22.04.2024

Warum wurde Varoufakis aus Deutschland verbannt?

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Marc Lozano via Flickr / CC BY-SA 2.0 Deed

In Berlin wurden ein Kongress aufgelöst, Einreise- und Betätigungsverbote erteilt. Die Unterdrückung pro-palästinensischer Stimmen ist aber absurd, illiberal und kontraproduktiv.

Die deutschen Behörden haben Yanis Varoufakis die Einreise verweigert. Der ehemalige griechische Finanzminister wurde durch das Verbot daran gehindert, eine Rede auf einer Pro-Palästina-Veranstaltung in Berlin zu halten.

Varoufakis war nicht der Einzige, dem es so erging. Mehrere andere Redner, die auf der Veranstaltung des Palästina-Kongresses auftreten sollten, wurden ebenfalls abgewiesen, darunter der britisch-palästinensische Chirurg Ghassan AbuSitta und sein Onkel, der palästinensische Forscher Salman Abu Sitta. Als die Veranstalter Salman Abu Sittas Rede als Videoansprache abspielten, kappte die Polizei die Stromzufuhr zum Tagungsort und forderte die rund 250 Anwesenden auf, die Räumlichkeiten zu verlassen. Die Veranstaltung, die eigentlich drei Tage dauern sollte, wurde somit vom Berliner Senat unter Bürgermeister Kai Wegner (CDU), innerhalb weniger Stunden beendet – was die Zustimmung von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) fand. Begründet wurde dies mit den zu erwartenden antisemitischen und gewaltverherrlichenden Äußerungen der Redner.

Diese plumpe und autoritäre Vorgehensweise ist typisch für die Art und Weise, wie die deutschen Behörden mit der Debatte um den Krieg zwischen Israel und der Hamas umgehen. Mit den Verboten radikaler pro-palästinensischer Veranstaltungen will die Regierung „Haltung zeigen“. Dieser Ansatz hat sich jedoch als illiberal und kontraproduktiv erwiesen.

Varoufakis hat ganz bestimmt viele fragwürdige Äußerungen zum Israel-Hamas-Konflikt gemacht, aber das ist kein Grund, ihn aus Deutschland fernzuhalten und ihm ein faktisches Auftrittsverbot aufzuerlegen. Zwar wurde er daran gehindert, seine Rede auf dem Palästina-Kongress live zu halten, er konnte sie aber dennoch aufzeichnen und ins Internet stellen. In seiner Rede erwähnt er die Vergewaltigungen israelischer Frauen und Ermordung israelischer Kinder oder auch die schreckliche Notlage der Geiseln, von denen sich 134 immer noch in der Gewalt der Hamas befinden, mit keinem einzigen Wort! Stattdessen beschuldigt er Israel der „80 Jahre andauernden ethnischen Säuberung" und bezeichnet die Ereignisse vom 7. Oktober als legitimen Akt des Widerstands gegen einen „Apartheidstaat". Er bestreitet auch, dass die Hamas den gegenwärtigen Krieg begonnen hat oder dass Israel sich in einem existenziellen Kampf um sein Überleben befindet.

„Die freie Meinungsäußerung hat keinen Wert, wenn sie Meinungen ausschließt, die wir verabscheuen.“

Varoufakis verdient es, dafür hart kritisiert zu werden. Aber mit dem Verbot, das gegen ihn – einen ehemaligen Minister eines EU-Mitgliedstaates – verhängt wurde, haben sich die deutschen Behörden lächerlich gemacht. Dieses Verbot hat ganz bestimmt niemanden umgestimmt. Es hat ihm, im Gegenteil, nur mehr Aufmerksamkeit verschafft und ihn zu einem Opfer der Cancel Culture gemacht.

Auch die noch extremeren Stimmen auf dem Palästina-Kongress hätten zu Wort kommen müssen. Salman Abu Sitta zum Beispiel ist ein bekennender Hamas-Sympathisant. Im Januar schrieb er, dass er, wäre er jünger, wahrscheinlich an dem Angriff vom 7. Oktober teilgenommen hätte. Gleichzeitig bestritt er rundheraus, dass irgendwelche Gräueltaten stattgefunden haben. Er lobte auch die „Entschlossenheit und den Mut" der Hamas-Terroristen, die daran beteiligt gewesen waren. Man kann sicherlich verstehen, dass viele deutsche Juden durch seine Anwesenheit verunsichert worden wären. Über ein Einreiseverbot gegen einen solchen Sympathisanten des Terrors ließe sich streiten. Aber das Verbot, ihn per Video bei einer Veranstaltung hinzuzuschalten, ist, was auch immer man davon hält, ein Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Warum? Weil die freie Meinungsäußerung keinen Wert hat, wenn sie Meinungen ausschließt, die wir verabscheuen.

Die illiberale Unterdrückung pro-palästinensischer Stimmen in Deutschland hat nicht dazu beigetragen, die Flut der Anti-Israel-Stimmung oder gar des Antisemitismus einzudämmen. Ganz im Gegenteil: Sie hat lediglich diejenigen, die fälschlicherweise glauben, Israel sei ein allmächtiger Lenker des Weltgeschehens – ein Glaube, der den Kern des modernen Antisemitismus bildet – ein Gefühl der Rechtfertigung gegeben.

Natürlich ist ein Verbot von Israel-Kritikern illiberal und kontraproduktiv. Das aber bedeutet keinesfalls, dass uns die wachsende Antipathie gegenüber dem jüdischen Staat egal sein sollte. Die Bundesregierung sollte eigentlich auch besorgt sein. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Stern stehen 57 Prozent der Deutschen dem einzigen jüdischen Staat der Welt – Israel – kritisch gegenüber.

„Zu viele unserer Politiker sind offensichtlich zu feige, um sich öffentlich auf die Seite Israels zu stellen. Stattdessen verlegen sie sich darauf, radikale Israel-Kritiker zu canceln.“

Die Ursache dafür aber ist, in vielerlei Hinsicht, die Ambivalenz, die die Mitglieder der Bundesregierung selbst gegenüber Israel zeigen. Diese Ambivalenz hat mehr dazu beigetragen, die öffentliche Skepsis zu schüren, als irgendwelche radikalen Palästina-Veranstaltungen.

Wenn es darauf ankommt, versäumt es die Bundesregierung regelmäßig, das Recht Israels auf Selbstverteidigung zu unterstützen. Im Dezember weigerte sie sich, eine UN-Resolution abzulehnen, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte, und enthielt sich stattdessen der Stimme (während die USA, Tschechien, Ungarn und andere den Mut hatten, gegen sie zu stimmen).  Einen Monat zuvor stand Bundeskanzler Olaf Scholz schweigend da, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Israel bei einem Staatsbesuch in Deutschland kritisierte. Und im Februar dieses Jahres applaudierte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, als Schauspieler auf der Berlinale von Israels „Völkermord" an den Palästinensern sprachen. Dabei war auch Berlins Bürgermeister Kai Wegner.

Zu viele unserer Politiker sind offensichtlich zu feige, um sich öffentlich auf die Seite Israels zu stellen. Stattdessen verlegen sie sich darauf, radikale Israel-Kritiker zu canceln. Dieses autoritäre Verhalten tut der israelischen Sache keinen Gefallen. Die Meinungsfreiheit muss auch in diesem Fall verteidigt werden.

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