12.04.2024
Der verfahrene Fall Fares
Der SWR schasst eine Moderatorin, weil diese zum Boykott von Produkten mit Israelbezug aufgerufen hat. Meinungsfreiheit muss aber für alle gelten, auch wenn man diese Meinung für widerlich hält.
Helen Fares, Moderatorin beim Südwestrundfunk (SWR), hat ihren Job dort verloren. Warum? Weil sie auf eigenen Social-Media-Kanälen, die nichts mit ihrem Sender zu tun haben, „extreme politische Äußerungen" getätigt hat. Dort hat sie u.a. zum Boykott israelischer Waren aufgerufen. Sie selbst sagt, dass sie ihren Lieblingsschokodrink von Alpro nicht mehr kauft, weil das Unternehmen Verbindungen zu Israel unterhält.
Außerdem macht sie Werbung für eine App mit Namen „No thanks“, mit der man prüfen kann, ob eine Marke auf einer Boykottliste steht oder nicht. Auf die Liste kommst Du schneller, als Du Antisemitismus buchstabiert hast: Es reicht aus, dass ein Unternehmen Geschäfte in Israel unterhält oder den Terroranschlag der Hamas auf Israel vom Oktober 2023 verurteilt hat. Dementsprechend prominent bestückt ist die Boykottliste: Auf ihr stehen u.a. Marken wie Nike, Unilever, Edeka und Coca-Cola.
Die App ist zudem so eine Art Mitmach-Plattform, User können eigene Boykottvorschläge einreichen. „Kaufe nicht bei – Name selbst einfügen.“ Googeln Sie das mal, ist interessant – ach nee, geht nicht, Google steht ja auch auf der Liste. Außerdem sammelt der Entwickler der App Spenden für Gaza – und setzt dafür auf den Dienstleister PayPal, der aber – Sie ahnen es – auch auf der Boykottliste seiner eigenen App steht. Es ist schon doof mit diesen vereinfachenden Weltbildern: Sie machen das Handeln in der Wirklichkeit wirklich schwierig.
„Helen Fares steht also nunmehr auf der Boykottliste des Südwestrundfunks.“
Ich persönlich finde die Haltung von Helen Fares und auch die Idee hinter dieser App falsch, ja sogar widerlich. Ich glaube, verboten ist die Haltung nicht. Aber offenbar ist es dennoch zu viel für den Südwestrundfunk. Daher hat der Sender Fares von ihren Moderationsaufgaben entbunden. Der SWR erklärt zwar explizit, dass die Äußerungen der Journalistin nicht im Zusammenhang mit ihrer journalistischen Tätigkeit stünden. Es gäbe aber eine „Pflicht zur Neutralität“ sowie klare Regeln für den Umgang mit eigenen Social-Media-Kanälen.
Der SWR sagt weiter, Journalisten dürften natürlich unabhängig eigene Meinungen haben, solange diese nicht die Unabhängigkeit des SWR und all seiner Mitarbeiter beeinträchtigen. Mit anderen Worten: Unabhängige Meinungen einzelner können die Unabhängigkeit ganzer Sender beeinträchtigen – wenn es der Sender so sieht. Und um die eigene Unabhängigkeit zu schützen, dürfen Sender Journalisten rauswerfen, die ihre eigene unabhängige Meinung äußern. Oder noch anders formuliert: Helen Fares steht also nunmehr auf der Boykottliste des Südwestrundfunks.
Mein persönliches Mitleid mit der Dame hält sich in Grenzen. Ich würde sagen: Augen auf bei der Wahl der Auftraggeber. Wer von ÖR-Sendern Meinungsvielfalt erwartet, schaut einfach nicht genug fern. Natürlich bedeutet Meinungsfreiheit nicht, dass jeder Journalist in Ausübung seines Berufes sagen und schreiben darf, was er will. Meinungsfreiheit bezieht sich nicht auf das journalistische Handeln (Pressefreiheit ist ein anderes Thema). Sie bezieht sich hier auf das Recht des Publikums, frei zu entscheiden, was man sehen, hören und lesen mag.
„Vielleicht sollten wir insgesamt aufhören, auf die Währung namens Zensur zu setzen.“
Bedenklich ist der Fall aber dennoch, da hier ein ÖR-Sender ganz offen seinen Mitarbeitern auf Kanälen, die nichts mit ihm zu tun haben, die freie Meinungsäußerung verbietet. Diese Meinungsfreiheit muss für alle gelten, selbst für die, deren Meinung ich – wie in diesem Fall – für widerlich halte.
Boykottaufrufe gegen Israel oder der Rausschmiss von nicht auf Linie getrimmten Journalisten – ich bin mir nicht sicher, welches von beiden ich mehr verabscheuen soll. Aber vielleicht sollten wir insgesamt aufhören, auf die Währung namens Zensur zu setzen. Es gibt keine gute und keine schlechte Medienzensur, denn Zensur ist immer und vor allen Dingen ein Angriff auf die Intelligenz und die Freiheit der Mediennutzer. Ich will frei entscheiden, was ich konsumiere und was nicht.
Der SWR gehört nicht dazu. No thanks. Der Alpro-Schokodrink seit heute schon. Prost!