08.12.2011

Der schleichende Tod des Wirtschaftswachstums

Kommentar von Alexander Horn

Das fatale Bild des bösen, gierigen Menschen, das seit Jahrzehnten die Umweltdiskussion beherrscht, hält nun auch in der offiziellen Wirtschaftspolitik Einzug.

In Anbetracht der stärksten Rezession der Nachkriegszeit sollte es selbstverständlich sein, dass die neue Bundesregierung entsprechend den Worten der Bundeskanzlerin Angela Merkel „voll auf Wachstum“ setzt. (1) Immerhin hatte die deutsche Industrie im letzten Jahr einen Exportrückgang von fast 15 Prozent zu verdauen, investierte 20 Prozent weniger in neue Maschinen und Anlagen und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass das BIP um fünf Prozent absackte. Milliardenausgaben konnten bisher verhindern, dass die Rezession auf dem Arbeitsmarkt zu schlimmeren Auswirkungen geführt hat. Es gibt also viel zu tun, um die Rückschläge der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder aufzuholen.

Die von der Kanzlerin ausgegebene Devise traf aber offenbar einen Nerv. Bundespräsident Horst Köhler reagierte zwei Tage später mit einer Ansprache aus Anlass der Benennung des Bundeskabinetts, indem er vor „unrealistischen Wachstumshoffnungen“ warnte. Er betonte, es gehe um ein anderes Wachstum, als wir es bisher gewohnt seien. „Der Wandel wird auch unseren Lebensstil verändern – wir werden lernen, mit weniger Verbrauch glücklich und zufrieden zu sein.“ (2) Köhler entspricht mit seinen Ausführungen vollkommen dem Zeitgeist. Selbst in Anbetracht der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren erscheint es nicht opportun, auf Wachstum zu setzen. Im Gegenteil: Wachstum – zumindest die Art von Wachstum, die wir bisher kennen – gilt nicht mehr als Lösung, sondern sogar als Verursacher der gegenwärtigen Krise.

Die Interpretation der gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise – deren Ursache einem entgrenzten, neoliberalen und von der Gier getriebenen Markt zugeschrieben wird – hat die seit den 70er-Jahren zunehmend wachstumsskeptische Grundhaltung massiv bestärkt. Wachstum erscheint heute als inakzeptabel, sofern es primär dem traditionellen Ziel, also der Steigerung des materiellen Reichtums dient. Zur Umschreibung dieser wachstumsskeptischen Grundhaltung und zur deutlichen Abgrenzung gegenüber der traditionellen Wachstumsvorstellung hat sich inzwischen selbst in bürgerlichen Kreisen und den Chefetagen der Wirtschaft der Begriff „nachhaltiges Wachstum“ fest etabliert. Die CDU hat sich diesen Begriff zu Eigen gemacht, offenbar, um einerseits eine gewisse Bekenntnis für Wirtschaftswachstum abzulegen, sich andererseits aber auch klar als wachstumsskeptisch zu positionieren. In ihrer Regierungserklärung vom 10.11.09 betonte Merkel, dass ein „strikter Wachstumskurs“ erforderlich sei, jedoch: „Es geht nicht um Wachstum um des Wachstums willen, sondern um nachhaltiges Wachstum, ein Wachstum, mit dem man an das Morgen und die nächste Generation denkt sowie unsere Lebensumwelt im Blick hat.“ Dies ist keinesfalls nur Rhetorik, wie einige Kommentatoren meinen, sondern gelebte Regierungspolitik.

Das BIP im Visier

Wie dominant die Skepsis gegenüber dem traditionellen Wachstumsbegriff geworden ist, zeigt auch die Neubewertung, die das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erfahren hat. Seit Jahrzehnten gibt es das Bestreben, das Wachstum des BIP als Indikator für Wohlstand abzulösen. So erheben auch die Autoren einer kürzlich für den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy erstellten Studie über die „Messung der wirtschaftlichen Leistung und des sozialen Fortschritts“ einen verbreiteten Vorwurf. Die Orientierung am BIP als Wohlstandsindikator habe bewirkt, dass die heraufziehende Finanz- und Wirtschaftskrise nicht rechtzeitig erkannt wurde. So habe die Orientierung am Wirtschaftswachstum eine zu unkritische Akzeptanz des bunten Treibens auf den Finanzmärkten gefördert. Die EU befindet sich inzwischen offenbar schon „jenseits des BIP“. Bereits vor drei Jahren argumentierte der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, auf einer internationalen Konferenz, dass das BIP als Indikator für Wohlstand ungeeignet sei, denn man könne den „Herausforderungen der Zukunft nicht mit den Werkzeugen der Vergangenheit begegnen“. (3)

