern zu ernten als in kühl gelegenen, langsam wachsenden Wäldern, kann einen großen Unterschied machen. Ein Hektar amerikanischen Waldes in kühler Lage bringt 3,5 Kubikmeter Holz pro Jahr. Dagegen liefert ein Hektar in warmer Lage jährlich eine Ernte von 7,4 Kubikmetern! 1 Eine Verlagerung der amerikanischen Holzernte zwischen 1976 und 2001 von kühleren Regionen in den warmen Südwesten hat die abgeholzten Flächen von 17,8 Millionen auf 14,7 Millionen Hektar reduziert. Das ist mehr als die Waldfläche des Yellowstone-Nationalparks (0,9 Millionen Hektar) oder der von Connecticut (1,3 Millionen Hektar).

„In Waldkulturen lässt sich Holz deutlich effizienter produzieren als in Wäldern, die nicht entsprechend verwaltet werden.“

In Waldkulturen lässt sich Holz deutlich effizienter produzieren als in Wäldern, die nicht entsprechend verwaltet werden. Sie können eine steigende Nachfrage besser erfüllen und schonen andere Wälder zum Zwecke der Biodiversität und für andere Vorzüge. Der Anbau in Plantagen statt in natürlichen Wäldern hat auf den Holzertrag übrigens einen noch größeren Einfluss als die warme oder kühle Lage des Waldes. Brasilianische Eukalyptus-Plantagen liefern jährlich 40 Kubikmeter Nutzholz pro Hektar: fünfmal so viel wie ein natürlicher Wald in warmer Lage und zehnmal so viel wie ein kühler, nördlich gelegener Wald. In den letzten Jahren stammte rund ein Drittel der Holzerträge aus Plantagen. Sollte sich dieser Anteil auf 75 Prozent erhöhen, könnte sich die Fläche der abgeholzten natürlichen Wälder um die Hälfte reduzieren. Allein die Tatsache, dass Bäume in Plantagen doppelt so schnell wachsen wie in Wäldern, bedeutet, dass die Ernte eines Hektars Plantagenholz zwei Hektar natürlichen Wald verschont.

Ähnlich aufschlussreich sind die Vorgänge auf der Nachfrageseite: Früher nutzten wir Holz, um unsere Häuser zu heizen und z.B. – diese Nutzung ist heute fast vergessen – für Eisenbahnschwellen. Das „Eiserne Pferd“ war tatsächlich ein hölzernes – seine Schienen waren auf zahllosen Bäumen gebettet, aus denen Schwellen und Brücken gearbeitet waren. Auch die Züge selbst bestanden aus hölzernen Waggons. Leland Stanford, der Präsident der Southern Pacific Railroad und der Central Pacific Railroad während ihrer größten Expansion, war vermutlich der fleißigste „Abholzer“ in der Geschichte der Menschheit. Es ist keine Überraschung, dass er deshalb einer der größten öffentlichen Befürworter für den Erhalt der Wälder war; er wusste schließlich, wie sehr ihnen der Eisenbahnbau zusetzte. Die Forstverwaltung der Vereinigten Staaten wurde um 1900 gegründet, was vor allem aufgrund des erwarteten Nutzholz-Mangels durch die Erweiterung der Eisenbahnen geschah.

„ARPANET und die Erfinder der E-Mail verdienen einen Orden für die Rettung der Wälder!“

Zum Glück für die Natur war das Schienennetz irgendwann groß genug. Durch Teeröl konnte das Holz länger konserviert werden und Beton ersetzte es schließlich. Schaut man sich die drei größten Nutzungsbereiche für Holz an – Brennstoff, Baumaterial und Papier – so wird deutlich, dass es als Energierohstoff und Baumaterial seit 1960 an Bedeutung verloren hat. Die Weltproduktion insgesamt ist gesättigt. Die Papiernachfrage stieg beständig. Allerdings, nach Jahrzehnten unerfüllter Prognosen über eine „papierlose“ Gesellschaft ließen Westküsten-Magnate wie Steve Jobs und Jeff Bezos mit ihren E-Readern und Tablets den Markt für Zellstoff und Papier – dem letzten starken Sektor für Holzprodukte – bröckeln. Zeitungskiosks und Schreibwarenläden sind Relikte vergangener Zeiten. Viele Papierprodukte wie Stenoblöcke oder Endlospapier sind inzwischen als Exponate im Technikmuseum zu bestaunen. E-Mails haben die Briefpost abgelöst. Expresszustellungen in Amerika sind allein zwischen 2007 und 2012 um ein Viertel zurückgegangen. Als Angestellter der Rockefeller-Universität würde ich an dieser Stelle gerne anmerken, dass John D. Rockefeller die Wale gerettet hat, indem er Walrat durch Petroleum ersetzte. ARPANET und die Erfinder der E-Mail verdienen einen Orden für die Rettung der Wälder!

„Fortschritte in der Land- und Forstwirtschaft führen zu einer globalen ‚Ergrünung‘.“

Fortschritte in der Land- und Forstwirtschaft sowie neue Technologien, die den Bedarf bestimmter Rohstoffe wie Holz senken, führen zu einer globalen „Ergrünung“, dem wichtigsten ökologischen Trend für unsere Erde. Die Biosphäre an Land wird Jahr für Jahr größer, und das in einer Größenordnung von über zwei Milliarden Tonnen. Forscher finden heutzutage wöchentlich Beweise hierfür, in den wüstenhaften Regionen Australiens und Afrikas ebenso wie im feuchten Deutschland und den nördlichsten Wäldern. Der wahrscheinlich offensichtlichste Grund hierfür ist die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Tatsächlich leiten Landwirte Kohlendioxid in ihre Gewächshäuser, damit die Pflanzen besser gedeihen. Die meisten Pflanzen brauchen Kohlendioxid, um sich wohl zu fühlen. Außerdem hilft es Pflanzen dabei, bei gleichem oder sogar geringerem Wasserbedarf schneller zu wachsen.

