07.10.2022

Werden wir immer im Schatten von Corona leben?

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: WaltiGoehner via Pixabay / CC0

Das neue Infektionsschutzgesetz ist das Produkt einer Regierung im Dauerkrisenmodus.

Die Koalition scheint darauf bedacht, ihren ersten vollen Winter im Amt so dunkel, einsam und kalt wie möglich zu gestalten. Die Stimmung in Deutschland ist düster. Die Menschen haben kein Vertrauen, dass sie die Probleme lösen kann – und es scheint, als habe sie aufgegeben, es zu versuchen.

Unser größtes Problem ist natürlich die Energiekrise. Diese hat bereits zu einer ständigen Flut von schlechten Nachrichten geführt: Stromausfälle werden wahrscheinlicher, Krankenhäusern droht die Schließung, die Insolvenzen nehmen zu. Hallenbäder, Museen und Kirchen werden kalt bleiben. Selbst die Berliner Weihnachtsbeleuchtung – eine liebgewonnene Wintertradition – wird in diesem Jahr wohl ausfallen. Lösungen für die Krise zu finden fällt der Regierung schwer (nur widerwillig hat sie die Laufzeit von zwei Atomkraftwerken verlängert und Fracking zur Gasgewinnung weiterhin ausgeschlossen). Stattdessen appelliert sie an die Bürger, ihren Energieverbrauch drastisch zu senken.

Als wenn das nicht schon düster genug wäre, schürt die Koalition mit ihrem neuen Infektionsschutzgesetz die Corona-Angst wieder an. Während andere europäische Länder die strengen Masken- und Testpflichten längst abgeschafft haben, bleiben sie hierzulande bestehen. Hinzu kommt, dass die Landesregierungen jederzeit weitere Beschränkungen, einschließlich Masken im Freien und Versammlungsverboten, einführen können.

Werden die Deutschen für immer im Schatten des Corona-Virus leben müssen? Schon jetzt hat die Regierung ihr Versprechen vom letzten Herbst gebrochen, bis März dieses Jahres alle Maskenpflichten aufzuheben. Das neue Gesetz ermutigt die Corona-Lobby, noch weitere, strenge Maßnahmen zu fordern. So hat z.B. der Deutsche Lehrerverband Nachbesserungen beim Gesetz gefordert und kritisiert, dass die Grundschulen von einer möglichen Wiedereinführung der Maskenpflicht ausgenommen werden sollen.

„Das Gesetz ist ein Produkt der unsteten deutschen Regierungskoalition, die die unterschiedlichen Interessen ihrer Wählerschaft – von den radikalen Grünen über die staatsfixierten Sozialdemokraten bis hin zu den neoliberalen Freien Demokraten – unter einen Hut bringen muss."

Die neue Corona-Politik ist ein Sammelsurium von Widersprüchlichkeiten. Sie ist ein Produkt der unsteten deutschen Regierungskoalition, die die unterschiedlichen Interessen ihrer Wählerschaft – von den radikalen Grünen über die staatsfixierten Sozialdemokraten bis hin zu den neoliberalen Freien Demokraten – unter einen Hut bringen muss. In der Tat wird die Regierungspolitik in fast allen Bereichen – von der Energiekrise über den Ukraine-Krieg  bis hin zu Covid-19 – anscheinend wahllos zusammengeschustert, und zwar auf eine Weise, die niemanden zufrieden stellt. Die Regierung hat keine kohärente, leitende Philosophie. Ihre einzige Priorität ist ihr eigenes Überleben.

Die Online-Zeitung The Local schreibt: Deutschlands Corona-Regeln für das Winterhalbjahr sind ein riesiges Durcheinander jenseits jeder Parodie. Warum sollten in allen U-Bahnen Masken getragen werden müssen – auch wenn sie leer sind –, aber nicht auf überfüllten Bahnsteigen? Warum sollten höhere Infektionsraten zu neuen Beschränkungen führen, wenn die Krankheit für die große Mehrheit der Menschen inzwischen mild verläuft? Justizminister Marco Buschmann, der das Gesetz zusammen mit unserem hysterischen Gesundheitsminister ausgehandelt hat, kann diese Fragen sicher nicht beantworten. Stattdessen spricht er von einem vernünftigen Kompromiss und der Rückkehr zu einer „verantwortbaren Normalität".

Die Folge ist ein sich verbreitender Zynismus in der Bevölkerung. Laut einer Umfrage vom September trauen über 60 Prozent der Wähler keiner Partei mehr zu, die Probleme des Landes zu lösen. Und eine weitere Umfrage ergab, dass über zwei Drittel der Deutschen den deutschen Staat für mit der Erfüllung seiner Aufgaben überfordert halten. Schon 2019, vor der Pandemie, sagte der Bundesvorsitzende des dbb, Ulrich Silberbach: „Wir haben besorgniserregende Anzeichen für einen generellen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates in Deutschland“. 

„Der Eindruck eines überforderten, dysfunktionalen Staates hat sich seit der Pandemie noch verstärkt."

Dieser Eindruck eines überforderten, dysfunktionalen Staates hat sich seit der Pandemie noch verstärkt. Nicht zuletzt deshalb, weil viele Staatsbedienstete ihre Büros seit Beginn der ersten Lockdowns kaum noch betreten haben. Viele Angestellte im öffentlichen Dienst gehören zu denen, die am eindringlichsten davor warnen, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei, und ihr Recht auf Homeoffice geltend machen. Aber das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Staat wird nicht wiederhergestellt, wenn sich die Beamten und Angestellten zu Hause verkriechen.

Dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die politischen Parteien noch geringer ist, überrascht kaum. Zahlreiche Skandale haben gezeigt, dass viele Politiker ihre eigenen Corona-Gesetze (und damit auch ihre eigenen Bürger) nicht besonders ernst nehmen. Zuletzt haben Aufnahmen von Robert Habeck während seines Kanada-Flugs für Ärger und Spott gesorgt. Die Bild-Zeitung wetterte: „Maskenextrawurst für unsere Spitzenpolitiker“. Vor allem wegen dieser Fotos wurde die Maskenpflicht in Flugzeugen gekippt – was dann natürlich wieder zu der Frage führt, warum das gefürchtete Virus anscheinend Flugzeuge verschont, nicht aber Züge oder Busse.

Viele haben die Ungereimtheiten des neuen Infektionsschutzgesetzes kritisiert, und viele weitere leisten passiven Widerstand. In der Berliner U-Bahn bedeckt ein beträchtlicher Teil der Fahrgäste Nase und Mund nicht richtig (trotz regelmäßiger Ermahnungen aus dem Lautsprecher, die auf die Pflicht hinweisen). Auch andere Proteste gegen die Covid-Maßnahmen kündigen sich wieder verstärkt an. Die Regierung erwartet dagegen von den Bürgern, dass sie sich im Winter vor Corona und der Kälte verstecken. Die Wähler haben wahrlich Besseres verdient.

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