Bei der Kritik am BIP geht es nur vordergründig um einen besseren Indikator zur Bewertung des Wohlstands. Es ist nämlich offensichtlich und unbestritten, dass das BIP noch nie dazu geeignet war, den Wohlstand oder gar das Wohlbefinden oder das Glück der Menschen exakt zu beschreiben. Kein Experte (auch nicht Wissenschaftler wie Simon Kuznets, die das BIP in den 30er-Jahren als Messgröße entwickelt haben) würde dies ernsthaft behaupten. Was als legitime Suche nach verbesserten Wohlstandindikatoren daherkommt, beruht im Kern auf einer tief sitzenden Abneigung gegenüber dem BIP, weil es untrennbar mit wirtschaftlichem Wachstum als elementarer Basis für gesellschaftlichen Wohlstand verknüpft ist. Dabei ist es eigentlich paradox, dass die Wachstumsskepsis in der westlichen Welt ihren vorläufigen Höhepunkt in Zeiten fortdauernder wirtschaftlicher Stagnation erreicht. Die meisten Wachstumskritiker ignorieren diese Tatsache. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre ist das BIP in Deutschland jährlich um weniger als 0,5 Prozent gewachsen, obwohl in diesen Zeitraum der Höhepunkt des weltweiten Wirtschaftsaufschwungs um die Jahrtausendwende fällt. Mit diesen fast vernachlässigbaren Wachstumsraten stellt Deutschland durchaus keinen Sonderfall in der westlichen Welt dar.

Finanzkrise als Katalysator der Wachstumsskepsis

Die wachstumsskeptischen Einstellungen sind durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und vor allem durch die Art und Weise, wie die Ursachen der Krise thematisiert wurden, enorm gestärkt worden. Die gegenwärtige Krise wirkt wie ein Katalysator, der Entwicklungen, die bislang im Verborgenen lagen, plötzlich zum Durchbruch verhilft. Das Vertrauen in den Markt wurde fundamental erschüttert. Selbst Verfechter liberalisierter Märkte, wie der Deutsche- Bank-Chef Josef Ackermann, räumten ein, dass ihr Vertrauen in den Markt geschwunden sei. Im Zuge der letzten Monate sind Auffassungen, die noch vor wenigen Jahren als antikapitalistisch oder globalisierungskritisch angesehen wurden, zum Konsens geworden. Der „Neoliberalismus“ gilt nunmehr nicht nur sozialdemokratisch und ökologisch orientierten Kritikern des Kapitalismus als Geißel der Menschheit. Der Markt wird vor allem deswegen einer so vehementen Kritik unterzogen, weil er vermeintlich ein ungezügeltes Wachstumsstreben befördert, das auf die „Gier“ des Menschen zurückgeführt wird. Hinter der seit dem Ausbruch der Krise geführten Diskussion darüber, welche „Leitplanken“ der Kapitalismus benötigt, um nicht zerstörerisch zu wirken, steckt im Kern die allgemeine Auffassung, dass ungezügeltes Wachstum begrenzt werden muss.

Kurt Biedenkopf, einer der wachstumskritischen Vordenker der CDU, begründet die Begrenzung des Kapitalismus folgendermaßen: „Das Wirtschaftswachstum, so wie wir es als notwendige Voraussetzung für die Stabilität unseres Landes begreifen, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer Entgrenzung. Einer Entgrenzung deshalb, weil ein exponentiell nachhaltig wachsendes BIP sich selbst gar keine Grenzen setzt und auch setzen kann. Das wiederum bedeutet, es müssen ihm auf andere Weise Grenzen gesetzt werden.“ (4) Auch Merkel ist davon überzeugt, dass die gegenwärtige Krise durch einen Wachstumsfetischismus verursacht wurde. Auf einer Veranstaltung ihrer Partei mit dem Titel „Nachhaltiges Wachstum – Wege aus der Wirtschaftskrise“ äußerte sie, die Krise habe gezeigt, „was passiert, wenn man jede Form von Wachstum einfach zur Oberprämisse deklariert und sagt: ‚Egal wie – Hauptsache Wachstum, alle Nebeneffekte werden nicht betrachtet.‘“ (5) Zugleich geißelte sie auch die allgemeine Staatsverschuldung, die auch dem Wachstumsfetischismus geschuldet sei, weshalb der Westen „vielfach über die eigenen Verhältnisse gelebt“ habe.