Charles David Keeling und Ralph Keeling aus Kalifornien fertigen seit 1958 detaillierte Aufzeichnungen über das Kohlendioxidgehalt in der Biosphäre an. Die immer größer werdende Amplitude, welche die jahreszeitlichen Schwankungen des Kohlendioxidgehalts erfasst – im Winter entlässt die Biosphäre CO2 in die Umwelt, im Sommer nimmt sie CO2 auf –, ist ein weiteres Zeugnis der beständigen Zunahme des Kohlendioxidgehalts. Dabei handelt es sich um ein globales Phänomen, welches das Potenzial hat, in vielen Regionen der Welt zu einer Vergrößerung der Biosphäre beizutragen.

„In manchen Gegenden hat sich aufgrund der globalen Erwärmung die Anbausaison verlängert.“

In manchen Gegenden, vor allem in höheren Lagen der nördlichen Hemisphäre, hat sich wohl aufgrund der globalen Erwärmung die Anbausaison verlängert. Die längeren Wachstumsphasen der Pflanzen lassen sich besonders gut in Finnland beobachten. Manche Regionen, u.a. in Afrika südlich der Sahara, berichten von mehr Regen und mehr Vegetation. Vergleiche von Satellitenbildern durch Ranga Myneni und Kollegen zeigen für die Biosphäre von 1982 bis 2011 wenige braune, dafür enorme Ausdehnungen grüner, vegetationsreicher Flächen.

Neben dem Scheitelpunkt für Ackerland und Nutzholz hat Amerika inzwischen auch das Maximum seiner Nutzung anderer Ressourcen erreicht. Noch in den 1970er-Jahren ging man davon aus, dass Amerikas immer größer werdender Appetit jedes einzelne Metall- und Mineralvorkommen in der Erdkruste über kurz oder lang erschöpfen wird. Stattdessen geschah etwas Überraschendes: Trotz des rasanten Bevölkerungswachstums ging der Ressourcengebrauch zurück. Für jeden neuen Dollar, den die Wirtschaft generierte, wurden weniger Kupfer und Stahl benötigt als zuvor – nicht nur in relativen, sondern auch in absoluten Zahlen. Die Nutzung von neun elementaren Rohstoffen bleibt seit 20 Jahren auf einem konstanten Niveau oder geht sogar zurück. Seit 1990 reduzieren die Amerikaner sogar ihren Plastikverbrauch. Amerika hat angefangen sich zu dematerialisieren.

Die Wende in der Nutzung mancher dieser Rohstoffe überraschte mich so sehr, dass ich gemeinsam mit Iddo Wernick und Paul Waggoner eine detaillierte Untersuchung über die Nutzung von 100 Rohstoffen in den Vereinigten Staaten von 1900 bis 2010 durchführte. Diese Rohstoffe umfassten alles von Arsen und Asbest bis Wasser und Zink. Die sprunghaft ansteigende Nutzung vieler dieser Ressourcen bis 1970 lässt nachvollziehen, weshalb die Amerikaner genau in diesem Jahr den Earth Day einführten. Von den 100 untersuchten Rohstoffen haben 36 bereits ihren Scheitelpunkt in absoluten Zahlen erreicht, darunter die Schmuddelkinder Arsen und Asbest. Weitere 53 haben ihr Maximum relativ zum Umfang der Wirtschaft erreicht. Die meisten scheinen im Begriff zu sein zu fallen: Anbaufläche, Stickstoff und sogar Elektrizität und Wasser. Nur bei 11 der insgesamt 100 Rohstoffe steigt die Nutzung in Amerika noch, sowohl relativ als auch absolut. Dies betrifft Hühnchen, den Gewinner unter den Fleischsorten, sowie die Elemente Gallium und Indium, die im technischen und chemischen Bereich, beispielsweise zur Dotierung von Halbleitern oder für Legierungen, verwendet werden.

Manche Aspekte dieser Dematerialisierung überraschen wenig. Man denke nur daran, wie ein einziges Smartphone in Taschengröße inzwischen einen Wecker, eine Taschenlampe und Abspielgeräte samt CDs und DVDs ersetzt. Allerdings dürfte es sogar die Wasser sparenden Kalifornier überraschen, wie sich die Wasserentnahme seit 1970 in Amerika verändert hat: Experten aus den 1970ern sagten eine zunehmende Wassernutzung bis zum Jahr 2000 vorher. Tatsächlich hat sich der Wasserverbrauch aber auf einem konstanten Niveau stabilisiert. Während die Bevölkerung Amerikas um 80 Millionen zunahm – so viele Menschen leben in der Türkei –, blieb der Wasserverbrauch gleich. Daten des Geologischen Dienstes der USA von 2010 zeigen sogar, dass der Verbrauch von Wasser inzwischen unter das Niveau von 1970 gefallen ist. Die Produktion von Mais hat sich seitdem übrigens verdreifacht. Effizientere Wassernutzung in der Landwirtschaft und in der Elektrizitätsgewinnung tragen am meisten zu dieser Entwicklung bei.

Abbildung 2: Gesamte Wasserentnahme in den USA: absolut (ABS) und relativ (IOU) zum Bruttoinlandsprodukt (Quelle: Geologischer Dienst der USA (2013), S. H. Williamson, „What was the U.S. GDP then?“, Measuring 2014)

Das war der zweite Teil eines Artikels zur Effizienz der Landnutzung:

Teil 3: Wie Technik die Natur befreit (3/4)
Teil 4: Wie Technik die Natur befreit (4/4)

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