14.06.2017

Was bringt der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit?

Von Novo-Redaktion

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Foto: andreas160578 via Pixabay / CC0

Eine Novo-Diskussionsveranstaltung mit Alexander Horn widmete sich der Frage, ob das Streben nach „sozialer Gerechtigkeit“ den Lebensstandard der Armen tatsächlich verbessert.

„Soziale Gerechtigkeit“ steht in der politischen Debatte hoch im Kurs. Das erkennt man nicht nur an der (bislang erfolglosen) Gerechtigkeitsrhetorik des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Forderungen nach „mehr Umverteilung“ gehören zum Standardrepertoire innenpolitischer Diskurse, wie auch der Ruf nach „angemessenen“ Mindestlöhnen und der Begrenzung von Managergehältern. Um dieses Thema ging es bei einer Diskussionsveranstaltung von Novo am 7. Juni 2017 in Frankfurt/Main. In seinem Einleitungsvortrag legte der Unternehmensberater Alexander Horn, zugleich Geschäftsführer und wirtschaftspolitischer Redakteur von Novo, dar, dass die Furcht vor einem ökonomischen Auseinanderdriften nicht nur die (oberen) Mittelschichten in Deutschland beschäftigt. Auch die internationalen Oberschichten und Eliten haben das Thema für sich entdeckt.

„Soziale Gerechtigkeit“, so Horn, wird mittlerweile in globalen Elitendiskursen als drängendes Problem angesehen. So befürwortet etwa die OECD, die einst ein wichtiger Protagonist einer forcierten Liberalisierung der Weltwirtschaft war, mittlerweile eine progressive Besteuerung großer Vermögen. Auch die britische Konservative Partei unter Premierministerin Theresa May ist in Richtung eines „Post-Liberalismus“ umgeschwenkt und bricht damit endgültig mit den wirtschaftsliberalen Vorstellungen von Margaret Thatcher. Und auch das Weltwirtschaftsforum in Davos versammelt eine globale Elite, die sich ständig auf soziale Gerechtigkeit beruft und damit ihre Selbstzweifel am marktwirtschaftlichen Konsens offenbart.

Es stellt sich die Frage, ob hinter dieser Sorge um „soziale Gerechtigkeit“ wirklich das Bestreben nach Verbesserung der Lebensumstände benachteiligter Bevölkerungsschichten steckt. Laut Alexander Horn sind Zweifel durchaus angebracht. Zum einen sei die objektive Faktenlage zum Thema „soziale Spaltung“ – nüchtern betrachtet – zumindest in Deutschland keineswegs so besorgniserregend, wie prominente Armutsforscher und Vertreter von Wohlfahrtsverbänden seit Jahren behaupten. Durch bestehende Umverteilungsmechanismen werde die ökonomische Ungleichheit bereits jetzt abgemildert. Zwar gebe es den Trend zu stagnierenden oder gar sinkenden Löhnen, von dem seit zwanzig Jahren die unteren 40 Prozent der Bevölkerung betroffen seien. Doch habe sich dieser Trend seit 2005 nicht weiter fortgesetzt. Auch könne er nur vor dem Hintergrund der internationalen Arbeitsteilung und des Aufstiegs der Schwellenländer betrachtet werden.

Der wahre Hintergrund der Furcht vor „sozialer Spaltung“ liegt, so Horn, nicht in der eher moderaten Entwicklung der ökonomischen Ungleichheit, deren Ursachen ohnehin unzulänglich erfasst werden. Der eigentliche Grund, weshalb das Thema „soziale Gerechtigkeit“ heute so dominant erscheint, liegt vielmehr in der Entfremdung verunsicherter Eliten von der breiten Masse der Bevölkerung. Diese Entfremdung komme nicht zuletzt im Brexit oder der Wahl Donald Trumps zum Ausdruck. Weniger das Gefühl ökonomischen „Abgehängtseins“, sondern vielmehr der Eindruck einer politischen Entkoppelung, sei der wahre Hintergrund für die aktuellen Gerechtigkeitsdebatten. So herrscht schon seit vielen Jahren der Eindruck vor, dass die politischen Eliten ihre Führungsrolle nicht mehr angemessen wahrnehmen. Sie betreiben zunehmend eine unberechenbare und für die Wählerschaften kaum nachvollziehbare Ad-hoc-Politik.

Beispielhaft hierfür ist das planlose und aus der Not geborene Agieren von Kanzlerin Merkel im Zuge der Flüchtlingskrise. Auch die sogenannte Eurorettung hat den Eindruck eines Autoritätsverlustes der etablierten Politiker entstehen lassen. Sie sind immer weniger in der Lage, dezidierte Positionen zu vertreten und die Wähler von der Richtigkeit ihrer Politik zu überzeugen. Stattdessen verstecken sie sich hinter den intransparenten Strukturen der EU – nicht zuletzt der völlig undemokratisch agierenden EZB. Im Zuge der Verlagerung politischer Verantwortung auf bürgerferne Instanzen und Kommissionen ist ein ideelles und konzeptionelles Vakuum entstanden. Die Politik, so Alexander Horn, versucht, dieses Vakuum mittels einer nebulösen „Ersatzpolitik“ der „sozialen Gerechtigkeit“ zu füllen. Dabei versucht sie, neue Legitimität zu gewinnen, indem sie an das unter den Bürgern durchaus vorhandene Gefühl eines „gesellschaftlichen Auseinanderdriftens“ anknüpft.

Diese „Ersatzpolitik“ erschöpft sich jedoch in einem oberflächlichen Herumdoktern an den Symptomen einer seit Jahrzehnten stagnierenden Wirtschaft. Letztlich, so Horn, füge sich der gefühlige Gerechtigkeitsdiskurs in die in den meinungsbildenden Schichten unserer Gesellschaft fest verankerte Wachstumsskepsis ein. Die Debatte um soziale Gerechtigkeit verschärfe auf diese Weise die schlechte soziale Lage der unteren Gesellschaftsschichten, statt diese zu beheben. Statt für neue wirtschaftliche Dynamik zu sorgen, die vor allem den unteren Gesellschaftsschichten neue Lebens- und Entwicklungschancen eröffnen würde, befördert die aktuelle Politik laut Horn die Vorstellung angeblich „begrenzter“ Ressourcen, die streng rationiert verteilt werden müssten. Auf diese Weise werde die Stagnation und Verkrustung unserer Gesellschaft zementiert.

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