Es geht also offenbar darum, vermeintliche Exzesse zu vermeiden und lieber auf Wachstum zu verzichten, um stabilere Verhältnisse zu gewährleisten. Das hat der Wirtschaftswissenschaftler und Vordenker Hans Christoph Binswanger kürzlich in einem Beitrag zum Bankensystem für die Financial Times Deutschland sehr treffend zusammengefasst. Er schrieb dort, durch seine Vorschläge ließe „sich ein zwar beschränktes, aber kontinuierliches Wachstum der Wirtschaft aufrechterhalten, ohne dass durch eine unkontrollierte Übersteigerung desselben das Risiko des Falls in den Abgrund neuer Krisen ständig erhöht“ würde. (6) Es ist also nicht verwunderlich, dass sich die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zunehmend an den von wachstumskritischen Vordenkern formulierten Auffassungen orientieren und eine umfassende und wachstumshemmende Regulierung der Wirtschafts- und Finanzwelt in vollem Gange ist.

Vermeintliche Grenzen des Wachstums

Die heutige Wachstumsskepsis wurzelt jedoch nicht unmittelbar in der gegenwärtigen Krise. Vielmehr ist es so, dass die wachstumsskeptischen Grundüberzeugungen schon sehr lange unser Denken und Handeln beeinflusst haben und die Krise diesen zum Durchbruch verholfen hat. Bereits auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms nach der Weltwirtschaftkrise der 30er-Jahre und der rasanten Entwicklung des materiellen Wohlstandes aller Bevölkerungsschichten in den westlichen Industriegesellschaften stießen Wachstumskritiker auf Resonanz. So wurde die kritische Auseinandersetzung des linksliberalen US-Ökonomen John Kenneth Galbraith mit der Konsumgesellschaft bereits Ende der 50er-Jahre zu einem Bestseller. Die wachstumskritischen Stimmen mehrten sich vor allem in den 70er-Jahren, als durch den „Club of Rome“ die Grenzen des Wachstums thematisiert wurden und einsetzende Wirtschaftskrisen das Wohlstandwachstum bedrohten. Wachstum wurde vom „Club of Rome“ vor allem als Verbrauch endlicher natürlicher Ressourcen problematisiert. In den 90er-Jahren setzte sich international das Konzept der Nachhaltigkeit durch, womit eine Wirtschaftweise gemeint ist, die immer nur so viele Ressourcen verbraucht, wie sie gleichzeitig wieder neue erschafft. Im Prinzip geht es darum, den Einfluss des Menschen auf die natürliche Umwelt zu begrenzen. In nahezu allen aktuellen Diskussionen über Energie-, Agrar- oder andere Versorgungsthemen dominiert die Einschätzung, dass die Lösung der Probleme in der Begrenzung der menschlichen Ambitionen liegt und menschliche Einflussnahme auf Natur und Umwelt idealerweise vollkommen eliminiert werden sollte.

Durch den Nachhaltigkeitsansatz ist ein extrem negatives Menschenbild popularisiert worden. Bereits der klassische Ökonom Robert Malthus war fest davon überzeugt, dass die Menschheit nicht in der Lage sein würde, die Grenzen einer gegebenen Produktionsweise zu überwinden, um dadurch für eine Verbesserung der Lebensumstände zu sorgen. Die Menschheit würde die Produktivkräfte der Gesellschaft, insbesondere die Landwirtschaft, nie so revolutionieren können, dass sie in der Lage versetzt werde, eine wachsende Bevölkerung ausreichend zu ernähren und Hungersnöte zu verhindern. Malthus wurde durch die Schaffenskraft der Menschheit widerlegt. Trotzdem feiern seine Vorstellungen seit den 70er-Jahren eine fulminante Renaissance. Die Nachhaltigkeitskonzepte beruhen nämlich nicht auf der Ausschöpfung des kreativen Potenzials der Menschen, um materielle Schranken durch wirtschaftliches Wachstum zu überwinden. Sie laufen vielmehr darauf hinaus, den „ökologischen Fußabdruck der Menschheit“ einzugrenzen. Vom Standpunkt der Nachhaltigkeit erscheint heute jede Strategie, die den Einfluss des Menschen auf die Natur nicht mindert, als moralisch verwerflich.

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, zunehmendem materiellem Wohlstand und Wachstum ablehnend gegenüberzustehen. Reinhard Loske, Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa in Bremen, erläuterte in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Anpassungsstrategien und Technologierevolutionen greifen ... zu kurz. Um dem Klimawandel zu begegnen, brauchen wir einen Wandel hin zu einer klimaverträglichen Kultur, die sich Schritt für Schritt vom Wachstumszwang und dem Bruttoinlandsprodukt als Maßstab für Wohlstand befreit.“ (7) Wohlstand wird zukünftig in „hohem Maße immateriell“ sein, wie Meinhard Miegel betont, denn es gehe zwar noch darum, den Wohlstand zu mehren, diese Wohlstandsmehrung jedoch vollkommen vom Wachstum zu entkoppeln, also auch mit einer Stagnation des materiellen Wohlstandes auszukommen. (8)

Effizienzrevolution ohne Wachstumsstrategie

Die unter Angela Merkel forcierte Propagierung der Nachhaltigkeit hat ernste Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wohlstand. Insofern Wachstum überhaupt noch akzeptabel erscheint, muss dieses dem Nachhaltigkeitsprinzip Genüge tun. Am ehesten gelingt dies noch, indem Innovationen die „Ressourceneffizienz“ steigern, also Waren und Dienstleistungen aus einem relativ verringerten Einsatz an Rohstoffen erzeugt werden. Dies ist im Grunde ein alter Hut, denn die Wirtschaft ist aufgrund des Wettbewerbs in einer freien Marktwirtschaft immer gezwungen, möglichst effizient zu produzieren. Allerdings war sie in der Vergangenheit relativ frei in der Wahl der Mittel. Historisch gesehen hat der Wettbewerb primär dazu geführt, die Arbeitsproduktivität durch den Einsatz von Kapital in Form verbesserter Maschinen und Technologien zu erhöhen. Die hergestellten Waren und Dienstleistungen wurden infolgedessen immer günstiger, oder aufgrund steigender Bedürfnisse hat sich deren Qualität verbessert.

Die Steigerung der Arbeitsproduktivität hat dazu geführt, dass die Gesellschaft immer weniger Zeit zur Herstellung der Güter aufwenden musste. Deutlich wird dies anhand der vollständigen Transformation der landwirtschaftlichen Produktion von einer Subsistenzwirtschaft, in der fast die gesamte Gesellschaft mit der Lebensmittelproduktion beschäftigt war, bis zum heuten Entwicklungsstand. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zielen inzwischen jedoch primär darauf ab, die Ressourceneffizienz zu steigern. Sie gefährden dabei unmittelbar Fortschritte bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die staatlichen Regulierungen sind äußerst vielfältig und reichen von direkten Vorgaben für die Industrie über Steuern bis hin zur Regulierung des Kaufverhaltens. Das Verbot des Verkaufs von Glühbirnen ist für diese Herangehensweise typisch: Es zielt darauf ab, den Stromverbrauch durch den Einsatz von weniger Strom fressenden Lichtquellen deutlich zu reduzieren. Die Regulierung war unumgänglich, da die Industrie nicht in der Lage ist, die weniger Strom fressenden Lichtquellen zu wettbewerblichen Bedingungen auf den Markt zu bringen. Die Herstellung dieser Lichtquellen ist wesentlich unproduktiver und deshalb teuer, weswegen der Konsument (neben anderen Gründen) lieber auf die alten Stromfresser zurückgegriffen hat. Was zur Steigerung der Ressourceneffizienz geeignet ist, führt offenbar nicht automatisch zu einem erschwinglichen Produkt.

In seinem lesenswerten Buch Das grüne Paradoxon hat der Präsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sehr eindringlich darauf hingewiesen, dass die staatlichen Maßnahmen zur Steigerung der Ressourceneffizienz bei der Energienutzung den Steuerzahler mit jährlich etwa 60 Milliarden Euro zusätzlicher Energiekosten belasten. (9) Gegenwärtig wird Energie, die etwa in Form von Kernenergie oder Braunkohle recht günstig zu erzeugen ist, durch wesentlich unproduktivere Energieformen ersetzt. Die Erzeugung einer Kilowattstunde Solarenergie verbraucht ein Vielfaches an menschlicher Arbeitszeit im Vergleich zur Erzeugung von Atomstrom, deswegen ist sie auch um ein Vielfaches teurer und muss vom Verbraucher entsprechend subventioniert werden. Isoliert betrachtet wäre die Subventionierung einer ineffektiven Produktionsweise sicherlich unproblematisch. Es ist gewiss auch legitim, dass politische Prioritäten gesetzt werden, die darauf abzielen, die Gesellschaft in eine bestimmte Richtung zu steuern, was den Einsatz vieler Ressourcen rechtfertigen kann. Auch in der Vergangenheit konnte es sich die deutsche Gesellschaft immer wieder leisten, zur Erreichung von verschiedenen gesellschaftlichen Zielen einen hohen Aufwand zu betreiben.

Problematisch ist jedoch der gegenwärtige gesellschaftliche Kontext, in dem die Ressourceneffizienz erzwungen werden soll. Während zumindest bis in die 80er-Jahre hinein noch ein recht starkes Wirtschaftswachstum und im Zuge dessen eine entsprechende Produktivitäts- und auch Wohlstandssteigerung erzielt wurde, fehlt dies heute vollkommen. Die Gesellschaft ist kaum mehr in der Lage, die zusätzlichen Belastungen ohne einschneidende materielle Verluste zu verkraften. Geradezu verheerend ist, dass in dieser Situation von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wachstumsskeptisch und bisweilen sogar offen wachstumsfeindlich argumentiert und agiert wird.

Die bisherigen Aktivitäten als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise legen dafür deutlich Zeugnis ab. Das von der neuen Bundesregierung beschlossene Wachstumsbeschleunigungsgesetz (wie auch alle Maßnahmen der alten Bundesregierung als Reaktion auf die Krise) läuft primär darauf hinaus, den Konsum anzukurbeln und die bestehenden Strukturen zu erhalten. Hier wird nach dem Gießkannenprinzip verfahren und gehofft, dass sich die Wirtschaft irgendwie von selbst berappelt. Es ist extrem ernüchternd, wenn man liest, dass die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren insgesamt nicht weniger als 90 Milliarden Euro zur Stärkung der Binnennachfrage aufgewendet hat. Damit wurden zwar u.a. dringend notwendige Reparaturen an der öffentlichen Infrastruktur unternommen oder die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden gefördert. Was aber vollkommen fehlt, ist ein Konzept oder zumindest eine Diskussion darüber, wie mittel- und langfristig die produktive Basis unserer Gesellschaft gestärkt werden kann oder wie ein Energiekonzept aussehen könnte, das nicht darauf hinausläuft, Energie immer ineffizienter und teurer zu produzieren, sondern das eine Produktivitätsrevolution bewirken kann, die im Ergebnis Energie massig und billig zur Verfügung stellt. Eine solche Produktivitätsrevolution scheitert gegenwärtig nicht am fehlenden Geld, sondern am fehlenden politischen Willen und Horizont.

Aufgrund der verbreiteten Wachstumsskepsis werden sich für ambitionierte und teure Konzepte, die Wirtschaftswachstum klar ins Zentrum rücken, auf absehbare Zeit schwerlich Wortführer oder politische Mehrheiten finden lassen. Nichtsdestotrotz ist es dringend notwendig, den gegenwärtigen Konsens zu brechen. Ansonsten werden wir uns damit abfinden müssen, dass wir – um nochmals mit den Worten des Bundespräsidenten zu sprechen – lernen werden, „mit weniger Verbrauch glücklich und zufrieden zu sein“.

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